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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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Was zusammen ward geröthet
Unter Druck und Jammer;
Daß die Freiheit und der Friede
Stets es mehr zusammenschmiede!



Z)le pariser Aasson- und Taubenposten.*)

Am 2. September 1870 ging das Napoleonische Heer bei Sedan durch
die caudinischen Pässe. Die deutschen Armeen aber rückten in unaufgehaltenem
Siegeslaufe gegen Paris, die "heilige Stadt" Victor Hugo's. Trostlose
Aussichten für die Gloire der großen Nation, als die Umgegend der Metro¬
pole sich entvölkerte, die "Stutzer von Gonesse" nicht mehr auf den Boule¬
vards erschienen, als die Bewohner all der prachtvollen Landhäuser mit ihren
Claude Lorrain's und Poussin's in überstürzter Eile sich in die Enceinte
hineinflüchteten, als das Bois de Boulogne und Longchamps verödeten, als
endlich der eiserne Gürtel mit unerbittlicher Umklammerung sich fester und
fester zusammenzog. Paris "das Gehirn der Welt" abgeschnitten, in trauriger
Isolirung von den Nachkommen der Cimbern und Teutonen gehalten, welch
ein Attentat, ungeheuerlich, gigantisch! Noch einmal wurde der Pelion auf
den Ossa gethürmt! Guter Bourgeois, wenn Du sonst bei Deiner Morgen¬
chokolade die Courszettel studirtest, die Correspondenz überflogst und Tele¬
gramme aus allen Weltgegegenden vor Dir liegen sahst, -- Dank der sinn¬
verwirrenden Nachtarbeit müder Augen, die Dir diese Annehmlichkeiten der
Civilisation verschafft hatte --, würde es Dir je in den Sinn gekommen sein
zu fürchten, daß auf einmal die süße Gewohnheit des Daseins zur Chimäre
werden könnte! Und doch war er jetzt vor Deinen Thoren, der Schrecken
römischer Säuglinge, -- Hannibal! Was half es, daß Du heroisch, sublim
wärest, würdig der Dithyramben des Dichters der MLörMcs,-- verstummt
war der gellende Pfiff der Locomotiven, die sonst von Marseille, Lyon, Brüssel
und Straßburg herankeuchten, das Flüstern der Telegraphendrähte schuf keine
geheimnißvollen Accorde mehr; am 18. September war die letzte Post abge¬
gangen, am 19. September trieben die deutschen Barbaren zum ersten Male
die Pariser Post zurück.

Doch ein Ausweg mußte aus diesem Chaos gefunden werden! Die
feinsten Köpfe, die Nestoren der Wissenschaft, Verwaltungschefs, Techniker,



") Nach den Berichten des ^ouriml vNeiol as la RvMdliqus drall^ise.
Was zusammen ward geröthet
Unter Druck und Jammer;
Daß die Freiheit und der Friede
Stets es mehr zusammenschmiede!



Z)le pariser Aasson- und Taubenposten.*)

Am 2. September 1870 ging das Napoleonische Heer bei Sedan durch
die caudinischen Pässe. Die deutschen Armeen aber rückten in unaufgehaltenem
Siegeslaufe gegen Paris, die „heilige Stadt" Victor Hugo's. Trostlose
Aussichten für die Gloire der großen Nation, als die Umgegend der Metro¬
pole sich entvölkerte, die „Stutzer von Gonesse" nicht mehr auf den Boule¬
vards erschienen, als die Bewohner all der prachtvollen Landhäuser mit ihren
Claude Lorrain's und Poussin's in überstürzter Eile sich in die Enceinte
hineinflüchteten, als das Bois de Boulogne und Longchamps verödeten, als
endlich der eiserne Gürtel mit unerbittlicher Umklammerung sich fester und
fester zusammenzog. Paris „das Gehirn der Welt" abgeschnitten, in trauriger
Isolirung von den Nachkommen der Cimbern und Teutonen gehalten, welch
ein Attentat, ungeheuerlich, gigantisch! Noch einmal wurde der Pelion auf
den Ossa gethürmt! Guter Bourgeois, wenn Du sonst bei Deiner Morgen¬
chokolade die Courszettel studirtest, die Correspondenz überflogst und Tele¬
gramme aus allen Weltgegegenden vor Dir liegen sahst, — Dank der sinn¬
verwirrenden Nachtarbeit müder Augen, die Dir diese Annehmlichkeiten der
Civilisation verschafft hatte —, würde es Dir je in den Sinn gekommen sein
zu fürchten, daß auf einmal die süße Gewohnheit des Daseins zur Chimäre
werden könnte! Und doch war er jetzt vor Deinen Thoren, der Schrecken
römischer Säuglinge, — Hannibal! Was half es, daß Du heroisch, sublim
wärest, würdig der Dithyramben des Dichters der MLörMcs,— verstummt
war der gellende Pfiff der Locomotiven, die sonst von Marseille, Lyon, Brüssel
und Straßburg herankeuchten, das Flüstern der Telegraphendrähte schuf keine
geheimnißvollen Accorde mehr; am 18. September war die letzte Post abge¬
gangen, am 19. September trieben die deutschen Barbaren zum ersten Male
die Pariser Post zurück.

Doch ein Ausweg mußte aus diesem Chaos gefunden werden! Die
feinsten Köpfe, die Nestoren der Wissenschaft, Verwaltungschefs, Techniker,



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[0223] Was zusammen ward geröthet Unter Druck und Jammer; Daß die Freiheit und der Friede Stets es mehr zusammenschmiede! Z)le pariser Aasson- und Taubenposten.*) Am 2. September 1870 ging das Napoleonische Heer bei Sedan durch die caudinischen Pässe. Die deutschen Armeen aber rückten in unaufgehaltenem Siegeslaufe gegen Paris, die „heilige Stadt" Victor Hugo's. Trostlose Aussichten für die Gloire der großen Nation, als die Umgegend der Metro¬ pole sich entvölkerte, die „Stutzer von Gonesse" nicht mehr auf den Boule¬ vards erschienen, als die Bewohner all der prachtvollen Landhäuser mit ihren Claude Lorrain's und Poussin's in überstürzter Eile sich in die Enceinte hineinflüchteten, als das Bois de Boulogne und Longchamps verödeten, als endlich der eiserne Gürtel mit unerbittlicher Umklammerung sich fester und fester zusammenzog. Paris „das Gehirn der Welt" abgeschnitten, in trauriger Isolirung von den Nachkommen der Cimbern und Teutonen gehalten, welch ein Attentat, ungeheuerlich, gigantisch! Noch einmal wurde der Pelion auf den Ossa gethürmt! Guter Bourgeois, wenn Du sonst bei Deiner Morgen¬ chokolade die Courszettel studirtest, die Correspondenz überflogst und Tele¬ gramme aus allen Weltgegegenden vor Dir liegen sahst, — Dank der sinn¬ verwirrenden Nachtarbeit müder Augen, die Dir diese Annehmlichkeiten der Civilisation verschafft hatte —, würde es Dir je in den Sinn gekommen sein zu fürchten, daß auf einmal die süße Gewohnheit des Daseins zur Chimäre werden könnte! Und doch war er jetzt vor Deinen Thoren, der Schrecken römischer Säuglinge, — Hannibal! Was half es, daß Du heroisch, sublim wärest, würdig der Dithyramben des Dichters der MLörMcs,— verstummt war der gellende Pfiff der Locomotiven, die sonst von Marseille, Lyon, Brüssel und Straßburg herankeuchten, das Flüstern der Telegraphendrähte schuf keine geheimnißvollen Accorde mehr; am 18. September war die letzte Post abge¬ gangen, am 19. September trieben die deutschen Barbaren zum ersten Male die Pariser Post zurück. Doch ein Ausweg mußte aus diesem Chaos gefunden werden! Die feinsten Köpfe, die Nestoren der Wissenschaft, Verwaltungschefs, Techniker, ") Nach den Berichten des ^ouriml vNeiol as la RvMdliqus drall^ise.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/223>, abgerufen am 30.04.2024.