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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Die Session des italienischen Parlaments von 1867--1869.

Durch k. Decret vom 20. August ist die Session des italienischen Parla¬
ments geschlossen worden, nachdem schon am 17. Juni Vertagung stattgefunden
hatte, und seitdem die Frage nur die war, ob durch Schluß der Session oder
durch die gründlichere Maßregel der Kammerauflösung eine parlamentarische
Aera beendigt werden sollte, deren Unfruchtbarkeit nachgerade erschreckend und
für das Ansehen der parlamentarischen Institutionen in hohem Grad bedrohlich
geworden war.

Schritt für Schritt läßt sich seit dem Tode Cavours die Zerstückelung
der großen Nationalpartei verfolgen, deren energischer Zusammenhalt allein
den großen Staatsmann hätte ersetzen und den geregelten Gang der Staats¬
maschine, die Erledigung der großen gesetzgeberischen Aufgaben hätte sichern
können. Keiner seiner Nachfolger besaß Autorität genug, um die verschiede¬
nen Elemente zusammenzufassen, deren innerliche Verschmelzung mit dem
raschen Gelingen des Nationalstaates nicht hatte gleichen Schritt halten
können. Man kann sagen, daß der Sieg allzuleicht erkämpft wurde; denn er
ließ die Gefahr übersehen, die dem neuen Staat von inneren Gegnern drohte,
die zu dessen Constituirung selbst unentbehrliche Mitarbeiter gewesen waren.
Während die Demokratie, nicht gezügelt durch eine überlegene Autorität
und des Antheils bewußt, den sie selbst am Einigungswerk hatte, zu
einer gefährlichen Macht heranwuchs, gefährlicher außerhalb als innerhalb
des Parlaments, erlahmte die Kraft der Regierungspartei, sie zersplitterte sich
in Fiaetionen. deren Motive mehr landsmannschaftliche Eifersucht oder klein¬
liche persönliche Interessen als politische Principien waren. Der Schwung
einer großen Regierungspolitik verlor sich in die unsicheren und unstäten
Schwankungen kleiner Coterien.

Zwei große Ereignisse trugen dazu bei, diese Zersplitterung der Par¬
teien zu vollenden: der Vertrag vom September 1864 und der Krieg von
1866: beides Ereignisse, welche die Vollendung des Einheitsstaats zu be¬
schleunigen schienen, und deren nächste Folge gleichwohl nur eine Schwächung


Grenzboten IV. 1869. 1
Die Session des italienischen Parlaments von 1867—1869.

Durch k. Decret vom 20. August ist die Session des italienischen Parla¬
ments geschlossen worden, nachdem schon am 17. Juni Vertagung stattgefunden
hatte, und seitdem die Frage nur die war, ob durch Schluß der Session oder
durch die gründlichere Maßregel der Kammerauflösung eine parlamentarische
Aera beendigt werden sollte, deren Unfruchtbarkeit nachgerade erschreckend und
für das Ansehen der parlamentarischen Institutionen in hohem Grad bedrohlich
geworden war.

Schritt für Schritt läßt sich seit dem Tode Cavours die Zerstückelung
der großen Nationalpartei verfolgen, deren energischer Zusammenhalt allein
den großen Staatsmann hätte ersetzen und den geregelten Gang der Staats¬
maschine, die Erledigung der großen gesetzgeberischen Aufgaben hätte sichern
können. Keiner seiner Nachfolger besaß Autorität genug, um die verschiede¬
nen Elemente zusammenzufassen, deren innerliche Verschmelzung mit dem
raschen Gelingen des Nationalstaates nicht hatte gleichen Schritt halten
können. Man kann sagen, daß der Sieg allzuleicht erkämpft wurde; denn er
ließ die Gefahr übersehen, die dem neuen Staat von inneren Gegnern drohte,
die zu dessen Constituirung selbst unentbehrliche Mitarbeiter gewesen waren.
Während die Demokratie, nicht gezügelt durch eine überlegene Autorität
und des Antheils bewußt, den sie selbst am Einigungswerk hatte, zu
einer gefährlichen Macht heranwuchs, gefährlicher außerhalb als innerhalb
des Parlaments, erlahmte die Kraft der Regierungspartei, sie zersplitterte sich
in Fiaetionen. deren Motive mehr landsmannschaftliche Eifersucht oder klein¬
liche persönliche Interessen als politische Principien waren. Der Schwung
einer großen Regierungspolitik verlor sich in die unsicheren und unstäten
Schwankungen kleiner Coterien.

Zwei große Ereignisse trugen dazu bei, diese Zersplitterung der Par¬
teien zu vollenden: der Vertrag vom September 1864 und der Krieg von
1866: beides Ereignisse, welche die Vollendung des Einheitsstaats zu be¬
schleunigen schienen, und deren nächste Folge gleichwohl nur eine Schwächung


Grenzboten IV. 1869. 1
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[0009] Die Session des italienischen Parlaments von 1867—1869. Durch k. Decret vom 20. August ist die Session des italienischen Parla¬ ments geschlossen worden, nachdem schon am 17. Juni Vertagung stattgefunden hatte, und seitdem die Frage nur die war, ob durch Schluß der Session oder durch die gründlichere Maßregel der Kammerauflösung eine parlamentarische Aera beendigt werden sollte, deren Unfruchtbarkeit nachgerade erschreckend und für das Ansehen der parlamentarischen Institutionen in hohem Grad bedrohlich geworden war. Schritt für Schritt läßt sich seit dem Tode Cavours die Zerstückelung der großen Nationalpartei verfolgen, deren energischer Zusammenhalt allein den großen Staatsmann hätte ersetzen und den geregelten Gang der Staats¬ maschine, die Erledigung der großen gesetzgeberischen Aufgaben hätte sichern können. Keiner seiner Nachfolger besaß Autorität genug, um die verschiede¬ nen Elemente zusammenzufassen, deren innerliche Verschmelzung mit dem raschen Gelingen des Nationalstaates nicht hatte gleichen Schritt halten können. Man kann sagen, daß der Sieg allzuleicht erkämpft wurde; denn er ließ die Gefahr übersehen, die dem neuen Staat von inneren Gegnern drohte, die zu dessen Constituirung selbst unentbehrliche Mitarbeiter gewesen waren. Während die Demokratie, nicht gezügelt durch eine überlegene Autorität und des Antheils bewußt, den sie selbst am Einigungswerk hatte, zu einer gefährlichen Macht heranwuchs, gefährlicher außerhalb als innerhalb des Parlaments, erlahmte die Kraft der Regierungspartei, sie zersplitterte sich in Fiaetionen. deren Motive mehr landsmannschaftliche Eifersucht oder klein¬ liche persönliche Interessen als politische Principien waren. Der Schwung einer großen Regierungspolitik verlor sich in die unsicheren und unstäten Schwankungen kleiner Coterien. Zwei große Ereignisse trugen dazu bei, diese Zersplitterung der Par¬ teien zu vollenden: der Vertrag vom September 1864 und der Krieg von 1866: beides Ereignisse, welche die Vollendung des Einheitsstaats zu be¬ schleunigen schienen, und deren nächste Folge gleichwohl nur eine Schwächung Grenzboten IV. 1869. 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/9>, abgerufen am 28.04.2024.