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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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den. Wenn das Ministerium die Declaranten am weißen Berge, die Schwär¬
mer für das Jagellvnenreich und die Vertheidiger des Syllabus zum Siege
zu führen hofft, so muß es auf die Mitwirkung der deutschen Partei verzich¬
ten : ein Riß durch die Verfassung würde seine Wege für immer von der Bahn
jener Elemente scheiden, in denen unverändert Oestreichs Schwerpunkt ruht.


G. Dahlke.


Ile Ueichstagswahlen im Königreich Sachsen.

Kaum aus einem zweiten Lande des Deutschen Reichs ist das Resultat
der Wahlen zum ersten Deutschen Reichstag mit solcher Spannung erwartet
worden, als aus dem Königreich Sachsen. Denn Preußen, dessen Wahl¬
ergebnisse naturgemäß stets die allgemein interessantesten, für die künftige Ma¬
jorität unseres Parlamentes entscheidenden bleiben, hat schon einmal nach
dem Kriegsbeginn gewählt zum Preußischen Landtag, und jene Resultate
können, etwa mit Ausnahme der ungeahnten Verstärkung der katholischen
Partei, im numerischen Verhältniß der Parteien auch für'das Ergebniß der
Neichstagswcihlen maßgebend betrachtet werden. Ebenso hat Württemberg
schon lange vor den Reichstagswahlen die mächtige Ausbreitung des nationa¬
len Gedankens in Schwaben bei den Wahlen zum dortigen Landtag bekundet.
Die Stellung der nationalen Partei in Hessen und Baden ist von Alters her
befestigt; in Baiern hatten wir für ihre Ausbreitung gegenüber den verschie¬
denen Schattirungen von Ultramontanen und Particularisten an den Ver¬
handlungen des letzten bairischen Landtags ein um so beredteres Zeugniß, als
dort eine gegen die Einheit Deutschlands gewählte Majorität, in Massen mit
den vordem in der Minderheit befindlichen Vertretern des Deutschen Gedan¬
kens stimmte in der Stunde der Entscheidung, als es galt, ob Baiern dem
Reich beitreten oder den Rücken kehren solle.

Aber in Sachsen liegt die letzte Wahl zum Landtag um zwei, die letzte
allgemeine Wahl zum Reichstag um fast vier Jahre zurück. Zum constitui-
renden Reichstag hatte Sachsen Abgeordnete gesandt, die, mit Ausnahme des
alten braven Rewitzer aus Chemnitz und Gerbers aus dem Leipziger Landkreis,
gegen die Bundesverfassung gestimmt hatten, also, gleichviel ob sonst ihr
Standpunkt conservativ, grundrechtlich demokratisch oder ochlokratisch war,
in ihrer particularistischen Abneigung gegen die Consolidirung des Deutschen
Staates, bis auf wenige Ausnahmen, Hand in Hand gingen. Bei der Wahl
zum ersten ordentlichen Reichstag sandte Sachsen vier Nationale; dagegen
konnte das Vaterland über die anderweiten sächsischen Abgeordneten womög¬
lich noch weniger satt und froh werden, als vordem. Denn in allen streng
nationalen Fragen war man sicher, die bei den Freiconservativen eingeschrie¬
benen v. Salza und v. Zehner ebenso bedenklich stimmen zu hören, als die
"Fortschrittsmännn" Wigard, Schaffrath, Schreck :c., und die "Bundes¬
staatlichen" Sachße, Gebert, Oehmichen :c., von denen der Letzte im letzten
Jahr seines Trienniums noch die fabelhafte Schwenkung zur Fortschrittspartei
fertig brachte. In den meisten Fällen waren von den Aeußerungen und Ab¬
stimmungen dieser particularistischen Sachsen aller Kaliber die Voden der zahl¬
reichen Socialisten, welche Sachsen nach Berlin gesendet hatte, nur in der
Form haarsträubender.


den. Wenn das Ministerium die Declaranten am weißen Berge, die Schwär¬
mer für das Jagellvnenreich und die Vertheidiger des Syllabus zum Siege
zu führen hofft, so muß es auf die Mitwirkung der deutschen Partei verzich¬
ten : ein Riß durch die Verfassung würde seine Wege für immer von der Bahn
jener Elemente scheiden, in denen unverändert Oestreichs Schwerpunkt ruht.


G. Dahlke.


Ile Ueichstagswahlen im Königreich Sachsen.

Kaum aus einem zweiten Lande des Deutschen Reichs ist das Resultat
der Wahlen zum ersten Deutschen Reichstag mit solcher Spannung erwartet
worden, als aus dem Königreich Sachsen. Denn Preußen, dessen Wahl¬
ergebnisse naturgemäß stets die allgemein interessantesten, für die künftige Ma¬
jorität unseres Parlamentes entscheidenden bleiben, hat schon einmal nach
dem Kriegsbeginn gewählt zum Preußischen Landtag, und jene Resultate
können, etwa mit Ausnahme der ungeahnten Verstärkung der katholischen
Partei, im numerischen Verhältniß der Parteien auch für'das Ergebniß der
Neichstagswcihlen maßgebend betrachtet werden. Ebenso hat Württemberg
schon lange vor den Reichstagswahlen die mächtige Ausbreitung des nationa¬
len Gedankens in Schwaben bei den Wahlen zum dortigen Landtag bekundet.
Die Stellung der nationalen Partei in Hessen und Baden ist von Alters her
befestigt; in Baiern hatten wir für ihre Ausbreitung gegenüber den verschie¬
denen Schattirungen von Ultramontanen und Particularisten an den Ver¬
handlungen des letzten bairischen Landtags ein um so beredteres Zeugniß, als
dort eine gegen die Einheit Deutschlands gewählte Majorität, in Massen mit
den vordem in der Minderheit befindlichen Vertretern des Deutschen Gedan¬
kens stimmte in der Stunde der Entscheidung, als es galt, ob Baiern dem
Reich beitreten oder den Rücken kehren solle.

Aber in Sachsen liegt die letzte Wahl zum Landtag um zwei, die letzte
allgemeine Wahl zum Reichstag um fast vier Jahre zurück. Zum constitui-
renden Reichstag hatte Sachsen Abgeordnete gesandt, die, mit Ausnahme des
alten braven Rewitzer aus Chemnitz und Gerbers aus dem Leipziger Landkreis,
gegen die Bundesverfassung gestimmt hatten, also, gleichviel ob sonst ihr
Standpunkt conservativ, grundrechtlich demokratisch oder ochlokratisch war,
in ihrer particularistischen Abneigung gegen die Consolidirung des Deutschen
Staates, bis auf wenige Ausnahmen, Hand in Hand gingen. Bei der Wahl
zum ersten ordentlichen Reichstag sandte Sachsen vier Nationale; dagegen
konnte das Vaterland über die anderweiten sächsischen Abgeordneten womög¬
lich noch weniger satt und froh werden, als vordem. Denn in allen streng
nationalen Fragen war man sicher, die bei den Freiconservativen eingeschrie¬
benen v. Salza und v. Zehner ebenso bedenklich stimmen zu hören, als die
„Fortschrittsmännn" Wigard, Schaffrath, Schreck :c., und die „Bundes¬
staatlichen" Sachße, Gebert, Oehmichen :c., von denen der Letzte im letzten
Jahr seines Trienniums noch die fabelhafte Schwenkung zur Fortschrittspartei
fertig brachte. In den meisten Fällen waren von den Aeußerungen und Ab¬
stimmungen dieser particularistischen Sachsen aller Kaliber die Voden der zahl¬
reichen Socialisten, welche Sachsen nach Berlin gesendet hatte, nur in der
Form haarsträubender.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/450>, abgerufen am 05.05.2024.