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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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Leidenschaften von den Tagen der Bartholomäusnacht an bis zu den Tagen
der Commune; brutale Vergewaltigung Anderer, da man selbst der eigenen
Herrscher und Lüste feiler Knecht ist; alles Streben, der Höchsten wie der
niedersten, auf die Entfesselung der Bestie im Menschen gerichtet, weil Bestien
leichter zu beherrschen sind als Menschen; die großen Gaben, die Gott diesem
Volk gegeben, die wunderbare Feinheit und Leichtigkeit des Schaffens und
Denkens schnöde mißbraucht zu Verlockung und Gemeinheit, zu der Allen
gleich theuren und unentbehrlichen Verstellung und Lüge.

Das alte Paris, das an Pracht und Glanz seines Gleichen nicht
hatte auf der Erde, ist durch diesen Geist seiner Kinder in Asche gesunken.
Möge dem unseligen Volke beschieden sein, über den Trümmern der alten
Stadt eine neue zu gründen und ein anderes Geschlecht von Bewohnern groß
zu ziehen, das von den bisherigen schaudernd gelernt hat, welche Fehler ein
H. B. großes Volk verderben.




Dom deutschen Keichstag"^)

Gestern ist das Gesetz über Elsaß-Lothringen endlich vom Reichstag
definitiv genehmigt worden, und es steht nur noch die Zustimmung des
Bundesrathes zu den vom Reichstag beschlossenen Abänderungen zu erwarten.
Man zweifelt an dieser Zustimmung nicht. Zwar hat der Reichstag, der
wiederholten dringenden Bitte des Kanzlers entgegen, an dem 1. Januar
1873 als Einführungstermin der Reichsverfassung festgehalten. Es ist dies
in Uebereinstimmung' mit den letzten Commissionsbeschlüssen geschehen, deren
ich im vorigen Briefe Erwähnung that. In Uebereinstimmung mit denselben
Beschlüssen ist auch die Bestimmung angenommen worden, daß Schulden der
neuen Reichslande, die während des Provisoriums aufgenommen werden, nur
sofern sie das Reich belasten, der Genehmigung des Reichstages bedürfen.

Was nun den verkürzten Termin für die Einführung der Reichsver¬
fassung betrifft, so hat Fürst Bismarck gestern wiederum erklärt, daß die
Schwierigkeit gar nicht in der baldigen Einführung der Reichsverfassung liegt.
Der Fürst stellte wiederum in Aussicht, daß die Reichsverfassung vielleicht
noch eher als Anfang 1873 eingeführt werden könnte. Die Schwierigkeit
liegt in dem letzten Satz vom § 3 des gestern beschlossenen Gesetzes. Dieser
Satz bestimmt nämlich, daß nach Einführung der Reichsverfassung der Reichs¬
tag als Gesetzgebungsorgan für die inneren 'Landesangelegenheiten neben den
Bundesrat!) tritt. Hält man die Aeußerungen des Fürsten Bismarck in den
letzten Reden zusammen, so kann kein Zweifel sein, daß er für die innere Landes¬
gesetzgebung eine besondere Landesvertretung wünscht und nur nicht für angezeigt
hält,'ein solches Versprechen schon jetzt zu machen. Für die Bildung Alter beson¬
deren Landesvertretung werden aber die Zustände Elsaß'Lothringens nach IV2



-) Der zweite Satz des zweiten Alinea im setzten Briefe unsres <Z--r Correspondenten
muß folgendermaßen lauten: "Welchen Zweck serner hat ein solches Provisorium als den, ein¬
greifenden Beschlüssen, die vielleicht den neuen Neichsbürgern nicht erwünscht und dennoch un¬
vermeidlich sind, den Eindruck unbeugsamen Willens durch eine vorhergehende öffentliche De¬
batte, die alle Meinungsverschiedenheiten und schwankenden Urtheile an den Tag bringt, nicht
zu rauben?

Leidenschaften von den Tagen der Bartholomäusnacht an bis zu den Tagen
der Commune; brutale Vergewaltigung Anderer, da man selbst der eigenen
Herrscher und Lüste feiler Knecht ist; alles Streben, der Höchsten wie der
niedersten, auf die Entfesselung der Bestie im Menschen gerichtet, weil Bestien
leichter zu beherrschen sind als Menschen; die großen Gaben, die Gott diesem
Volk gegeben, die wunderbare Feinheit und Leichtigkeit des Schaffens und
Denkens schnöde mißbraucht zu Verlockung und Gemeinheit, zu der Allen
gleich theuren und unentbehrlichen Verstellung und Lüge.

Das alte Paris, das an Pracht und Glanz seines Gleichen nicht
hatte auf der Erde, ist durch diesen Geist seiner Kinder in Asche gesunken.
Möge dem unseligen Volke beschieden sein, über den Trümmern der alten
Stadt eine neue zu gründen und ein anderes Geschlecht von Bewohnern groß
zu ziehen, das von den bisherigen schaudernd gelernt hat, welche Fehler ein
H. B. großes Volk verderben.




Dom deutschen Keichstag»^)

Gestern ist das Gesetz über Elsaß-Lothringen endlich vom Reichstag
definitiv genehmigt worden, und es steht nur noch die Zustimmung des
Bundesrathes zu den vom Reichstag beschlossenen Abänderungen zu erwarten.
Man zweifelt an dieser Zustimmung nicht. Zwar hat der Reichstag, der
wiederholten dringenden Bitte des Kanzlers entgegen, an dem 1. Januar
1873 als Einführungstermin der Reichsverfassung festgehalten. Es ist dies
in Uebereinstimmung' mit den letzten Commissionsbeschlüssen geschehen, deren
ich im vorigen Briefe Erwähnung that. In Uebereinstimmung mit denselben
Beschlüssen ist auch die Bestimmung angenommen worden, daß Schulden der
neuen Reichslande, die während des Provisoriums aufgenommen werden, nur
sofern sie das Reich belasten, der Genehmigung des Reichstages bedürfen.

Was nun den verkürzten Termin für die Einführung der Reichsver¬
fassung betrifft, so hat Fürst Bismarck gestern wiederum erklärt, daß die
Schwierigkeit gar nicht in der baldigen Einführung der Reichsverfassung liegt.
Der Fürst stellte wiederum in Aussicht, daß die Reichsverfassung vielleicht
noch eher als Anfang 1873 eingeführt werden könnte. Die Schwierigkeit
liegt in dem letzten Satz vom § 3 des gestern beschlossenen Gesetzes. Dieser
Satz bestimmt nämlich, daß nach Einführung der Reichsverfassung der Reichs¬
tag als Gesetzgebungsorgan für die inneren 'Landesangelegenheiten neben den
Bundesrat!) tritt. Hält man die Aeußerungen des Fürsten Bismarck in den
letzten Reden zusammen, so kann kein Zweifel sein, daß er für die innere Landes¬
gesetzgebung eine besondere Landesvertretung wünscht und nur nicht für angezeigt
hält,'ein solches Versprechen schon jetzt zu machen. Für die Bildung Alter beson¬
deren Landesvertretung werden aber die Zustände Elsaß'Lothringens nach IV2



-) Der zweite Satz des zweiten Alinea im setzten Briefe unsres <Z—r Correspondenten
muß folgendermaßen lauten: „Welchen Zweck serner hat ein solches Provisorium als den, ein¬
greifenden Beschlüssen, die vielleicht den neuen Neichsbürgern nicht erwünscht und dennoch un¬
vermeidlich sind, den Eindruck unbeugsamen Willens durch eine vorhergehende öffentliche De¬
batte, die alle Meinungsverschiedenheiten und schwankenden Urtheile an den Tag bringt, nicht
zu rauben?
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/435>, abgerufen am 30.04.2024.