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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Skizzen aus der Provinz Posen.

Der Ort, wo diese Zeilen geschrieben werden, liegt in jenem Theile der
Provinz Posen, welcher sich in seiner Abgeschiedenheit der Beachtung und
Kenntniß unsrer deutschen Landsleute westlich von der Provinz fast ganz
entzieht. Die großen länderverbindenden Verkehrsstraßen durchschneiden ihn
nicht, sondern führen an ihm vorüber. Trotz der großen Zahl von Städten,
welche das Land bedecken, gibt es außer der Stadt Posen kaum einen Han¬
delsplatz von Bedeutung. Das Land ist flach und einförmig, seine land¬
schaftlichen Reize sind zu bescheiden, um den Zug der Naturfreunde und Der¬
jenigen, welche im Reisen Erholung und Vergnügen suchen, hierher zu lenken.
Kein Wunder also, daß unsere Landsleute noch jetzt Vorstellungen über die¬
sen Landstrich hegen, die vielleicht vor einigen Jahrzehenten der Wirklichkeit
entsprachen, heute aber von dem Fortschritte der Provinz längst überholt
sind. Wie überall, wo der Ackerbau die einzige Quelle des Wohlstandes
bildet, konnte auch hier der Aufschwung freilich kein plötzlicher sein. Aber unter¬
stützt von der natürlichen Fruchtbarkeit des Bodens hat die preußische Regierung
es doch vermocht, das Land in verhältnißmäßig kurzer Zeit aus dem Ver¬
fall, in welchen es unter der polnischen Mißregierung gerathen war, zu
einem Zustande zu erheben, den der Graf Schwerin als Minister im Ab¬
geordnetenhause nicht mit Unrecht einem blühenden Garten verglich. Das
Land ist wohlbevölkert, der Anbau des Bodens vollständig, zahlreiche Chaus¬
seen vermitteln den Verkehr, die Städte endlich haben ein freundlicheres und
wohnlicheres Aussehn gewonnen.

Wir befinden uns in dem überwiegend polnischen Theile der Provinz,
welcher die Mehrzahl der inneren und östlichen Kreise umfaßt und in einem
weiten, an der nördlichen, westlichen und südlichen Grenze sich hinziehenden
Bogen von dem deutschen Element umspannt wird. Doch darf die Unter¬
scheidung eines polnischen und eines deutschen Theiles der Provinz nur rela¬
tiv genommen werden; die Bevölkerung ist überall eine gemischte, wenn auch
in verschiedenem Verhältnisse. Bei den ^allgemeinen Wahlen zum ersten
Norddeutschen Reichstage ergab sich in vier Wahlkreisen (Bromberg, Chod-
ziesen-Czarnikau, Meseritz-Bomst, Fraustadt) eine zwei- bis dreifache Majorität
der deutschen Stimmen. In vier Kreisen hielten sich Deutsche und Polen
die Waage, indem in den Kreisen Wirsitz-Schubin und Sander-Obornik-Birn-
baum die ersteren, in den Kreisen Posen und Kroeben die letzteren mit ge¬
ringer Majorität obsiegten. In den übrigen sieben Wahlkreisen endlich waren
hie Polen in überwiegender Majorität; und zwar erhielten ihre Kandidaten


Skizzen aus der Provinz Posen.

Der Ort, wo diese Zeilen geschrieben werden, liegt in jenem Theile der
Provinz Posen, welcher sich in seiner Abgeschiedenheit der Beachtung und
Kenntniß unsrer deutschen Landsleute westlich von der Provinz fast ganz
entzieht. Die großen länderverbindenden Verkehrsstraßen durchschneiden ihn
nicht, sondern führen an ihm vorüber. Trotz der großen Zahl von Städten,
welche das Land bedecken, gibt es außer der Stadt Posen kaum einen Han¬
delsplatz von Bedeutung. Das Land ist flach und einförmig, seine land¬
schaftlichen Reize sind zu bescheiden, um den Zug der Naturfreunde und Der¬
jenigen, welche im Reisen Erholung und Vergnügen suchen, hierher zu lenken.
Kein Wunder also, daß unsere Landsleute noch jetzt Vorstellungen über die¬
sen Landstrich hegen, die vielleicht vor einigen Jahrzehenten der Wirklichkeit
entsprachen, heute aber von dem Fortschritte der Provinz längst überholt
sind. Wie überall, wo der Ackerbau die einzige Quelle des Wohlstandes
bildet, konnte auch hier der Aufschwung freilich kein plötzlicher sein. Aber unter¬
stützt von der natürlichen Fruchtbarkeit des Bodens hat die preußische Regierung
es doch vermocht, das Land in verhältnißmäßig kurzer Zeit aus dem Ver¬
fall, in welchen es unter der polnischen Mißregierung gerathen war, zu
einem Zustande zu erheben, den der Graf Schwerin als Minister im Ab¬
geordnetenhause nicht mit Unrecht einem blühenden Garten verglich. Das
Land ist wohlbevölkert, der Anbau des Bodens vollständig, zahlreiche Chaus¬
seen vermitteln den Verkehr, die Städte endlich haben ein freundlicheres und
wohnlicheres Aussehn gewonnen.

Wir befinden uns in dem überwiegend polnischen Theile der Provinz,
welcher die Mehrzahl der inneren und östlichen Kreise umfaßt und in einem
weiten, an der nördlichen, westlichen und südlichen Grenze sich hinziehenden
Bogen von dem deutschen Element umspannt wird. Doch darf die Unter¬
scheidung eines polnischen und eines deutschen Theiles der Provinz nur rela¬
tiv genommen werden; die Bevölkerung ist überall eine gemischte, wenn auch
in verschiedenem Verhältnisse. Bei den ^allgemeinen Wahlen zum ersten
Norddeutschen Reichstage ergab sich in vier Wahlkreisen (Bromberg, Chod-
ziesen-Czarnikau, Meseritz-Bomst, Fraustadt) eine zwei- bis dreifache Majorität
der deutschen Stimmen. In vier Kreisen hielten sich Deutsche und Polen
die Waage, indem in den Kreisen Wirsitz-Schubin und Sander-Obornik-Birn-
baum die ersteren, in den Kreisen Posen und Kroeben die letzteren mit ge¬
ringer Majorität obsiegten. In den übrigen sieben Wahlkreisen endlich waren
hie Polen in überwiegender Majorität; und zwar erhielten ihre Kandidaten


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[0174] Skizzen aus der Provinz Posen. Der Ort, wo diese Zeilen geschrieben werden, liegt in jenem Theile der Provinz Posen, welcher sich in seiner Abgeschiedenheit der Beachtung und Kenntniß unsrer deutschen Landsleute westlich von der Provinz fast ganz entzieht. Die großen länderverbindenden Verkehrsstraßen durchschneiden ihn nicht, sondern führen an ihm vorüber. Trotz der großen Zahl von Städten, welche das Land bedecken, gibt es außer der Stadt Posen kaum einen Han¬ delsplatz von Bedeutung. Das Land ist flach und einförmig, seine land¬ schaftlichen Reize sind zu bescheiden, um den Zug der Naturfreunde und Der¬ jenigen, welche im Reisen Erholung und Vergnügen suchen, hierher zu lenken. Kein Wunder also, daß unsere Landsleute noch jetzt Vorstellungen über die¬ sen Landstrich hegen, die vielleicht vor einigen Jahrzehenten der Wirklichkeit entsprachen, heute aber von dem Fortschritte der Provinz längst überholt sind. Wie überall, wo der Ackerbau die einzige Quelle des Wohlstandes bildet, konnte auch hier der Aufschwung freilich kein plötzlicher sein. Aber unter¬ stützt von der natürlichen Fruchtbarkeit des Bodens hat die preußische Regierung es doch vermocht, das Land in verhältnißmäßig kurzer Zeit aus dem Ver¬ fall, in welchen es unter der polnischen Mißregierung gerathen war, zu einem Zustande zu erheben, den der Graf Schwerin als Minister im Ab¬ geordnetenhause nicht mit Unrecht einem blühenden Garten verglich. Das Land ist wohlbevölkert, der Anbau des Bodens vollständig, zahlreiche Chaus¬ seen vermitteln den Verkehr, die Städte endlich haben ein freundlicheres und wohnlicheres Aussehn gewonnen. Wir befinden uns in dem überwiegend polnischen Theile der Provinz, welcher die Mehrzahl der inneren und östlichen Kreise umfaßt und in einem weiten, an der nördlichen, westlichen und südlichen Grenze sich hinziehenden Bogen von dem deutschen Element umspannt wird. Doch darf die Unter¬ scheidung eines polnischen und eines deutschen Theiles der Provinz nur rela¬ tiv genommen werden; die Bevölkerung ist überall eine gemischte, wenn auch in verschiedenem Verhältnisse. Bei den ^allgemeinen Wahlen zum ersten Norddeutschen Reichstage ergab sich in vier Wahlkreisen (Bromberg, Chod- ziesen-Czarnikau, Meseritz-Bomst, Fraustadt) eine zwei- bis dreifache Majorität der deutschen Stimmen. In vier Kreisen hielten sich Deutsche und Polen die Waage, indem in den Kreisen Wirsitz-Schubin und Sander-Obornik-Birn- baum die ersteren, in den Kreisen Posen und Kroeben die letzteren mit ge¬ ringer Majorität obsiegten. In den übrigen sieben Wahlkreisen endlich waren hie Polen in überwiegender Majorität; und zwar erhielten ihre Kandidaten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/174>, abgerufen am 06.05.2024.