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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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von den Dorfgemeinden) die sämmtlichen Ortseinwohner zu den Armenlasten
beitragen sollen, während bis 6s.to alle communalen Rechte von dem Guts¬
herrn allein geübt werden, so haben durch diesen aus Connivenz vom Abge¬
ordnetenhause schließlich gutgeheißenen Beschluß die Junker selbst die Brücke
hinter sich zerbrochen, welche die abnorme Stellung der Rittergutsbesitzer noch
mit einem Rechtsgrunde verband. Freiconservativ'e und Nationalliberale wer¬
den bei Gelegenheit der Kreisordnung in nächster Session nicht umhin können,
dafür einzustehen, daß nach dem Grundsatz: Gleiche Pflichten, gleiche Rechte,
sämmtliche "Ortseinwohner" auch in Bezug auf Polizeiverwaltung und Ver¬
tretung im Kreistage dem Rittergutsbesitzer qualitativ (wenn auch nicht noth¬
wendigerweise quantitativ wie die'Demokraten wollen) dem Gutsherrn gleich¬
gestellt werden.

Von den sonstigen, im Ganzen nicht vielen Beschlüssen, über welche sich
in dieser Session dle beiden Häuser des Landtags geeinigt haben, ehe sie auf
Grund Allerhöchster Botschaft in gemeinsamer Sitzung, deren Präcedens 1858
gefunden worden ist. vom zeitigen Vorsitzenden des Staatsministeriums, dem
Handelsminister geschlossen worden sind, ist nur noch zu erwähnen die auf
Grund eines Hagenschen Antrags geschehene Gültigkeitserklärung der ohne
Consens des Kriegsherrn nach Ausbruch des gegenwärtigen Völkerkampfes
geschlossenen Militärehen und die in Gemäßheit zu einer Vorlage des Justiz¬
ministers erfolgte Aufhebung des § 643, Th. II, Tit. 2 im A. L.-R., durch
welchen bei unehelichen Kindern eines Christen und einer Jüdin Zwangstaufe
bestimmt war. Die Resolution des Abgeordnetenhauses auf Beseitigung des
Kriegszustandes in den noch derartig qualificirt zu betrachtenden Landes-
tdeilen wurde, nachdem am 4. und 14. Februar in dieser Hinsicht bedeutende
Redescharmützel geliefert waren, durch einen kaiserlichen Befehl erwidert, nach
welchem alle bisherigen Folgen des Belagerungszustandes aufgehoben werden
und völlige Freiheit für die Vorbereitungen zum deutschen Reichstage ge¬
währleistet wird.

Allerdings nicht in Konsequenz zu dieser zwar auch nicht formellen,
aber in Wirklichkeit doch materiellen Beseitigung des Kriegszustandes,
treten erst jetzt die Agitationen für den so wichtigen ersten Gesammtwahlact
eines regelmäßigen Vollparlaments stärker hervor. Welche Maßregeln und
welche Männer von den einzelnen Parteien, soweit dieselben hier in Berlin
C 6/1. entralleitung haben, befürwortet werden, davon nächste Woche.




Italien im letzten Kalöjahr 1870.
(Schluß.)

Am Tage der Besetzung Roms erließ die päpstliche Regierung einen
Protest gegen dieselbe, den sie den beim heil. Stuhle beglaubigten Mitgliedern
des diplomatischen Corps zustellen ließ. Das Actenstück kann bei unsern Lesern als
bekannt vorausgesetzt werden. Schon in den ersten Tagen des italienischen Regi¬
mentes in Rom entstanden daselbst Unruhen sowohl in den übrigen Stadttheilen,
als auch in der Leoninischen Stadt. Die Römer gestehen selbst, daß der Pöbel ihrer
Stadt einer der schlimmsten der Welt ist. Die "Kölnische Zeitung" brachte
Schilderungen aus Rom, welche die empörendsten Ausschreitungen des Pöbels


von den Dorfgemeinden) die sämmtlichen Ortseinwohner zu den Armenlasten
beitragen sollen, während bis 6s.to alle communalen Rechte von dem Guts¬
herrn allein geübt werden, so haben durch diesen aus Connivenz vom Abge¬
ordnetenhause schließlich gutgeheißenen Beschluß die Junker selbst die Brücke
hinter sich zerbrochen, welche die abnorme Stellung der Rittergutsbesitzer noch
mit einem Rechtsgrunde verband. Freiconservativ'e und Nationalliberale wer¬
den bei Gelegenheit der Kreisordnung in nächster Session nicht umhin können,
dafür einzustehen, daß nach dem Grundsatz: Gleiche Pflichten, gleiche Rechte,
sämmtliche „Ortseinwohner" auch in Bezug auf Polizeiverwaltung und Ver¬
tretung im Kreistage dem Rittergutsbesitzer qualitativ (wenn auch nicht noth¬
wendigerweise quantitativ wie die'Demokraten wollen) dem Gutsherrn gleich¬
gestellt werden.

Von den sonstigen, im Ganzen nicht vielen Beschlüssen, über welche sich
in dieser Session dle beiden Häuser des Landtags geeinigt haben, ehe sie auf
Grund Allerhöchster Botschaft in gemeinsamer Sitzung, deren Präcedens 1858
gefunden worden ist. vom zeitigen Vorsitzenden des Staatsministeriums, dem
Handelsminister geschlossen worden sind, ist nur noch zu erwähnen die auf
Grund eines Hagenschen Antrags geschehene Gültigkeitserklärung der ohne
Consens des Kriegsherrn nach Ausbruch des gegenwärtigen Völkerkampfes
geschlossenen Militärehen und die in Gemäßheit zu einer Vorlage des Justiz¬
ministers erfolgte Aufhebung des § 643, Th. II, Tit. 2 im A. L.-R., durch
welchen bei unehelichen Kindern eines Christen und einer Jüdin Zwangstaufe
bestimmt war. Die Resolution des Abgeordnetenhauses auf Beseitigung des
Kriegszustandes in den noch derartig qualificirt zu betrachtenden Landes-
tdeilen wurde, nachdem am 4. und 14. Februar in dieser Hinsicht bedeutende
Redescharmützel geliefert waren, durch einen kaiserlichen Befehl erwidert, nach
welchem alle bisherigen Folgen des Belagerungszustandes aufgehoben werden
und völlige Freiheit für die Vorbereitungen zum deutschen Reichstage ge¬
währleistet wird.

Allerdings nicht in Konsequenz zu dieser zwar auch nicht formellen,
aber in Wirklichkeit doch materiellen Beseitigung des Kriegszustandes,
treten erst jetzt die Agitationen für den so wichtigen ersten Gesammtwahlact
eines regelmäßigen Vollparlaments stärker hervor. Welche Maßregeln und
welche Männer von den einzelnen Parteien, soweit dieselben hier in Berlin
C 6/1. entralleitung haben, befürwortet werden, davon nächste Woche.




Italien im letzten Kalöjahr 1870.
(Schluß.)

Am Tage der Besetzung Roms erließ die päpstliche Regierung einen
Protest gegen dieselbe, den sie den beim heil. Stuhle beglaubigten Mitgliedern
des diplomatischen Corps zustellen ließ. Das Actenstück kann bei unsern Lesern als
bekannt vorausgesetzt werden. Schon in den ersten Tagen des italienischen Regi¬
mentes in Rom entstanden daselbst Unruhen sowohl in den übrigen Stadttheilen,
als auch in der Leoninischen Stadt. Die Römer gestehen selbst, daß der Pöbel ihrer
Stadt einer der schlimmsten der Welt ist. Die „Kölnische Zeitung" brachte
Schilderungen aus Rom, welche die empörendsten Ausschreitungen des Pöbels


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[0392] von den Dorfgemeinden) die sämmtlichen Ortseinwohner zu den Armenlasten beitragen sollen, während bis 6s.to alle communalen Rechte von dem Guts¬ herrn allein geübt werden, so haben durch diesen aus Connivenz vom Abge¬ ordnetenhause schließlich gutgeheißenen Beschluß die Junker selbst die Brücke hinter sich zerbrochen, welche die abnorme Stellung der Rittergutsbesitzer noch mit einem Rechtsgrunde verband. Freiconservativ'e und Nationalliberale wer¬ den bei Gelegenheit der Kreisordnung in nächster Session nicht umhin können, dafür einzustehen, daß nach dem Grundsatz: Gleiche Pflichten, gleiche Rechte, sämmtliche „Ortseinwohner" auch in Bezug auf Polizeiverwaltung und Ver¬ tretung im Kreistage dem Rittergutsbesitzer qualitativ (wenn auch nicht noth¬ wendigerweise quantitativ wie die'Demokraten wollen) dem Gutsherrn gleich¬ gestellt werden. Von den sonstigen, im Ganzen nicht vielen Beschlüssen, über welche sich in dieser Session dle beiden Häuser des Landtags geeinigt haben, ehe sie auf Grund Allerhöchster Botschaft in gemeinsamer Sitzung, deren Präcedens 1858 gefunden worden ist. vom zeitigen Vorsitzenden des Staatsministeriums, dem Handelsminister geschlossen worden sind, ist nur noch zu erwähnen die auf Grund eines Hagenschen Antrags geschehene Gültigkeitserklärung der ohne Consens des Kriegsherrn nach Ausbruch des gegenwärtigen Völkerkampfes geschlossenen Militärehen und die in Gemäßheit zu einer Vorlage des Justiz¬ ministers erfolgte Aufhebung des § 643, Th. II, Tit. 2 im A. L.-R., durch welchen bei unehelichen Kindern eines Christen und einer Jüdin Zwangstaufe bestimmt war. Die Resolution des Abgeordnetenhauses auf Beseitigung des Kriegszustandes in den noch derartig qualificirt zu betrachtenden Landes- tdeilen wurde, nachdem am 4. und 14. Februar in dieser Hinsicht bedeutende Redescharmützel geliefert waren, durch einen kaiserlichen Befehl erwidert, nach welchem alle bisherigen Folgen des Belagerungszustandes aufgehoben werden und völlige Freiheit für die Vorbereitungen zum deutschen Reichstage ge¬ währleistet wird. Allerdings nicht in Konsequenz zu dieser zwar auch nicht formellen, aber in Wirklichkeit doch materiellen Beseitigung des Kriegszustandes, treten erst jetzt die Agitationen für den so wichtigen ersten Gesammtwahlact eines regelmäßigen Vollparlaments stärker hervor. Welche Maßregeln und welche Männer von den einzelnen Parteien, soweit dieselben hier in Berlin C 6/1. entralleitung haben, befürwortet werden, davon nächste Woche. Italien im letzten Kalöjahr 1870. (Schluß.) Am Tage der Besetzung Roms erließ die päpstliche Regierung einen Protest gegen dieselbe, den sie den beim heil. Stuhle beglaubigten Mitgliedern des diplomatischen Corps zustellen ließ. Das Actenstück kann bei unsern Lesern als bekannt vorausgesetzt werden. Schon in den ersten Tagen des italienischen Regi¬ mentes in Rom entstanden daselbst Unruhen sowohl in den übrigen Stadttheilen, als auch in der Leoninischen Stadt. Die Römer gestehen selbst, daß der Pöbel ihrer Stadt einer der schlimmsten der Welt ist. Die „Kölnische Zeitung" brachte Schilderungen aus Rom, welche die empörendsten Ausschreitungen des Pöbels

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/392>, abgerufen am 04.05.2024.