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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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Argwohn der Bundesregierungen Nahrung geben könnte: dem Argwohn,
daß die Kai sergewalt sich außerhalb der Bundesregierungen und gegen die¬
selben im Laufe der Entwickelung des Reichs erheben solle. Aus diesem Be¬
dürfniß, dem antikaiserlichen Argwohn auszuweichen, ist der Borschlag ent¬
sprungen, den Bundesrath, man weiß nicht recht, ob zum Mitregenten oder
zum Quasiregenten der neuen Reichslande zu machen. Wenn der Reichstag
mit großer Mehrheit erklärt hätte: die Sicherstellung des so schwer zurückge¬
wonnenen alten Besitzes erfordert klare Regierungsverhältnisse; die Sicherstel¬
lung ist wichtiger, als das Vermeiden von einem Stück Argwohn unter den
Bundesgliedern; der Kaiser sei Souverän in Elsaß-Lothringen, die innere
Landesgesetzgebung sei des Kaisers und des Reichstags, oder auch des Kaisers
und einer zu schaffenden Landesvertretung -- so wäre vielleicht einem solchen
Beschluß, einer so deutlichen, auf den durchaus nationalen Grund der Sicher¬
stellung des nationalsten Erwerbes gestützten Erklärung kein Widerstand
entgegengetreten. Halbheiten aber, kleine Direktiven nach der oder jener Seite
sind nothwendig wirkungslos. Man mache sich die Frage klar: der Bundes¬
rath kann an der Regierung der unmittelbaren Reichslande entweder nur als
nomineller Souverän theilnehmen, oder er muß davon ausgeschlossen werden.
Es scheint uns ein richtiges Gefühl, dem einzelne Bund esrathsmitglieder Ausdruck
geliehen, daß der Bundesrath, der im Reich im Wesentlichen die souveräne
Gewalt darstellt, in einem einzelnen Reichsland nicht wohl als erste Kammer
fungiren kann. Die Sache ist also die: entweder steht nach dem Negierungs-
entwurf die Landesgesetzgebung in Elsaß-Lothringen bei Bundesrath und
Reichstag, die Landesverwaltung wird im Namen des Kaisers geübt, der auch
die Landesbehörden ernennt; für die gesetzliche Führung der Landesverwaltung
aber ist der oberste Beamte dem Bundesrath und Reichstag verantwortlich.
Will man dies nicht, so muß die Landesgeseygebung bei dem Kaiser, und an
Stelle einer besonderen Landesvertretung möglicherweise bei dem Reichstag
stehen, wie auch das Recht, den obersten Beamten der Landesverwaltung zur
Verantwortlichkeit zu ziehen; der Bundesrat!) aber muß dann ganz von der
Regierung der Reichslande fortbleiben.

Die nächste Woche wird zeigen, zu welchem Ergebniß der Reichstag ge¬
langt. Kaum ist zu hoffen, daß der Ausweg zu einem der beiden Glieder
obiger Alternative gefunden wird, vielmehr zu sure! ten, daß die Vermischung,
wie' sie der Commissionsvorschlag enthält, auch vom Reichstag angenommen
wird. Nur wird wahrscheinlich das Mischungsverhältniß wieder ein anderes,
--r. als die Commission es angenommen hat.







Verantwortlicher Redacteur: Dr. Haus Blum.
Vertue, von F. L. Hcrliig. -- Druck von Hüthcl >K Lcstlcr in Leipzig.

Argwohn der Bundesregierungen Nahrung geben könnte: dem Argwohn,
daß die Kai sergewalt sich außerhalb der Bundesregierungen und gegen die¬
selben im Laufe der Entwickelung des Reichs erheben solle. Aus diesem Be¬
dürfniß, dem antikaiserlichen Argwohn auszuweichen, ist der Borschlag ent¬
sprungen, den Bundesrath, man weiß nicht recht, ob zum Mitregenten oder
zum Quasiregenten der neuen Reichslande zu machen. Wenn der Reichstag
mit großer Mehrheit erklärt hätte: die Sicherstellung des so schwer zurückge¬
wonnenen alten Besitzes erfordert klare Regierungsverhältnisse; die Sicherstel¬
lung ist wichtiger, als das Vermeiden von einem Stück Argwohn unter den
Bundesgliedern; der Kaiser sei Souverän in Elsaß-Lothringen, die innere
Landesgesetzgebung sei des Kaisers und des Reichstags, oder auch des Kaisers
und einer zu schaffenden Landesvertretung — so wäre vielleicht einem solchen
Beschluß, einer so deutlichen, auf den durchaus nationalen Grund der Sicher¬
stellung des nationalsten Erwerbes gestützten Erklärung kein Widerstand
entgegengetreten. Halbheiten aber, kleine Direktiven nach der oder jener Seite
sind nothwendig wirkungslos. Man mache sich die Frage klar: der Bundes¬
rath kann an der Regierung der unmittelbaren Reichslande entweder nur als
nomineller Souverän theilnehmen, oder er muß davon ausgeschlossen werden.
Es scheint uns ein richtiges Gefühl, dem einzelne Bund esrathsmitglieder Ausdruck
geliehen, daß der Bundesrath, der im Reich im Wesentlichen die souveräne
Gewalt darstellt, in einem einzelnen Reichsland nicht wohl als erste Kammer
fungiren kann. Die Sache ist also die: entweder steht nach dem Negierungs-
entwurf die Landesgesetzgebung in Elsaß-Lothringen bei Bundesrath und
Reichstag, die Landesverwaltung wird im Namen des Kaisers geübt, der auch
die Landesbehörden ernennt; für die gesetzliche Führung der Landesverwaltung
aber ist der oberste Beamte dem Bundesrath und Reichstag verantwortlich.
Will man dies nicht, so muß die Landesgeseygebung bei dem Kaiser, und an
Stelle einer besonderen Landesvertretung möglicherweise bei dem Reichstag
stehen, wie auch das Recht, den obersten Beamten der Landesverwaltung zur
Verantwortlichkeit zu ziehen; der Bundesrat!) aber muß dann ganz von der
Regierung der Reichslande fortbleiben.

Die nächste Woche wird zeigen, zu welchem Ergebniß der Reichstag ge¬
langt. Kaum ist zu hoffen, daß der Ausweg zu einem der beiden Glieder
obiger Alternative gefunden wird, vielmehr zu sure! ten, daß die Vermischung,
wie' sie der Commissionsvorschlag enthält, auch vom Reichstag angenommen
wird. Nur wird wahrscheinlich das Mischungsverhältniß wieder ein anderes,
—r. als die Commission es angenommen hat.







Verantwortlicher Redacteur: Dr. Haus Blum.
Vertue, von F. L. Hcrliig. — Druck von Hüthcl >K Lcstlcr in Leipzig.
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[0368] Argwohn der Bundesregierungen Nahrung geben könnte: dem Argwohn, daß die Kai sergewalt sich außerhalb der Bundesregierungen und gegen die¬ selben im Laufe der Entwickelung des Reichs erheben solle. Aus diesem Be¬ dürfniß, dem antikaiserlichen Argwohn auszuweichen, ist der Borschlag ent¬ sprungen, den Bundesrath, man weiß nicht recht, ob zum Mitregenten oder zum Quasiregenten der neuen Reichslande zu machen. Wenn der Reichstag mit großer Mehrheit erklärt hätte: die Sicherstellung des so schwer zurückge¬ wonnenen alten Besitzes erfordert klare Regierungsverhältnisse; die Sicherstel¬ lung ist wichtiger, als das Vermeiden von einem Stück Argwohn unter den Bundesgliedern; der Kaiser sei Souverän in Elsaß-Lothringen, die innere Landesgesetzgebung sei des Kaisers und des Reichstags, oder auch des Kaisers und einer zu schaffenden Landesvertretung — so wäre vielleicht einem solchen Beschluß, einer so deutlichen, auf den durchaus nationalen Grund der Sicher¬ stellung des nationalsten Erwerbes gestützten Erklärung kein Widerstand entgegengetreten. Halbheiten aber, kleine Direktiven nach der oder jener Seite sind nothwendig wirkungslos. Man mache sich die Frage klar: der Bundes¬ rath kann an der Regierung der unmittelbaren Reichslande entweder nur als nomineller Souverän theilnehmen, oder er muß davon ausgeschlossen werden. Es scheint uns ein richtiges Gefühl, dem einzelne Bund esrathsmitglieder Ausdruck geliehen, daß der Bundesrath, der im Reich im Wesentlichen die souveräne Gewalt darstellt, in einem einzelnen Reichsland nicht wohl als erste Kammer fungiren kann. Die Sache ist also die: entweder steht nach dem Negierungs- entwurf die Landesgesetzgebung in Elsaß-Lothringen bei Bundesrath und Reichstag, die Landesverwaltung wird im Namen des Kaisers geübt, der auch die Landesbehörden ernennt; für die gesetzliche Führung der Landesverwaltung aber ist der oberste Beamte dem Bundesrath und Reichstag verantwortlich. Will man dies nicht, so muß die Landesgeseygebung bei dem Kaiser, und an Stelle einer besonderen Landesvertretung möglicherweise bei dem Reichstag stehen, wie auch das Recht, den obersten Beamten der Landesverwaltung zur Verantwortlichkeit zu ziehen; der Bundesrat!) aber muß dann ganz von der Regierung der Reichslande fortbleiben. Die nächste Woche wird zeigen, zu welchem Ergebniß der Reichstag ge¬ langt. Kaum ist zu hoffen, daß der Ausweg zu einem der beiden Glieder obiger Alternative gefunden wird, vielmehr zu sure! ten, daß die Vermischung, wie' sie der Commissionsvorschlag enthält, auch vom Reichstag angenommen wird. Nur wird wahrscheinlich das Mischungsverhältniß wieder ein anderes, —r. als die Commission es angenommen hat. Verantwortlicher Redacteur: Dr. Haus Blum. Vertue, von F. L. Hcrliig. — Druck von Hüthcl >K Lcstlcr in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/368>, abgerufen am 30.04.2024.