Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

welches das Prisenrecht Einzelnen zufügt, ist viel härter und empfindlicher
und fördert die Kriegführung, fördert den Zweck des Krieges in keiner Weise.
Oder hat etwa Frankreich um deswillen unserer Macht länger widerstanden,
weil seine Kriegsschiffe unserer Handelsmarine ungefähr 80 Fahrzeuge mit
ihren Ladungen theils genommen, theils zerstört haben? Ließen wir uns
etwa dadurch in unserem Siegeslauf auch nur einen Augenblick aufhalten,
daß unserer Handelsmarine außer diesem unmittelbaren Verluste, in Folge des
französischerseits beliebten Beharrens bei der Pariser Declaration, noch der
mittelbare Schaden des Brachliegens eines Capitals von ungefähr 80 Millionen
Thalern erwuchs? Gewiß, wir stehen uns auf alle Fälle besser bei der Pro-
clamation vom 18. Juli v. I., kraft deren diesseits auch auf das Recht des
offiziellen Seeraubes verzichtet wird. Wären wir unterlegen, so hätte unser
Gegner keine aus solchem Seerande erwachsene Ansprüche gegen uns zu liqui-
diren gehabt. Als Sieger dagegen durften wir nicht um für die gemachten
Prisen, sondern auch für alle indirecten, für alle Liege-Schäden, vom Gegner
Ersatz bis auf Heller und Pfennig fordern.

(Schluß folgt.)




Ariefe eines Deutschen an einen Schweizer.

Al.ter Freund!

Manchmal habe ich Deine und der Freunde letzte Briefe durchlesen, und
mich gefragt, ob möglich sei, daß man sich in sechs Monaten so fern treten
kann in den entscheidendsten Anschauungen zu den großen Ereignissen unsrer
Tage, nachdem man sich durch fünfzehn Jahre so nahe gestanden hatte?
Wir haben die ganze Zeit des Lernens hindurch zusammen auf einer
Schweizer Bank gesessen -- allerdings im wesentlichen zu den Füßen Deut¬
scher Lehrer -- aber doch immerhin in der Schweiz, Wir haben damals
unsre Arbeits- und Feststunden, und namentlich unsre Ausflüge in die Berge,
an die Seen der Schweiz stunden-, tage- und wochenlang gemeinsam getheilt.
Das giebt schon ein Band sür's halbe Leben. Aber mehr als das. Wir
sind uns auch jenseit der Hochschule fast ein Jahrzehnt treu geblieben. Jeder
hat dem Andern von seinem Wirken und seiner Entwicklung, seinem Fort¬
kommen und seiner Familie so oft gute Kunde gegeben, als der Pflicht Zeit
abgewonnen werden konnte. Wir haben uns wieder gesehen mehr als ein-


Grenzbotm I. 1871. 08

welches das Prisenrecht Einzelnen zufügt, ist viel härter und empfindlicher
und fördert die Kriegführung, fördert den Zweck des Krieges in keiner Weise.
Oder hat etwa Frankreich um deswillen unserer Macht länger widerstanden,
weil seine Kriegsschiffe unserer Handelsmarine ungefähr 80 Fahrzeuge mit
ihren Ladungen theils genommen, theils zerstört haben? Ließen wir uns
etwa dadurch in unserem Siegeslauf auch nur einen Augenblick aufhalten,
daß unserer Handelsmarine außer diesem unmittelbaren Verluste, in Folge des
französischerseits beliebten Beharrens bei der Pariser Declaration, noch der
mittelbare Schaden des Brachliegens eines Capitals von ungefähr 80 Millionen
Thalern erwuchs? Gewiß, wir stehen uns auf alle Fälle besser bei der Pro-
clamation vom 18. Juli v. I., kraft deren diesseits auch auf das Recht des
offiziellen Seeraubes verzichtet wird. Wären wir unterlegen, so hätte unser
Gegner keine aus solchem Seerande erwachsene Ansprüche gegen uns zu liqui-
diren gehabt. Als Sieger dagegen durften wir nicht um für die gemachten
Prisen, sondern auch für alle indirecten, für alle Liege-Schäden, vom Gegner
Ersatz bis auf Heller und Pfennig fordern.

(Schluß folgt.)




Ariefe eines Deutschen an einen Schweizer.

Al.ter Freund!

Manchmal habe ich Deine und der Freunde letzte Briefe durchlesen, und
mich gefragt, ob möglich sei, daß man sich in sechs Monaten so fern treten
kann in den entscheidendsten Anschauungen zu den großen Ereignissen unsrer
Tage, nachdem man sich durch fünfzehn Jahre so nahe gestanden hatte?
Wir haben die ganze Zeit des Lernens hindurch zusammen auf einer
Schweizer Bank gesessen — allerdings im wesentlichen zu den Füßen Deut¬
scher Lehrer — aber doch immerhin in der Schweiz, Wir haben damals
unsre Arbeits- und Feststunden, und namentlich unsre Ausflüge in die Berge,
an die Seen der Schweiz stunden-, tage- und wochenlang gemeinsam getheilt.
Das giebt schon ein Band sür's halbe Leben. Aber mehr als das. Wir
sind uns auch jenseit der Hochschule fast ein Jahrzehnt treu geblieben. Jeder
hat dem Andern von seinem Wirken und seiner Entwicklung, seinem Fort¬
kommen und seiner Familie so oft gute Kunde gegeben, als der Pflicht Zeit
abgewonnen werden konnte. Wir haben uns wieder gesehen mehr als ein-


Grenzbotm I. 1871. 08
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0017" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125799"/>
          <p xml:id="ID_39" prev="#ID_38"> welches das Prisenrecht Einzelnen zufügt, ist viel härter und empfindlicher<lb/>
und fördert die Kriegführung, fördert den Zweck des Krieges in keiner Weise.<lb/>
Oder hat etwa Frankreich um deswillen unserer Macht länger widerstanden,<lb/>
weil seine Kriegsschiffe unserer Handelsmarine ungefähr 80 Fahrzeuge mit<lb/>
ihren Ladungen theils genommen, theils zerstört haben? Ließen wir uns<lb/>
etwa dadurch in unserem Siegeslauf auch nur einen Augenblick aufhalten,<lb/>
daß unserer Handelsmarine außer diesem unmittelbaren Verluste, in Folge des<lb/>
französischerseits beliebten Beharrens bei der Pariser Declaration, noch der<lb/>
mittelbare Schaden des Brachliegens eines Capitals von ungefähr 80 Millionen<lb/>
Thalern erwuchs? Gewiß, wir stehen uns auf alle Fälle besser bei der Pro-<lb/>
clamation vom 18. Juli v. I., kraft deren diesseits auch auf das Recht des<lb/>
offiziellen Seeraubes verzichtet wird. Wären wir unterlegen, so hätte unser<lb/>
Gegner keine aus solchem Seerande erwachsene Ansprüche gegen uns zu liqui-<lb/>
diren gehabt. Als Sieger dagegen durften wir nicht um für die gemachten<lb/>
Prisen, sondern auch für alle indirecten, für alle Liege-Schäden, vom Gegner<lb/>
Ersatz bis auf Heller und Pfennig fordern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_40"> (Schluß folgt.)</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Ariefe eines Deutschen an einen Schweizer.</head><lb/>
          <note type="salute"> Al.ter Freund!</note><lb/>
          <p xml:id="ID_41" next="#ID_42"> Manchmal habe ich Deine und der Freunde letzte Briefe durchlesen, und<lb/>
mich gefragt, ob möglich sei, daß man sich in sechs Monaten so fern treten<lb/>
kann in den entscheidendsten Anschauungen zu den großen Ereignissen unsrer<lb/>
Tage, nachdem man sich durch fünfzehn Jahre so nahe gestanden hatte?<lb/>
Wir haben die ganze Zeit des Lernens hindurch zusammen auf einer<lb/>
Schweizer Bank gesessen &#x2014; allerdings im wesentlichen zu den Füßen Deut¬<lb/>
scher Lehrer &#x2014; aber doch immerhin in der Schweiz, Wir haben damals<lb/>
unsre Arbeits- und Feststunden, und namentlich unsre Ausflüge in die Berge,<lb/>
an die Seen der Schweiz stunden-, tage- und wochenlang gemeinsam getheilt.<lb/>
Das giebt schon ein Band sür's halbe Leben. Aber mehr als das. Wir<lb/>
sind uns auch jenseit der Hochschule fast ein Jahrzehnt treu geblieben. Jeder<lb/>
hat dem Andern von seinem Wirken und seiner Entwicklung, seinem Fort¬<lb/>
kommen und seiner Familie so oft gute Kunde gegeben, als der Pflicht Zeit<lb/>
abgewonnen werden konnte. Wir haben uns wieder gesehen mehr als ein-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzbotm I. 1871. 08</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0017] welches das Prisenrecht Einzelnen zufügt, ist viel härter und empfindlicher und fördert die Kriegführung, fördert den Zweck des Krieges in keiner Weise. Oder hat etwa Frankreich um deswillen unserer Macht länger widerstanden, weil seine Kriegsschiffe unserer Handelsmarine ungefähr 80 Fahrzeuge mit ihren Ladungen theils genommen, theils zerstört haben? Ließen wir uns etwa dadurch in unserem Siegeslauf auch nur einen Augenblick aufhalten, daß unserer Handelsmarine außer diesem unmittelbaren Verluste, in Folge des französischerseits beliebten Beharrens bei der Pariser Declaration, noch der mittelbare Schaden des Brachliegens eines Capitals von ungefähr 80 Millionen Thalern erwuchs? Gewiß, wir stehen uns auf alle Fälle besser bei der Pro- clamation vom 18. Juli v. I., kraft deren diesseits auch auf das Recht des offiziellen Seeraubes verzichtet wird. Wären wir unterlegen, so hätte unser Gegner keine aus solchem Seerande erwachsene Ansprüche gegen uns zu liqui- diren gehabt. Als Sieger dagegen durften wir nicht um für die gemachten Prisen, sondern auch für alle indirecten, für alle Liege-Schäden, vom Gegner Ersatz bis auf Heller und Pfennig fordern. (Schluß folgt.) Ariefe eines Deutschen an einen Schweizer. Al.ter Freund! Manchmal habe ich Deine und der Freunde letzte Briefe durchlesen, und mich gefragt, ob möglich sei, daß man sich in sechs Monaten so fern treten kann in den entscheidendsten Anschauungen zu den großen Ereignissen unsrer Tage, nachdem man sich durch fünfzehn Jahre so nahe gestanden hatte? Wir haben die ganze Zeit des Lernens hindurch zusammen auf einer Schweizer Bank gesessen — allerdings im wesentlichen zu den Füßen Deut¬ scher Lehrer — aber doch immerhin in der Schweiz, Wir haben damals unsre Arbeits- und Feststunden, und namentlich unsre Ausflüge in die Berge, an die Seen der Schweiz stunden-, tage- und wochenlang gemeinsam getheilt. Das giebt schon ein Band sür's halbe Leben. Aber mehr als das. Wir sind uns auch jenseit der Hochschule fast ein Jahrzehnt treu geblieben. Jeder hat dem Andern von seinem Wirken und seiner Entwicklung, seinem Fort¬ kommen und seiner Familie so oft gute Kunde gegeben, als der Pflicht Zeit abgewonnen werden konnte. Wir haben uns wieder gesehen mehr als ein- Grenzbotm I. 1871. 08

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/17
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/17>, abgerufen am 30.04.2024.