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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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Heftreichische Der fassungswirren.

Was will die gegenwärtige östreichische Regierung? Ueber einen Punkt
dürfte man im liberalen sowohl als reactionären Lager unbedingt einig sein,
daß nämlich den jetzigen Ministern die Beseitigung der Verfassung als das
Ziel erscheint, das aufs innigste zu wünschen sei. Lauter Lüge und Ver¬
leumdung, erwiedern die Offiziellen. Die Leiter unserer Verwaltung -- die
sichtbaren wie die unsichtbaren -- wollen nur den Ausgleich', den innern
Frieden, eine nach allen Seiten gerechte Constituirung des Reiches. Und
wann hätten sie nicht diesen edlen Zweck verfolgt, die leuchtenden Meteore
am nächtlichen Himmel unserer Politik, die Pillersdorff und Bombelles, die
Stadion und Schwarzenberg, die Bach Und Leo Thun, die Goluchowski,
Schmerling, Belcredi und Beust, selbst Taaffe, Potocki und Hohenwart? Frei¬
sinnig waren und sind sie alle, der eine etwas mehr, der andere weniger; die
gewöhnliche constitutionelle Schablone paßt eben nicht für Oestreich: und
dafür lieferte ein jeder der Herren in feiner Weise schätzbare Belege.

Zuerst Pillersdorf, der Ahnherr des östreichischen Constitutionalismus,
dessen Grundzüge er der belgischen Charte nachschrieb. Am 23. April
1848 wurden sie verkündet, aber schon am 13. Mai der constituirenden
Reichsversammlung überantwortet. Von den Arbeiten, die diese zu Stande
brachte, war nur die Grundentlastung von Dauer, sie zurückzunehmen
trug man selbst nach der Niederkämpfung der Octoberrevolution Beden¬
ken. Das Verfassungswerk war eben vom Ausschüsse zu Stande gebracht,
und sollte am 13. März 1849 zur ersten Lesung kommen, als Stadion,
erbittert über die Theorie der vom Volke ausgehenden Staatsgewalten, die
"Handvoll Taugenichtse" in Kremsier mit Militärgewalt auseinanderjagte.
Als probehaltig erwies sich jedoch auch der nunmehr octroyirte Act vom
4. März nicht, denn nach dem Rundschreiben Schwarzenbergs vom Sep¬
tember 1851 fehlte es damals an Zeit zur Untersuchung der Grundsätze; die
Ausführung der Charte war eine Unmöglichkeit, die Fiction, die sie unter¬
hielt, mußte aufhören, und der aus seinem Vorleben als ein Mann von den
ritterlichsten Manieren bekannte Ministerpräsident stand nicht an zu erklären,
der Kaiser habe in Betreff der Verfassung "weder durch einen Eid noch durch
eine Verzichtleistung aus einen Theil seiner Herrschergewalt irgend welche Ver¬
bindlichkeit übernommen."

An Stelle der Verfassung trat nun ein Pact mit dem Papste als stärk¬
stes Bindemittel für den Polyglotten Staat. Leo Thun, der Vater des Con-
cordates, und Alexander Bach, der dem Kaiser Ferdinand im März 1848
nur fünf Minuten Bedenkzeit zur Entlassung Metternichs gönnte, blieben


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Heftreichische Der fassungswirren.

Was will die gegenwärtige östreichische Regierung? Ueber einen Punkt
dürfte man im liberalen sowohl als reactionären Lager unbedingt einig sein,
daß nämlich den jetzigen Ministern die Beseitigung der Verfassung als das
Ziel erscheint, das aufs innigste zu wünschen sei. Lauter Lüge und Ver¬
leumdung, erwiedern die Offiziellen. Die Leiter unserer Verwaltung — die
sichtbaren wie die unsichtbaren — wollen nur den Ausgleich', den innern
Frieden, eine nach allen Seiten gerechte Constituirung des Reiches. Und
wann hätten sie nicht diesen edlen Zweck verfolgt, die leuchtenden Meteore
am nächtlichen Himmel unserer Politik, die Pillersdorff und Bombelles, die
Stadion und Schwarzenberg, die Bach Und Leo Thun, die Goluchowski,
Schmerling, Belcredi und Beust, selbst Taaffe, Potocki und Hohenwart? Frei¬
sinnig waren und sind sie alle, der eine etwas mehr, der andere weniger; die
gewöhnliche constitutionelle Schablone paßt eben nicht für Oestreich: und
dafür lieferte ein jeder der Herren in feiner Weise schätzbare Belege.

Zuerst Pillersdorf, der Ahnherr des östreichischen Constitutionalismus,
dessen Grundzüge er der belgischen Charte nachschrieb. Am 23. April
1848 wurden sie verkündet, aber schon am 13. Mai der constituirenden
Reichsversammlung überantwortet. Von den Arbeiten, die diese zu Stande
brachte, war nur die Grundentlastung von Dauer, sie zurückzunehmen
trug man selbst nach der Niederkämpfung der Octoberrevolution Beden¬
ken. Das Verfassungswerk war eben vom Ausschüsse zu Stande gebracht,
und sollte am 13. März 1849 zur ersten Lesung kommen, als Stadion,
erbittert über die Theorie der vom Volke ausgehenden Staatsgewalten, die
„Handvoll Taugenichtse" in Kremsier mit Militärgewalt auseinanderjagte.
Als probehaltig erwies sich jedoch auch der nunmehr octroyirte Act vom
4. März nicht, denn nach dem Rundschreiben Schwarzenbergs vom Sep¬
tember 1851 fehlte es damals an Zeit zur Untersuchung der Grundsätze; die
Ausführung der Charte war eine Unmöglichkeit, die Fiction, die sie unter¬
hielt, mußte aufhören, und der aus seinem Vorleben als ein Mann von den
ritterlichsten Manieren bekannte Ministerpräsident stand nicht an zu erklären,
der Kaiser habe in Betreff der Verfassung „weder durch einen Eid noch durch
eine Verzichtleistung aus einen Theil seiner Herrschergewalt irgend welche Ver¬
bindlichkeit übernommen."

An Stelle der Verfassung trat nun ein Pact mit dem Papste als stärk¬
stes Bindemittel für den Polyglotten Staat. Leo Thun, der Vater des Con-
cordates, und Alexander Bach, der dem Kaiser Ferdinand im März 1848
nur fünf Minuten Bedenkzeit zur Entlassung Metternichs gönnte, blieben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/201>, abgerufen am 30.04.2024.