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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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Elsasser: "das müßte durchaus der Grundsatz der neuen Regierung sein, die
elsasser Beamten, die unter französischer Herrschaft Stellungen verwaltet
haben, in andere Landschaften zu versetzen, und an ihrer Statt aus diesen
Männer mit anderen Gesinnungen und Ansichten über den Rhein zu ver¬
pflanzen. Denn diese würden das französische Evangelium als Missionarien
einer heimlichen Propaganda immerfort predigen und die undeutsche und
welsche Gesinnung von Geschlecht zu Geschlecht erhalten."

(Fortsetzung folgt.)




Mit Recht kann man sagen, daß die Klerikalen, nach Miguels neulichen
Ausdruck, schon durch die Erfolge der deutschen Politik 1866-1870 "geschla¬
gen", nunmehr auch auf parlamentarischem Gebiete bittere Niederlagen davon¬
trugen. Wir dürfen diese Thatsache mit um so größerer Genugthuung be¬
grüßen, als die Redegefechte und Wortschlachten, welche wir meinen, von den
Ultramontanen geflissentlich provocirt worden sind. Fassen wir diese klerika¬
len Provokationen nochmals zusammen: Klerikale und Polen hatten den
Muth, für Gültigkeit der nur mit einer Majorität von 12 Stimmen in
Thorn-Culm erfolgten Wahl des Propstes Maranski zu streiten, da doch
notorisch 1100 meist deutsche Wähler durch eine Weichselüberschwemmung an
Ausübung ihres Wahlrechts gehindert waren; nach fast zweistündigem Schar¬
mützel wurde die Wahl cassirt. Am folgenden Tage, als über den Bau eines
Parlamentsgebäudes debattirt wurde, suchte sich der obscurere der Dioskuren
Reichensperger mit aller Gewalt durch das Verlangen nach christlich-germani¬
schem Styl zur Geltung zu bringen, wobei er jeden Collegen, der diesen Styl
nicht vorzöge, ziemlich unverblümt für einen "Heiden" erklärte. Bei der
Adreßdebatte fuhren die Römlinge ihr schweres Geschütz auf. Nacheinander
bekämpften Reichensperger, Ketteler und Windthorst das Princip der Nicht-
intervention, verkündeten sie das Eintreten des deutschen Reiches für die
weltliche Papstmacht als nationale Pflicht der Deutschen. Der Bischof von
Mainz erwies sich bei seinem Auftreten als geübter Kanzelredner, der mehr
auf das Gefühl als auf den Verstand seiner Zuhörer speculirt, und die intel-
lectuelle Ausbildung seines Auditoriums jedenfalls gering .anschlug, als er
frug: "Wollen Sie das Princip der Nichtintervention auch dann auf¬
recht erhalten, wenn die Republik San Salvador den Vertrag bricht, welchen
wir gestern in dritter Lesung angenommen haben?" Bemerkenswerth war bei
allen diesen parlamentarischen Actionen die vortrefflich organisirte


Elsasser: „das müßte durchaus der Grundsatz der neuen Regierung sein, die
elsasser Beamten, die unter französischer Herrschaft Stellungen verwaltet
haben, in andere Landschaften zu versetzen, und an ihrer Statt aus diesen
Männer mit anderen Gesinnungen und Ansichten über den Rhein zu ver¬
pflanzen. Denn diese würden das französische Evangelium als Missionarien
einer heimlichen Propaganda immerfort predigen und die undeutsche und
welsche Gesinnung von Geschlecht zu Geschlecht erhalten."

(Fortsetzung folgt.)




Mit Recht kann man sagen, daß die Klerikalen, nach Miguels neulichen
Ausdruck, schon durch die Erfolge der deutschen Politik 1866-1870 „geschla¬
gen", nunmehr auch auf parlamentarischem Gebiete bittere Niederlagen davon¬
trugen. Wir dürfen diese Thatsache mit um so größerer Genugthuung be¬
grüßen, als die Redegefechte und Wortschlachten, welche wir meinen, von den
Ultramontanen geflissentlich provocirt worden sind. Fassen wir diese klerika¬
len Provokationen nochmals zusammen: Klerikale und Polen hatten den
Muth, für Gültigkeit der nur mit einer Majorität von 12 Stimmen in
Thorn-Culm erfolgten Wahl des Propstes Maranski zu streiten, da doch
notorisch 1100 meist deutsche Wähler durch eine Weichselüberschwemmung an
Ausübung ihres Wahlrechts gehindert waren; nach fast zweistündigem Schar¬
mützel wurde die Wahl cassirt. Am folgenden Tage, als über den Bau eines
Parlamentsgebäudes debattirt wurde, suchte sich der obscurere der Dioskuren
Reichensperger mit aller Gewalt durch das Verlangen nach christlich-germani¬
schem Styl zur Geltung zu bringen, wobei er jeden Collegen, der diesen Styl
nicht vorzöge, ziemlich unverblümt für einen „Heiden" erklärte. Bei der
Adreßdebatte fuhren die Römlinge ihr schweres Geschütz auf. Nacheinander
bekämpften Reichensperger, Ketteler und Windthorst das Princip der Nicht-
intervention, verkündeten sie das Eintreten des deutschen Reiches für die
weltliche Papstmacht als nationale Pflicht der Deutschen. Der Bischof von
Mainz erwies sich bei seinem Auftreten als geübter Kanzelredner, der mehr
auf das Gefühl als auf den Verstand seiner Zuhörer speculirt, und die intel-
lectuelle Ausbildung seines Auditoriums jedenfalls gering .anschlug, als er
frug: „Wollen Sie das Princip der Nichtintervention auch dann auf¬
recht erhalten, wenn die Republik San Salvador den Vertrag bricht, welchen
wir gestern in dritter Lesung angenommen haben?" Bemerkenswerth war bei
allen diesen parlamentarischen Actionen die vortrefflich organisirte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/152>, abgerufen am 30.04.2024.