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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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wohlfeile Lorbeeren zu thun und wenn seine Freunde von einem "glänzenden
Erfolge" sprechen, hat Niemand das Recht, sie Lügen zu strafen, denn das
Stück hat dem Publikum, für das es augenscheinlich bestimmt ist, allen
Ernstes gefallen, und wenn Herrn Schweitzers Grafen, Herzöge, Marquis und
Vicomtessen auch sprachlich auf einem viel niedriger bemessenen gesellschaftlichen
Niveau stehen, so ist doch das eben keine Eigenschaft, die von seinen Zu¬
hörern unweigerlich erheischt und als wesentlich gefordert wird.

Nicht ohne die Erwartung eines Zusammenstoßes feindlicher Gegensätze
innerhalb oder außerhalb der Bühne war ich nach dem Bellealliance-Theater
hinausgestolpert -- aber Alles sollte sich so fröhlich und friedlich auflösen, wie
es für die eminent friedliche Zeit sich geziemt, in der wir jetzt leben.


-- o - "W.


Me deutsche Aeichspost.

Wie die antike Welt mit ihrer auf Vernichtung der Individualität ge¬
richteten Staatstendenz ohne jene Einrichtung der Posten war, welche wir
jetzt als eine der herrlichsten Blüthen des nationalen Gemeinwesens nicht min¬
der , wie der völkerverbindenden Civilisation rühmen hören, so entbehrte auch
das Mittelalter Jahrhunderte hindurch dieses wichtigen Culturelements. Als
nach dem Vertrage von Verdun (843) das deutsche Reich von der Karolingi¬
schen Monarchie sich abzweigte, waren zwar spärliche Keime von Postanlagen
in den Boten-Anstalten vorhanden, welche das organisatorische Genie Karls
des Großen zur Verbindung der einzelnen Gebiete seines weiten Reichs ge¬
schaffen hatte. Diese Keime entbehrten aber der Kraft, sich lebendig zu ent¬
wickeln, weil das politische und geistige Leben der deutschen Stämme unter
dem Drucke der Feudalverfassung und dem nicht minder zusammenschnürenden
Einflüsse der Hierarchie und Scholastik fast zur Lethargie herabgesunken war.
Bei der Schwierigkeit der Communication fehlte jener breite und gewaltige Ver¬
kehrsstrom, welcher recht eigentlich die Signatur der neueren Zeitepoche bildet, gänz¬
lich. In der Abgeschlossenheit seiner Zünfte, die jede freie Bewegung auf gewerbli¬
chen Gebiete verhinderte, in der den Kasteiungen des Körpers geweihten, dem Leben
abgewandten Einsamkeit der Klöster, unter den Gewaltthätigkeiten seiner
Zwingherrn, die von ihren Burgen aus die Sicherheit des öffentlichen Rechrs-
zustandes vernichteten, fristete das Volk ein Dasein, dessen gesammter idealer
Inhalt fast ausschließlich in dem Glauben an kaum begriffene Religionsdog¬
men bestand.

Langer Zeit bedürfte es, bis sich in den Städten allmählig jene kleinen


wohlfeile Lorbeeren zu thun und wenn seine Freunde von einem „glänzenden
Erfolge" sprechen, hat Niemand das Recht, sie Lügen zu strafen, denn das
Stück hat dem Publikum, für das es augenscheinlich bestimmt ist, allen
Ernstes gefallen, und wenn Herrn Schweitzers Grafen, Herzöge, Marquis und
Vicomtessen auch sprachlich auf einem viel niedriger bemessenen gesellschaftlichen
Niveau stehen, so ist doch das eben keine Eigenschaft, die von seinen Zu¬
hörern unweigerlich erheischt und als wesentlich gefordert wird.

Nicht ohne die Erwartung eines Zusammenstoßes feindlicher Gegensätze
innerhalb oder außerhalb der Bühne war ich nach dem Bellealliance-Theater
hinausgestolpert — aber Alles sollte sich so fröhlich und friedlich auflösen, wie
es für die eminent friedliche Zeit sich geziemt, in der wir jetzt leben.


— o - "W.


Me deutsche Aeichspost.

Wie die antike Welt mit ihrer auf Vernichtung der Individualität ge¬
richteten Staatstendenz ohne jene Einrichtung der Posten war, welche wir
jetzt als eine der herrlichsten Blüthen des nationalen Gemeinwesens nicht min¬
der , wie der völkerverbindenden Civilisation rühmen hören, so entbehrte auch
das Mittelalter Jahrhunderte hindurch dieses wichtigen Culturelements. Als
nach dem Vertrage von Verdun (843) das deutsche Reich von der Karolingi¬
schen Monarchie sich abzweigte, waren zwar spärliche Keime von Postanlagen
in den Boten-Anstalten vorhanden, welche das organisatorische Genie Karls
des Großen zur Verbindung der einzelnen Gebiete seines weiten Reichs ge¬
schaffen hatte. Diese Keime entbehrten aber der Kraft, sich lebendig zu ent¬
wickeln, weil das politische und geistige Leben der deutschen Stämme unter
dem Drucke der Feudalverfassung und dem nicht minder zusammenschnürenden
Einflüsse der Hierarchie und Scholastik fast zur Lethargie herabgesunken war.
Bei der Schwierigkeit der Communication fehlte jener breite und gewaltige Ver¬
kehrsstrom, welcher recht eigentlich die Signatur der neueren Zeitepoche bildet, gänz¬
lich. In der Abgeschlossenheit seiner Zünfte, die jede freie Bewegung auf gewerbli¬
chen Gebiete verhinderte, in der den Kasteiungen des Körpers geweihten, dem Leben
abgewandten Einsamkeit der Klöster, unter den Gewaltthätigkeiten seiner
Zwingherrn, die von ihren Burgen aus die Sicherheit des öffentlichen Rechrs-
zustandes vernichteten, fristete das Volk ein Dasein, dessen gesammter idealer
Inhalt fast ausschließlich in dem Glauben an kaum begriffene Religionsdog¬
men bestand.

Langer Zeit bedürfte es, bis sich in den Städten allmählig jene kleinen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/274>, abgerufen am 30.04.2024.