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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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Jas Schloß zu IrucM

Fast jede größere Stadt besitzt heutzutage ein Kunstmuseum, d. h. eine
Sammlung von Werken der Sculptur und der Malerei, aber erst das ganze
Land ist ein Museum der Baukunst, denn die Beispiele der Ornamentik, die
zuweilen in den Museen aufgespeichert werden, zeugen für den Laien doch
nicht viel mehr von den Bauten, denen sie angehören, als der Backstein, den
der Verkäufer in der uralten Geschichte als Probe seines Hauses producirt.
Es ist nun sehr zu bedauern, wenn die Verwalter dieses großen Museums
der Architektur nicht von jenem Geiste der stylistischen Toleranz durchdrungen
sind, durch den die Errichtung eines jeden kunsthistorischen Museums bedingt
wird.

Für den Forscher sind alle Style nothwendig gleichberechtigte Glieder in
der langen Kette der architektonischen Ueberlieferung, die vom alten Hellas
bis auf uns herabreicht. -- Leider treten aber die meisten Historiker der Bau¬
kunst, die tonangebenden Persönlichkeiten selber ein in die Schranken und
nehmen Theil an dem Kampfe, den die werkthätigen Anhänger der histori¬
schen Baustyle führen. Der alleinseligmachende Styl, sei es nun christlich,
germanischer, Gothik oder Renaissance, oder sonst was, wird in den Himmel
erhoben und die Denkmäler dieses Styls restaurirt. Alles Uebrige, nament¬
lich aber das chronologisch zunächst auf diese Blüthezeit Folgende wird über
Gebühr gering geschätzt und verachtet. So wird die Geschichte der Baukunst
nicht als ein zusammenhängendes Ganze aufgefaßt, nicht als eine Reihe von
Offenbarungen desselben schaffenden Geistes, von denen jede für das Studium
belehrend sein muß -- und erst recht, wenn sich herausstellen sollte, daß sie
als kunstpathologische Erscheinung zu betrachten sei: es wird im Gegentheil
die Reihe der Denkmäler als eine Musterkarte betrachtet, von der wir uns
Dasjenige, was uns gefällt, aussuchen und das Uebrige als unnützen Plun¬
der der Zerstörung Preis geben sollen. -- Bei diesem Verfahren fährt nun
wohl kein Styl schlechter als das Roeoceo, für das kein Unterkommen ist bei
unserer in das classische und romantische Feldlager gespaltenen Architektenwelt.

Die Denkmäler dieser Periode werden verschrieen, vernachlässigt, vergessen
und schließlich abgebrochen oder gar umgebaut, wie das folgende Beispiel
zeigen soll, ohne daß sich die maßgebenden Personen darüber grämen. Die
Gegenwart verschmerzt leicht solche Verluste; aber die Nachwelt, welche das
Studium der Baukunst vielleicht anders betreiben wird als wir, wird einst
unser Leichtsinn zu schweren Borwürfen berechtigen. Den Dresdner Zwinger
hat uns Semper erhalten und man kann die Gemäldegallerie nicht betreten,
ohne seine Arkaden und Kuppeln zu sehen, andere kaum minder wichtige


Jas Schloß zu IrucM

Fast jede größere Stadt besitzt heutzutage ein Kunstmuseum, d. h. eine
Sammlung von Werken der Sculptur und der Malerei, aber erst das ganze
Land ist ein Museum der Baukunst, denn die Beispiele der Ornamentik, die
zuweilen in den Museen aufgespeichert werden, zeugen für den Laien doch
nicht viel mehr von den Bauten, denen sie angehören, als der Backstein, den
der Verkäufer in der uralten Geschichte als Probe seines Hauses producirt.
Es ist nun sehr zu bedauern, wenn die Verwalter dieses großen Museums
der Architektur nicht von jenem Geiste der stylistischen Toleranz durchdrungen
sind, durch den die Errichtung eines jeden kunsthistorischen Museums bedingt
wird.

Für den Forscher sind alle Style nothwendig gleichberechtigte Glieder in
der langen Kette der architektonischen Ueberlieferung, die vom alten Hellas
bis auf uns herabreicht. — Leider treten aber die meisten Historiker der Bau¬
kunst, die tonangebenden Persönlichkeiten selber ein in die Schranken und
nehmen Theil an dem Kampfe, den die werkthätigen Anhänger der histori¬
schen Baustyle führen. Der alleinseligmachende Styl, sei es nun christlich,
germanischer, Gothik oder Renaissance, oder sonst was, wird in den Himmel
erhoben und die Denkmäler dieses Styls restaurirt. Alles Uebrige, nament¬
lich aber das chronologisch zunächst auf diese Blüthezeit Folgende wird über
Gebühr gering geschätzt und verachtet. So wird die Geschichte der Baukunst
nicht als ein zusammenhängendes Ganze aufgefaßt, nicht als eine Reihe von
Offenbarungen desselben schaffenden Geistes, von denen jede für das Studium
belehrend sein muß — und erst recht, wenn sich herausstellen sollte, daß sie
als kunstpathologische Erscheinung zu betrachten sei: es wird im Gegentheil
die Reihe der Denkmäler als eine Musterkarte betrachtet, von der wir uns
Dasjenige, was uns gefällt, aussuchen und das Uebrige als unnützen Plun¬
der der Zerstörung Preis geben sollen. — Bei diesem Verfahren fährt nun
wohl kein Styl schlechter als das Roeoceo, für das kein Unterkommen ist bei
unserer in das classische und romantische Feldlager gespaltenen Architektenwelt.

Die Denkmäler dieser Periode werden verschrieen, vernachlässigt, vergessen
und schließlich abgebrochen oder gar umgebaut, wie das folgende Beispiel
zeigen soll, ohne daß sich die maßgebenden Personen darüber grämen. Die
Gegenwart verschmerzt leicht solche Verluste; aber die Nachwelt, welche das
Studium der Baukunst vielleicht anders betreiben wird als wir, wird einst
unser Leichtsinn zu schweren Borwürfen berechtigen. Den Dresdner Zwinger
hat uns Semper erhalten und man kann die Gemäldegallerie nicht betreten,
ohne seine Arkaden und Kuppeln zu sehen, andere kaum minder wichtige


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[0227] Jas Schloß zu IrucM Fast jede größere Stadt besitzt heutzutage ein Kunstmuseum, d. h. eine Sammlung von Werken der Sculptur und der Malerei, aber erst das ganze Land ist ein Museum der Baukunst, denn die Beispiele der Ornamentik, die zuweilen in den Museen aufgespeichert werden, zeugen für den Laien doch nicht viel mehr von den Bauten, denen sie angehören, als der Backstein, den der Verkäufer in der uralten Geschichte als Probe seines Hauses producirt. Es ist nun sehr zu bedauern, wenn die Verwalter dieses großen Museums der Architektur nicht von jenem Geiste der stylistischen Toleranz durchdrungen sind, durch den die Errichtung eines jeden kunsthistorischen Museums bedingt wird. Für den Forscher sind alle Style nothwendig gleichberechtigte Glieder in der langen Kette der architektonischen Ueberlieferung, die vom alten Hellas bis auf uns herabreicht. — Leider treten aber die meisten Historiker der Bau¬ kunst, die tonangebenden Persönlichkeiten selber ein in die Schranken und nehmen Theil an dem Kampfe, den die werkthätigen Anhänger der histori¬ schen Baustyle führen. Der alleinseligmachende Styl, sei es nun christlich, germanischer, Gothik oder Renaissance, oder sonst was, wird in den Himmel erhoben und die Denkmäler dieses Styls restaurirt. Alles Uebrige, nament¬ lich aber das chronologisch zunächst auf diese Blüthezeit Folgende wird über Gebühr gering geschätzt und verachtet. So wird die Geschichte der Baukunst nicht als ein zusammenhängendes Ganze aufgefaßt, nicht als eine Reihe von Offenbarungen desselben schaffenden Geistes, von denen jede für das Studium belehrend sein muß — und erst recht, wenn sich herausstellen sollte, daß sie als kunstpathologische Erscheinung zu betrachten sei: es wird im Gegentheil die Reihe der Denkmäler als eine Musterkarte betrachtet, von der wir uns Dasjenige, was uns gefällt, aussuchen und das Uebrige als unnützen Plun¬ der der Zerstörung Preis geben sollen. — Bei diesem Verfahren fährt nun wohl kein Styl schlechter als das Roeoceo, für das kein Unterkommen ist bei unserer in das classische und romantische Feldlager gespaltenen Architektenwelt. Die Denkmäler dieser Periode werden verschrieen, vernachlässigt, vergessen und schließlich abgebrochen oder gar umgebaut, wie das folgende Beispiel zeigen soll, ohne daß sich die maßgebenden Personen darüber grämen. Die Gegenwart verschmerzt leicht solche Verluste; aber die Nachwelt, welche das Studium der Baukunst vielleicht anders betreiben wird als wir, wird einst unser Leichtsinn zu schweren Borwürfen berechtigen. Den Dresdner Zwinger hat uns Semper erhalten und man kann die Gemäldegallerie nicht betreten, ohne seine Arkaden und Kuppeln zu sehen, andere kaum minder wichtige

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/227>, abgerufen am 30.04.2024.