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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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Wien geht in diesem Jahre einem großen musikalischen Feste entgegen.
Die in allen deutschen Gauen bereits vorbereitete Beethoven-Feier soll
hier im Herbst an drei aufeinderfolgenden Tagen (23--27. Oct.) in glänzen¬
der Weise abgehalten werden. Die Initiative dazu hat selbstverständlich die
Gesellschaft ergriffen. Der vorjährige Musikbericht aus Wien hat in den grünen
Blättern, Allen voran, das Herannahen dieser hochbedeutenden Feier betont
und den Wunsch ausgesprochen, daß die Aufführung von Beethoven's Rissa
svleilmis in der akustisch vorzüglich günstigen und geräumigen Winter-Reit¬
bahn (denn der bereits vorgeschlagene neue Musikvereins-Saal, so groß er ist,
wird sich zu diesem Zwecke bald als ungenügend erweisen) zugleich Veranlassung
zur Wiederaufnahme der seit dem I. 1847 unterbrochenen jährlichen Musik¬
feste werde. Händels Oratorien müßten hier bei dem jetzigen schon erwähn¬
ten Reichthum an wohlgeschulten Gesangskräften einen wahrhaft gigantischen
Eindruck hervorbringen, der Beethoven's Ausruf über den "unerreichbaren
Meister" aufs neue bekräftigen würde: "Geht hin und lernt mit wenig
Mitteln so große Wirkungen hervorbringen."




Ein Urtheil Jacob Grimm's über deutsche Schriftstellerinnen.

Kleinere Schriften von Jacob Grimm. 4. Band: Recensionen und vermischte Auf¬
sätze. Berlin. Harrwitz und Goßmann. 1869.

Der reiche wohl ausgewählte Inhalt dieses Bandes, welcher meist ältere
kleine Aufsätze enthält, macht die Sammlung besonders erfreulich. Der Gelehrte
findet hier was in den ersten Drucken bereits schwer erreichbar ist, der ge¬
bildete Leser eine Fülle von Anregungen. Das tiefsinnige Wesen Jacob
Grimm's, großes Urtheil und edle Poesie, wirken schon in diesen Schriften
seiner jüngeren Jahre zuweilen geradezu hinreißend. Es ist aber nicht der
Gelehrte, an den wir hier erinnern wollen, sondern der Lehrer seines Volkes.
In sittlichen Forderungen, die er an sich und seine Zeit stellte, war er streng,
ehrbar, bürgerlich, in seinem Gemüth war bei stark auflodernden Eifer eine
einzige Vereinigung von inniger Zartheit und herber Kraft. Es schien zu¬
weilen, als ob alles Schöne und Herzliche, was dieser Kenner des Alter¬
thums in alten Dichtern gelesen, in sein eigenes Empfinden übergegangen sei,
als ein lebendiger Theil seiner selbst. Er war auch als Gelehrter am größten
da, wo die äußersten Grenzen des Wissens lagen, zwar nicht da, wo er mit


Wien geht in diesem Jahre einem großen musikalischen Feste entgegen.
Die in allen deutschen Gauen bereits vorbereitete Beethoven-Feier soll
hier im Herbst an drei aufeinderfolgenden Tagen (23—27. Oct.) in glänzen¬
der Weise abgehalten werden. Die Initiative dazu hat selbstverständlich die
Gesellschaft ergriffen. Der vorjährige Musikbericht aus Wien hat in den grünen
Blättern, Allen voran, das Herannahen dieser hochbedeutenden Feier betont
und den Wunsch ausgesprochen, daß die Aufführung von Beethoven's Rissa
svleilmis in der akustisch vorzüglich günstigen und geräumigen Winter-Reit¬
bahn (denn der bereits vorgeschlagene neue Musikvereins-Saal, so groß er ist,
wird sich zu diesem Zwecke bald als ungenügend erweisen) zugleich Veranlassung
zur Wiederaufnahme der seit dem I. 1847 unterbrochenen jährlichen Musik¬
feste werde. Händels Oratorien müßten hier bei dem jetzigen schon erwähn¬
ten Reichthum an wohlgeschulten Gesangskräften einen wahrhaft gigantischen
Eindruck hervorbringen, der Beethoven's Ausruf über den „unerreichbaren
Meister" aufs neue bekräftigen würde: „Geht hin und lernt mit wenig
Mitteln so große Wirkungen hervorbringen."




Ein Urtheil Jacob Grimm's über deutsche Schriftstellerinnen.

Kleinere Schriften von Jacob Grimm. 4. Band: Recensionen und vermischte Auf¬
sätze. Berlin. Harrwitz und Goßmann. 1869.

Der reiche wohl ausgewählte Inhalt dieses Bandes, welcher meist ältere
kleine Aufsätze enthält, macht die Sammlung besonders erfreulich. Der Gelehrte
findet hier was in den ersten Drucken bereits schwer erreichbar ist, der ge¬
bildete Leser eine Fülle von Anregungen. Das tiefsinnige Wesen Jacob
Grimm's, großes Urtheil und edle Poesie, wirken schon in diesen Schriften
seiner jüngeren Jahre zuweilen geradezu hinreißend. Es ist aber nicht der
Gelehrte, an den wir hier erinnern wollen, sondern der Lehrer seines Volkes.
In sittlichen Forderungen, die er an sich und seine Zeit stellte, war er streng,
ehrbar, bürgerlich, in seinem Gemüth war bei stark auflodernden Eifer eine
einzige Vereinigung von inniger Zartheit und herber Kraft. Es schien zu¬
weilen, als ob alles Schöne und Herzliche, was dieser Kenner des Alter¬
thums in alten Dichtern gelesen, in sein eigenes Empfinden übergegangen sei,
als ein lebendiger Theil seiner selbst. Er war auch als Gelehrter am größten
da, wo die äußersten Grenzen des Wissens lagen, zwar nicht da, wo er mit


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[0469] Wien geht in diesem Jahre einem großen musikalischen Feste entgegen. Die in allen deutschen Gauen bereits vorbereitete Beethoven-Feier soll hier im Herbst an drei aufeinderfolgenden Tagen (23—27. Oct.) in glänzen¬ der Weise abgehalten werden. Die Initiative dazu hat selbstverständlich die Gesellschaft ergriffen. Der vorjährige Musikbericht aus Wien hat in den grünen Blättern, Allen voran, das Herannahen dieser hochbedeutenden Feier betont und den Wunsch ausgesprochen, daß die Aufführung von Beethoven's Rissa svleilmis in der akustisch vorzüglich günstigen und geräumigen Winter-Reit¬ bahn (denn der bereits vorgeschlagene neue Musikvereins-Saal, so groß er ist, wird sich zu diesem Zwecke bald als ungenügend erweisen) zugleich Veranlassung zur Wiederaufnahme der seit dem I. 1847 unterbrochenen jährlichen Musik¬ feste werde. Händels Oratorien müßten hier bei dem jetzigen schon erwähn¬ ten Reichthum an wohlgeschulten Gesangskräften einen wahrhaft gigantischen Eindruck hervorbringen, der Beethoven's Ausruf über den „unerreichbaren Meister" aufs neue bekräftigen würde: „Geht hin und lernt mit wenig Mitteln so große Wirkungen hervorbringen." Ein Urtheil Jacob Grimm's über deutsche Schriftstellerinnen. Kleinere Schriften von Jacob Grimm. 4. Band: Recensionen und vermischte Auf¬ sätze. Berlin. Harrwitz und Goßmann. 1869. Der reiche wohl ausgewählte Inhalt dieses Bandes, welcher meist ältere kleine Aufsätze enthält, macht die Sammlung besonders erfreulich. Der Gelehrte findet hier was in den ersten Drucken bereits schwer erreichbar ist, der ge¬ bildete Leser eine Fülle von Anregungen. Das tiefsinnige Wesen Jacob Grimm's, großes Urtheil und edle Poesie, wirken schon in diesen Schriften seiner jüngeren Jahre zuweilen geradezu hinreißend. Es ist aber nicht der Gelehrte, an den wir hier erinnern wollen, sondern der Lehrer seines Volkes. In sittlichen Forderungen, die er an sich und seine Zeit stellte, war er streng, ehrbar, bürgerlich, in seinem Gemüth war bei stark auflodernden Eifer eine einzige Vereinigung von inniger Zartheit und herber Kraft. Es schien zu¬ weilen, als ob alles Schöne und Herzliche, was dieser Kenner des Alter¬ thums in alten Dichtern gelesen, in sein eigenes Empfinden übergegangen sei, als ein lebendiger Theil seiner selbst. Er war auch als Gelehrter am größten da, wo die äußersten Grenzen des Wissens lagen, zwar nicht da, wo er mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/469>, abgerufen am 03.05.2024.