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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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darauf verzichtet haben, den Nationalhaß in Frankreich gegen Deutschland
ferner aufzustacheln. Wer weiß, ob der französische Klerus nicht Auftrag er¬
halten hätte, die Freundschaft mit dem kaiserlichen Deutschland dem französi¬
schen Volke zu empfehlen, versteht sich mit dem Zusatz, daß dieses Deutschland
wie der Freund der wahren Kirche, so auch der Freund des wahren d. h. des
bourbonischen Königthums sei.

Die ultramontane Politik war in der Lage, die deutschfeindlichen Ele¬
mente in Italien, Frankreich, Oesterreich und auf dem deutschen Boden selbst
entweder sogleich im Zaum zu halten, oder kräftiger als je anzutreiben. Sie
mußte schnell wissen, was zu thun sei. Denn bei fortgesetzten Angriffen auf
das deutsche Reich durste sie nicht hoffen, die Leiter desselben für sich zu ge¬
winnen. Aber ohne zu wissen, daß dieses Reich zu einem lebensgefährlichen
Bund mit ihr bereit sei, durfte diese Politik ihre alten deutschfeindlichen
Werkzeuge auch nicht säumig werden lassen. Denn als unabhängige Macht
befestigt, bleibt dieses Reich für den Ultramontanismus die größte Gefahr.
So war eine schnelle und entscheidende Recognoscirung geboten. Auf diplo¬
matischem Wege konnte sie nicht mit Erfolg unternommen werden. So ist
sie auf den Boden des Reichstags verlegt worden und hat zu einem Ergeb¬
niß geführt, das wenigstens an Deutlichkeit nichts zu wünschen läßt, wenn
die Veranstalter der Recognoscirung es auch gern von anderer Beschaffenheit
C--r. gesehen hätten.




Unser letzter Bericht über die katholische Kirchenfrage bedarf einer Er¬
gänzung mit Rücksicht aus die seit Döllingers Vorgehen eingetretene Sach¬
lage. Bischof Hefele hat nämlich der Entziehung der Quinquennalfacultäten
unerachtet das Concilsdecret bis jetzt nicht publicirt, scheint aber auch das ihm
in neuester Zeit von München aus unter der Hand gemachte Ansinnen, als ein¬
ziger bis jetzt noch renitenter deutscher Bischof sich an die Spitze eines Schis¬
ma's zu stellen und so zur Gründung einer deutschen Nationalkirche mitzu¬
wirken, mit Rücksicht auf die Hoffnungslosigkeit eines solchen Unternehmens
entschieden abzulehnen. Er zieht wie wir hören vor, der Alternative zwischen
Unterwerfung oder Schisma durch freiwillige Entsagung auf den Bischofs¬
stuhl auszuweichen, und möchte sich wieder auf eine -- aus sehr erklärlichen


darauf verzichtet haben, den Nationalhaß in Frankreich gegen Deutschland
ferner aufzustacheln. Wer weiß, ob der französische Klerus nicht Auftrag er¬
halten hätte, die Freundschaft mit dem kaiserlichen Deutschland dem französi¬
schen Volke zu empfehlen, versteht sich mit dem Zusatz, daß dieses Deutschland
wie der Freund der wahren Kirche, so auch der Freund des wahren d. h. des
bourbonischen Königthums sei.

Die ultramontane Politik war in der Lage, die deutschfeindlichen Ele¬
mente in Italien, Frankreich, Oesterreich und auf dem deutschen Boden selbst
entweder sogleich im Zaum zu halten, oder kräftiger als je anzutreiben. Sie
mußte schnell wissen, was zu thun sei. Denn bei fortgesetzten Angriffen auf
das deutsche Reich durste sie nicht hoffen, die Leiter desselben für sich zu ge¬
winnen. Aber ohne zu wissen, daß dieses Reich zu einem lebensgefährlichen
Bund mit ihr bereit sei, durfte diese Politik ihre alten deutschfeindlichen
Werkzeuge auch nicht säumig werden lassen. Denn als unabhängige Macht
befestigt, bleibt dieses Reich für den Ultramontanismus die größte Gefahr.
So war eine schnelle und entscheidende Recognoscirung geboten. Auf diplo¬
matischem Wege konnte sie nicht mit Erfolg unternommen werden. So ist
sie auf den Boden des Reichstags verlegt worden und hat zu einem Ergeb¬
niß geführt, das wenigstens an Deutlichkeit nichts zu wünschen läßt, wenn
die Veranstalter der Recognoscirung es auch gern von anderer Beschaffenheit
C—r. gesehen hätten.




Unser letzter Bericht über die katholische Kirchenfrage bedarf einer Er¬
gänzung mit Rücksicht aus die seit Döllingers Vorgehen eingetretene Sach¬
lage. Bischof Hefele hat nämlich der Entziehung der Quinquennalfacultäten
unerachtet das Concilsdecret bis jetzt nicht publicirt, scheint aber auch das ihm
in neuester Zeit von München aus unter der Hand gemachte Ansinnen, als ein¬
ziger bis jetzt noch renitenter deutscher Bischof sich an die Spitze eines Schis¬
ma's zu stellen und so zur Gründung einer deutschen Nationalkirche mitzu¬
wirken, mit Rücksicht auf die Hoffnungslosigkeit eines solchen Unternehmens
entschieden abzulehnen. Er zieht wie wir hören vor, der Alternative zwischen
Unterwerfung oder Schisma durch freiwillige Entsagung auf den Bischofs¬
stuhl auszuweichen, und möchte sich wieder auf eine — aus sehr erklärlichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/165>, abgerufen am 30.04.2024.