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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Im Heschichte der Annexion Mzza's an Frankreich.

Ringsum zeigen sich die Nationen, die unserm gewaltigen Kampfe mit
mehr oder weniger aufrichtiger Neutralität zuschauen, bereit, dessen Früchte
sich einzuheimsen. Italien vor allen konnte nicht Größeres, als es davon¬
getragen, aus diesem Kriege gewinnen, wenn all die deutschen Siege von
Weißenburg bis Sedan mit italienischem Blute erkauft worden wären. Schon
1866, da Italien uns nach Custozza und der Niederlage der italischen
Flotte ein ohnmächtiger Bundesgenosse geworden war, brachte es Venetien
als Friedenspreis mit nach Hause. Nun, da wir, bis zur Zertrümmerung
des Kaiserreichs auf der Wahlstatt von Sedan, von der bewaffneten Neu-
tralität der transalpinischen Macht bedroht waren, und unsere Landeskinder
noch heute an der Schweizergrenze den abenteuerlichen Horden des Generals
Garibaldi im kleinen Krieg gegenüberstehen, haben unsere Siege Italien
die politische Hauptstadt, die volle Einheit ermöglicht. Was Wunder, daß
auch diejenigen Gebietstheile des weil. Königreichs Sardinien die Gunst des
Augenblicks nutzen, die vor nun elf Jahren den Preis zahlen mußten für
die scheinbar so selbstlose Hilfe Frankreichs im Kriege von 1859? Savoyen
und Nizza verlangen ihre Wiedervereinigung mit dem italienischen Gesammtstaat.
Aus Savoyen liegen erst einzelne Kundgebungen vor, die vielleicht ebenso sehr der
Abneigung dieses Bergvolkes zuzuschreiben sind, sich der Schreckensherrschaft
der Männer von Bordeaux zu fügen, als der Erinnerung an ihr halbita¬
lisches Blut und das große Gemeinwesen jenseits der Alpen. Aber sehr ent¬
schieden regt sich das Verlangen nach Wiedervereinigung mit den alten
Stammgenossen in Nizza. Das alte "Nizza-Comite'", welches vor zehn Jahren
dem Anschluß an Frankreich widerstrebte, ist wieder ausgelebt, und agitirt
in alter Weise; nach Art der Italiener in legitimer Verschwörung. Eine
ungewöhnlich umfangreiche und gründliche Denkschrift dieses Comite ist uns
durch einen Freund d. Bl. in handschriftlicher deutscher Übersetzung zu¬
gegangen. Wenn wir im Nachstehenden mittheilen, was in dieser Flug¬
schrift von allgemeinem und bleibendem historischen Interesse ist, so ver-


GvenzboKn I, l87l,. 16
Im Heschichte der Annexion Mzza's an Frankreich.

Ringsum zeigen sich die Nationen, die unserm gewaltigen Kampfe mit
mehr oder weniger aufrichtiger Neutralität zuschauen, bereit, dessen Früchte
sich einzuheimsen. Italien vor allen konnte nicht Größeres, als es davon¬
getragen, aus diesem Kriege gewinnen, wenn all die deutschen Siege von
Weißenburg bis Sedan mit italienischem Blute erkauft worden wären. Schon
1866, da Italien uns nach Custozza und der Niederlage der italischen
Flotte ein ohnmächtiger Bundesgenosse geworden war, brachte es Venetien
als Friedenspreis mit nach Hause. Nun, da wir, bis zur Zertrümmerung
des Kaiserreichs auf der Wahlstatt von Sedan, von der bewaffneten Neu-
tralität der transalpinischen Macht bedroht waren, und unsere Landeskinder
noch heute an der Schweizergrenze den abenteuerlichen Horden des Generals
Garibaldi im kleinen Krieg gegenüberstehen, haben unsere Siege Italien
die politische Hauptstadt, die volle Einheit ermöglicht. Was Wunder, daß
auch diejenigen Gebietstheile des weil. Königreichs Sardinien die Gunst des
Augenblicks nutzen, die vor nun elf Jahren den Preis zahlen mußten für
die scheinbar so selbstlose Hilfe Frankreichs im Kriege von 1859? Savoyen
und Nizza verlangen ihre Wiedervereinigung mit dem italienischen Gesammtstaat.
Aus Savoyen liegen erst einzelne Kundgebungen vor, die vielleicht ebenso sehr der
Abneigung dieses Bergvolkes zuzuschreiben sind, sich der Schreckensherrschaft
der Männer von Bordeaux zu fügen, als der Erinnerung an ihr halbita¬
lisches Blut und das große Gemeinwesen jenseits der Alpen. Aber sehr ent¬
schieden regt sich das Verlangen nach Wiedervereinigung mit den alten
Stammgenossen in Nizza. Das alte „Nizza-Comite'", welches vor zehn Jahren
dem Anschluß an Frankreich widerstrebte, ist wieder ausgelebt, und agitirt
in alter Weise; nach Art der Italiener in legitimer Verschwörung. Eine
ungewöhnlich umfangreiche und gründliche Denkschrift dieses Comite ist uns
durch einen Freund d. Bl. in handschriftlicher deutscher Übersetzung zu¬
gegangen. Wenn wir im Nachstehenden mittheilen, was in dieser Flug¬
schrift von allgemeinem und bleibendem historischen Interesse ist, so ver-


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[0129] Im Heschichte der Annexion Mzza's an Frankreich. Ringsum zeigen sich die Nationen, die unserm gewaltigen Kampfe mit mehr oder weniger aufrichtiger Neutralität zuschauen, bereit, dessen Früchte sich einzuheimsen. Italien vor allen konnte nicht Größeres, als es davon¬ getragen, aus diesem Kriege gewinnen, wenn all die deutschen Siege von Weißenburg bis Sedan mit italienischem Blute erkauft worden wären. Schon 1866, da Italien uns nach Custozza und der Niederlage der italischen Flotte ein ohnmächtiger Bundesgenosse geworden war, brachte es Venetien als Friedenspreis mit nach Hause. Nun, da wir, bis zur Zertrümmerung des Kaiserreichs auf der Wahlstatt von Sedan, von der bewaffneten Neu- tralität der transalpinischen Macht bedroht waren, und unsere Landeskinder noch heute an der Schweizergrenze den abenteuerlichen Horden des Generals Garibaldi im kleinen Krieg gegenüberstehen, haben unsere Siege Italien die politische Hauptstadt, die volle Einheit ermöglicht. Was Wunder, daß auch diejenigen Gebietstheile des weil. Königreichs Sardinien die Gunst des Augenblicks nutzen, die vor nun elf Jahren den Preis zahlen mußten für die scheinbar so selbstlose Hilfe Frankreichs im Kriege von 1859? Savoyen und Nizza verlangen ihre Wiedervereinigung mit dem italienischen Gesammtstaat. Aus Savoyen liegen erst einzelne Kundgebungen vor, die vielleicht ebenso sehr der Abneigung dieses Bergvolkes zuzuschreiben sind, sich der Schreckensherrschaft der Männer von Bordeaux zu fügen, als der Erinnerung an ihr halbita¬ lisches Blut und das große Gemeinwesen jenseits der Alpen. Aber sehr ent¬ schieden regt sich das Verlangen nach Wiedervereinigung mit den alten Stammgenossen in Nizza. Das alte „Nizza-Comite'", welches vor zehn Jahren dem Anschluß an Frankreich widerstrebte, ist wieder ausgelebt, und agitirt in alter Weise; nach Art der Italiener in legitimer Verschwörung. Eine ungewöhnlich umfangreiche und gründliche Denkschrift dieses Comite ist uns durch einen Freund d. Bl. in handschriftlicher deutscher Übersetzung zu¬ gegangen. Wenn wir im Nachstehenden mittheilen, was in dieser Flug¬ schrift von allgemeinem und bleibendem historischen Interesse ist, so ver- GvenzboKn I, l87l,. 16

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/129>, abgerufen am 05.05.2024.