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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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wie kein Zweiter, den er liebt wie kein Zweiter, und den er deshalb auch
schildert wie kein Zweiter. Hier sind die starken Wurzeln seiner Kraft.

Ich habe bisher beinahe mehr von den Mängeln und Schwächen des
Werks als, von den Vorzügen und Tugenden desselben gesprochen, und da¬
durch vielleicht dem Leser ein falsches Bild gegeben; denn die Vorzüge über¬
wiegen unendlich die Mängel. Sprechen wir nun, um den Fehler wieder gut
zu machen, von den Vorzügen.

(Schluß folgt.)




Kossand in Uoth.
i.

Daß wir hier täglich darüber nachdenken, was aus unserm kleinen Staate
nach den Begebenheiten und Erfahrungen der letzten Monate werden soll, ist
einleuchtend. Aber die Antwort auf diese Frage ist nicht so einfach. Daß
unser bisheriger Zustand nicht bleiben kann, ist selbstredend. Die Gegensätze
zwischen den Nationalitäten sind einerseits bedeutend verschärft, die verschie¬
denen Charaktere der Völker haben sich deutlicher gezeichnet und geschieden,
andere fühlen sich wieder mehr zu einander angezogen.

Betrachten wir unser Verhältniß zum Ausland, oder wenden wir unsere
Augen auf unsere inneren Angelegenheiten, dann ergreift uns Mißbehagen,
und Unzufriedenheit mit der Gegenwart. Wir fühlen, daß etwas Anderes
aus uns werden muß, als wir jetzt sind. Wir können unser "beschauliches
Stillleben" (wie Prof. Buys es nennt) nicht fortsetzen, ohne in die Gefahr
.zu kommen, in den Todesschlaf zu fallen. Aber woher die Kraft
zu einem neuen Leben nehmen? Wie soll der Entschluß geboren wer¬
den und zur That heranreifen, um mit der Vergangenheit mit einem
Male zu brechen? Daß diese Frage sehr berechtigt ist. obgleich wir
nicht im Stande sind, sie genügend zu beantworten, wird bei einer nähern
Beleuchtung der hiesigen Zustände erklärlich. Denn trotz des Mißbehagens,
das wir empfinden, ist der größte Theil der Nation doch noch weit davon
entfernt, ihre Lage zu begreifen. Man will sich nicht gestehen, daß fast Alles
bei uns an Schlaffheit und Halbheit leidet, die jeden energischen Fortschritt
hemmt.

Man denkt, daß die Dinge sich von selbst entwickeln werden, -- auf


wie kein Zweiter, den er liebt wie kein Zweiter, und den er deshalb auch
schildert wie kein Zweiter. Hier sind die starken Wurzeln seiner Kraft.

Ich habe bisher beinahe mehr von den Mängeln und Schwächen des
Werks als, von den Vorzügen und Tugenden desselben gesprochen, und da¬
durch vielleicht dem Leser ein falsches Bild gegeben; denn die Vorzüge über¬
wiegen unendlich die Mängel. Sprechen wir nun, um den Fehler wieder gut
zu machen, von den Vorzügen.

(Schluß folgt.)




Kossand in Uoth.
i.

Daß wir hier täglich darüber nachdenken, was aus unserm kleinen Staate
nach den Begebenheiten und Erfahrungen der letzten Monate werden soll, ist
einleuchtend. Aber die Antwort auf diese Frage ist nicht so einfach. Daß
unser bisheriger Zustand nicht bleiben kann, ist selbstredend. Die Gegensätze
zwischen den Nationalitäten sind einerseits bedeutend verschärft, die verschie¬
denen Charaktere der Völker haben sich deutlicher gezeichnet und geschieden,
andere fühlen sich wieder mehr zu einander angezogen.

Betrachten wir unser Verhältniß zum Ausland, oder wenden wir unsere
Augen auf unsere inneren Angelegenheiten, dann ergreift uns Mißbehagen,
und Unzufriedenheit mit der Gegenwart. Wir fühlen, daß etwas Anderes
aus uns werden muß, als wir jetzt sind. Wir können unser „beschauliches
Stillleben" (wie Prof. Buys es nennt) nicht fortsetzen, ohne in die Gefahr
.zu kommen, in den Todesschlaf zu fallen. Aber woher die Kraft
zu einem neuen Leben nehmen? Wie soll der Entschluß geboren wer¬
den und zur That heranreifen, um mit der Vergangenheit mit einem
Male zu brechen? Daß diese Frage sehr berechtigt ist. obgleich wir
nicht im Stande sind, sie genügend zu beantworten, wird bei einer nähern
Beleuchtung der hiesigen Zustände erklärlich. Denn trotz des Mißbehagens,
das wir empfinden, ist der größte Theil der Nation doch noch weit davon
entfernt, ihre Lage zu begreifen. Man will sich nicht gestehen, daß fast Alles
bei uns an Schlaffheit und Halbheit leidet, die jeden energischen Fortschritt
hemmt.

Man denkt, daß die Dinge sich von selbst entwickeln werden, — auf


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[0069] wie kein Zweiter, den er liebt wie kein Zweiter, und den er deshalb auch schildert wie kein Zweiter. Hier sind die starken Wurzeln seiner Kraft. Ich habe bisher beinahe mehr von den Mängeln und Schwächen des Werks als, von den Vorzügen und Tugenden desselben gesprochen, und da¬ durch vielleicht dem Leser ein falsches Bild gegeben; denn die Vorzüge über¬ wiegen unendlich die Mängel. Sprechen wir nun, um den Fehler wieder gut zu machen, von den Vorzügen. (Schluß folgt.) Kossand in Uoth. i. Daß wir hier täglich darüber nachdenken, was aus unserm kleinen Staate nach den Begebenheiten und Erfahrungen der letzten Monate werden soll, ist einleuchtend. Aber die Antwort auf diese Frage ist nicht so einfach. Daß unser bisheriger Zustand nicht bleiben kann, ist selbstredend. Die Gegensätze zwischen den Nationalitäten sind einerseits bedeutend verschärft, die verschie¬ denen Charaktere der Völker haben sich deutlicher gezeichnet und geschieden, andere fühlen sich wieder mehr zu einander angezogen. Betrachten wir unser Verhältniß zum Ausland, oder wenden wir unsere Augen auf unsere inneren Angelegenheiten, dann ergreift uns Mißbehagen, und Unzufriedenheit mit der Gegenwart. Wir fühlen, daß etwas Anderes aus uns werden muß, als wir jetzt sind. Wir können unser „beschauliches Stillleben" (wie Prof. Buys es nennt) nicht fortsetzen, ohne in die Gefahr .zu kommen, in den Todesschlaf zu fallen. Aber woher die Kraft zu einem neuen Leben nehmen? Wie soll der Entschluß geboren wer¬ den und zur That heranreifen, um mit der Vergangenheit mit einem Male zu brechen? Daß diese Frage sehr berechtigt ist. obgleich wir nicht im Stande sind, sie genügend zu beantworten, wird bei einer nähern Beleuchtung der hiesigen Zustände erklärlich. Denn trotz des Mißbehagens, das wir empfinden, ist der größte Theil der Nation doch noch weit davon entfernt, ihre Lage zu begreifen. Man will sich nicht gestehen, daß fast Alles bei uns an Schlaffheit und Halbheit leidet, die jeden energischen Fortschritt hemmt. Man denkt, daß die Dinge sich von selbst entwickeln werden, — auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/69>, abgerufen am 05.05.2024.