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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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Palermitaner Eindrücke.

Der Dispaeeio, der kleinste Dampfer der Linie Florio, brachte uns in
fünfzehn Stunden von Neapel nach Palermo. Die Fahrt, bei ruhiger See
kurz und ohne Beschwerde, wäre noch behaglicher gewesen, hätten wir nicht
so viel Ochsen und Italiener an Bord gehabt. Die auf Sicilien seit meh¬
reren Jahren herrschende Rinderpest zwingt zur stetigen Einfuhr des Schlacht¬
viehes und läßt die schöngehörnten Ochsen Campaniens als gewöhnliche Passa¬
giere der Dampfschiffe erscheinen. Im Interesse unserer künftigen Verpflegung
durften wir sie freundlich begrüßen, aber den Aufenthalt auf dem Verdecke
verleideten sie uns gründlich, und flüchtete man in die Cajüte, so litt man
wieder unter der ausschließlich italienischen Reisegesellschaft, die bekanntlich in
Angelegenheiten der Toilette eine unbegrenzte Freiheit in Anspruch nimmt
und an die Sinne der Cajütengenossen weitgehende Anforderungen stellt. Bei
längerer Fahrt und unruhiger See hätten sich bedenkliche Scenen entwickelt;
zum Glück kam das Land in Sicht, gerade als unser Befremden über das
ungenirte Wesen der italienischen Passagiere (wie sich später herausstellte,
waren es außer Handelsreisender Beamtenfamilien, die von einem schlechten
Posten in Neapel auf einen anderen schlechten Posten in Sicilien befördert
worden waren) in offenen Aerger überzugehen drohte. Und was für ein
Land! So unvergleichlich der Blick auf das Meer in Neapel, ebenso zauber¬
haft und einzig ist die Einfahrt in den Golf von Palermo. Rechts der formen¬
reiche Monte Pellegrino, der vom Meere und der Ebene gleichmäßig hoch
emporsteigt, gleichsam eine Berginsel bildet, auf seinem Rücken dann in
reichem Wechsel Spitzen und Flächen zeigt, durch gefällige Linien miteinander
verbunden, wo Licht und Schatten in stets neuem Spiele sich tummeln;
dem Pellegrino gegenüber, lang hingestreckt der Grifone und durch die immer
sonnenhelle heitere Ebene von Baggaria von diesem getrennt der Catalfano,
in der Mitte sodann im Hintergrunde der Monreale und der scharfkantige
hohe Cucio, in der Ebene endlich weit ausgestreckt die Stadt, zwar nicht
amphitheatralisch aufgebaut, dadurch aber, daß Olivenwälder und Orangen¬
haine bis dicht an die Häuser heranreichen, ja mit diesen sich mischen, das
Bild einer lachenden Landschaft rein und ungetrübt dem Auge entrollend: so
stellt sich Palermo dem Landenden dar.

Die Stadt selbst zeigt eine überraschende Regelmäßigkeit der Anlage.
Von Norden nach Süden durchschneidet sie die Schloßstraße, der Cassaro,
der seinen Namen unter spanischer Herrschaft in Toledo, unter dem gegen-


Palermitaner Eindrücke.

Der Dispaeeio, der kleinste Dampfer der Linie Florio, brachte uns in
fünfzehn Stunden von Neapel nach Palermo. Die Fahrt, bei ruhiger See
kurz und ohne Beschwerde, wäre noch behaglicher gewesen, hätten wir nicht
so viel Ochsen und Italiener an Bord gehabt. Die auf Sicilien seit meh¬
reren Jahren herrschende Rinderpest zwingt zur stetigen Einfuhr des Schlacht¬
viehes und läßt die schöngehörnten Ochsen Campaniens als gewöhnliche Passa¬
giere der Dampfschiffe erscheinen. Im Interesse unserer künftigen Verpflegung
durften wir sie freundlich begrüßen, aber den Aufenthalt auf dem Verdecke
verleideten sie uns gründlich, und flüchtete man in die Cajüte, so litt man
wieder unter der ausschließlich italienischen Reisegesellschaft, die bekanntlich in
Angelegenheiten der Toilette eine unbegrenzte Freiheit in Anspruch nimmt
und an die Sinne der Cajütengenossen weitgehende Anforderungen stellt. Bei
längerer Fahrt und unruhiger See hätten sich bedenkliche Scenen entwickelt;
zum Glück kam das Land in Sicht, gerade als unser Befremden über das
ungenirte Wesen der italienischen Passagiere (wie sich später herausstellte,
waren es außer Handelsreisender Beamtenfamilien, die von einem schlechten
Posten in Neapel auf einen anderen schlechten Posten in Sicilien befördert
worden waren) in offenen Aerger überzugehen drohte. Und was für ein
Land! So unvergleichlich der Blick auf das Meer in Neapel, ebenso zauber¬
haft und einzig ist die Einfahrt in den Golf von Palermo. Rechts der formen¬
reiche Monte Pellegrino, der vom Meere und der Ebene gleichmäßig hoch
emporsteigt, gleichsam eine Berginsel bildet, auf seinem Rücken dann in
reichem Wechsel Spitzen und Flächen zeigt, durch gefällige Linien miteinander
verbunden, wo Licht und Schatten in stets neuem Spiele sich tummeln;
dem Pellegrino gegenüber, lang hingestreckt der Grifone und durch die immer
sonnenhelle heitere Ebene von Baggaria von diesem getrennt der Catalfano,
in der Mitte sodann im Hintergrunde der Monreale und der scharfkantige
hohe Cucio, in der Ebene endlich weit ausgestreckt die Stadt, zwar nicht
amphitheatralisch aufgebaut, dadurch aber, daß Olivenwälder und Orangen¬
haine bis dicht an die Häuser heranreichen, ja mit diesen sich mischen, das
Bild einer lachenden Landschaft rein und ungetrübt dem Auge entrollend: so
stellt sich Palermo dem Landenden dar.

Die Stadt selbst zeigt eine überraschende Regelmäßigkeit der Anlage.
Von Norden nach Süden durchschneidet sie die Schloßstraße, der Cassaro,
der seinen Namen unter spanischer Herrschaft in Toledo, unter dem gegen-


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[0491] Palermitaner Eindrücke. Der Dispaeeio, der kleinste Dampfer der Linie Florio, brachte uns in fünfzehn Stunden von Neapel nach Palermo. Die Fahrt, bei ruhiger See kurz und ohne Beschwerde, wäre noch behaglicher gewesen, hätten wir nicht so viel Ochsen und Italiener an Bord gehabt. Die auf Sicilien seit meh¬ reren Jahren herrschende Rinderpest zwingt zur stetigen Einfuhr des Schlacht¬ viehes und läßt die schöngehörnten Ochsen Campaniens als gewöhnliche Passa¬ giere der Dampfschiffe erscheinen. Im Interesse unserer künftigen Verpflegung durften wir sie freundlich begrüßen, aber den Aufenthalt auf dem Verdecke verleideten sie uns gründlich, und flüchtete man in die Cajüte, so litt man wieder unter der ausschließlich italienischen Reisegesellschaft, die bekanntlich in Angelegenheiten der Toilette eine unbegrenzte Freiheit in Anspruch nimmt und an die Sinne der Cajütengenossen weitgehende Anforderungen stellt. Bei längerer Fahrt und unruhiger See hätten sich bedenkliche Scenen entwickelt; zum Glück kam das Land in Sicht, gerade als unser Befremden über das ungenirte Wesen der italienischen Passagiere (wie sich später herausstellte, waren es außer Handelsreisender Beamtenfamilien, die von einem schlechten Posten in Neapel auf einen anderen schlechten Posten in Sicilien befördert worden waren) in offenen Aerger überzugehen drohte. Und was für ein Land! So unvergleichlich der Blick auf das Meer in Neapel, ebenso zauber¬ haft und einzig ist die Einfahrt in den Golf von Palermo. Rechts der formen¬ reiche Monte Pellegrino, der vom Meere und der Ebene gleichmäßig hoch emporsteigt, gleichsam eine Berginsel bildet, auf seinem Rücken dann in reichem Wechsel Spitzen und Flächen zeigt, durch gefällige Linien miteinander verbunden, wo Licht und Schatten in stets neuem Spiele sich tummeln; dem Pellegrino gegenüber, lang hingestreckt der Grifone und durch die immer sonnenhelle heitere Ebene von Baggaria von diesem getrennt der Catalfano, in der Mitte sodann im Hintergrunde der Monreale und der scharfkantige hohe Cucio, in der Ebene endlich weit ausgestreckt die Stadt, zwar nicht amphitheatralisch aufgebaut, dadurch aber, daß Olivenwälder und Orangen¬ haine bis dicht an die Häuser heranreichen, ja mit diesen sich mischen, das Bild einer lachenden Landschaft rein und ungetrübt dem Auge entrollend: so stellt sich Palermo dem Landenden dar. Die Stadt selbst zeigt eine überraschende Regelmäßigkeit der Anlage. Von Norden nach Süden durchschneidet sie die Schloßstraße, der Cassaro, der seinen Namen unter spanischer Herrschaft in Toledo, unter dem gegen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/491>, abgerufen am 04.05.2024.