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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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grünt des Bildes und der seitwärts gestreckte Arm verdeckt uns einen guten
Theil der innern Wölbung.'

Es macht den Eindruck, daß die Conception des Schlösserschen Kunst¬
werkes auch in der Häufung der Meeresbewohner um die Hauptperson an
die Fresken der Farnesina sich anlehnt. Aber was für die Meeresherrscherin
sich schickt, ist darum nicht auch das rechte für die Herzensbezwingerin. Frei¬
lich finden wir an der Seite einer großen Anzahl antiker Venusstatuen einen
Delphin oder ein anderes Seethier. Aber diese Beigabe, weit entfernt unsern
Tadel zu entkräften, bestärkt denselben vielmehr. Jener Begleiter ist nämlich
nichts als ein Symbol des Meeres; er soll andeuten, daß die Göttin eben
erst der Fluth entstiegen ist und gerade dadurch die Gewandlosigkeit erklären und
rechtfertigen. Dem Maler, der die Meeresfläche selbst unter den Füßen der
Anadyomene ausbreitet, ist dieser Nothbehelf erspart. Das Symbol ist ohne
Zweck, wenn wir die Wirklichkeit mit Händen greifen. Zur Wirkung durch
den Contrast wäre es an einer Nebenfigur genug gewesen.
"

Aphrodite heißt die "schaumgeborene. Nicht aus der dunkeln Tiefe,
sondern aus dem obersten lichtesten Wellengekräusel steigt Kythere empor.
Das berühmte Bild des Apelles, welches An'gustus aus dem Asklepiostempel
zu Kos nach Rom überführte, zeigte die Anadyomene, wie sie das mütterliche
Element in schäumenden Tropfen aus dem Haar strich.


Ill eomploxa, manu macliäos sg-Ils aeMorv crinos
Uumiäulis stringit utrgMe eoiiu8.

(^usou. Lpigr. l06).

Die durchsichtige Klarheit des leise bewegten Meeres, der Lichisaum, mit
welchem die südliche Sonne die in die Tiefe des Wassers geworfenen Schatten
übergießt, das Spiegelbild des Himmels im Meer, das'waren die Bestand¬
theile, mit denen die Scenerie vor Allem ausgestattet sein wollte. Anstatt
dessen blicken wir auf eine undurchdringliche Wasserfläche, deren künstliches
Blau den grauen Himmel Lügen straft. Für dieses Element scheint Schlos¬
sers Pinsel nicht geschaffen.

Die Göttin taucht auf aus den Wellen, um aus der Erde zu herrschen.
Eine Göttin vermöchte wohl aus dem Meer sich zu erheben, ohne durch
einen einzigen Wassertropfen die Herkunft zu verrathen. Aber steht es in
Einklang mit der sinnlichen Naturtreue, die in dem Gemälde sonst aus die
Spitze getrieben ist, daß der Körper der Venus keine Spur des feuchten Ele¬
mentes zeigt? Nur eine schwache Schaumkrone netzt noch den Fuß, der einen
Ruhepunkt auf den Wellen zu finden scheint. Wir vermögen uns die Ana¬
dyomene nicht vorzustellen über einer unabsehbar weiten Meeresfläche, ohne
einen Blick auf ihr künftiges Reich. Auch hier mußte Venus anders behan¬
delt werden als Galatea.' Wir meinen, treffender als durch Meeresgeschöpfe
Im Vordergrund, würde das Bild abgerundet werden durch ein anmuthiges Eiland
im Rücken. Die Anadyomene des Apelles setzte den Fuß an das Land.
z (?ImiuL Rist. vÄt. XXXV, "l.)




Dem heimkehrenden deutschen Keer.

In den Stunden, wo diese Zeilen erscheinen, durchschreitet der Triumph¬
zug der siegreich heimkehrenden deutschen Krieger die deutsche Hauptstadt.


grünt des Bildes und der seitwärts gestreckte Arm verdeckt uns einen guten
Theil der innern Wölbung.'

Es macht den Eindruck, daß die Conception des Schlösserschen Kunst¬
werkes auch in der Häufung der Meeresbewohner um die Hauptperson an
die Fresken der Farnesina sich anlehnt. Aber was für die Meeresherrscherin
sich schickt, ist darum nicht auch das rechte für die Herzensbezwingerin. Frei¬
lich finden wir an der Seite einer großen Anzahl antiker Venusstatuen einen
Delphin oder ein anderes Seethier. Aber diese Beigabe, weit entfernt unsern
Tadel zu entkräften, bestärkt denselben vielmehr. Jener Begleiter ist nämlich
nichts als ein Symbol des Meeres; er soll andeuten, daß die Göttin eben
erst der Fluth entstiegen ist und gerade dadurch die Gewandlosigkeit erklären und
rechtfertigen. Dem Maler, der die Meeresfläche selbst unter den Füßen der
Anadyomene ausbreitet, ist dieser Nothbehelf erspart. Das Symbol ist ohne
Zweck, wenn wir die Wirklichkeit mit Händen greifen. Zur Wirkung durch
den Contrast wäre es an einer Nebenfigur genug gewesen.
"

Aphrodite heißt die „schaumgeborene. Nicht aus der dunkeln Tiefe,
sondern aus dem obersten lichtesten Wellengekräusel steigt Kythere empor.
Das berühmte Bild des Apelles, welches An'gustus aus dem Asklepiostempel
zu Kos nach Rom überführte, zeigte die Anadyomene, wie sie das mütterliche
Element in schäumenden Tropfen aus dem Haar strich.


Ill eomploxa, manu macliäos sg-Ils aeMorv crinos
Uumiäulis stringit utrgMe eoiiu8.

(^usou. Lpigr. l06).

Die durchsichtige Klarheit des leise bewegten Meeres, der Lichisaum, mit
welchem die südliche Sonne die in die Tiefe des Wassers geworfenen Schatten
übergießt, das Spiegelbild des Himmels im Meer, das'waren die Bestand¬
theile, mit denen die Scenerie vor Allem ausgestattet sein wollte. Anstatt
dessen blicken wir auf eine undurchdringliche Wasserfläche, deren künstliches
Blau den grauen Himmel Lügen straft. Für dieses Element scheint Schlos¬
sers Pinsel nicht geschaffen.

Die Göttin taucht auf aus den Wellen, um aus der Erde zu herrschen.
Eine Göttin vermöchte wohl aus dem Meer sich zu erheben, ohne durch
einen einzigen Wassertropfen die Herkunft zu verrathen. Aber steht es in
Einklang mit der sinnlichen Naturtreue, die in dem Gemälde sonst aus die
Spitze getrieben ist, daß der Körper der Venus keine Spur des feuchten Ele¬
mentes zeigt? Nur eine schwache Schaumkrone netzt noch den Fuß, der einen
Ruhepunkt auf den Wellen zu finden scheint. Wir vermögen uns die Ana¬
dyomene nicht vorzustellen über einer unabsehbar weiten Meeresfläche, ohne
einen Blick auf ihr künftiges Reich. Auch hier mußte Venus anders behan¬
delt werden als Galatea.' Wir meinen, treffender als durch Meeresgeschöpfe
Im Vordergrund, würde das Bild abgerundet werden durch ein anmuthiges Eiland
im Rücken. Die Anadyomene des Apelles setzte den Fuß an das Land.
z (?ImiuL Rist. vÄt. XXXV, »l.)




Dem heimkehrenden deutschen Keer.

In den Stunden, wo diese Zeilen erscheinen, durchschreitet der Triumph¬
zug der siegreich heimkehrenden deutschen Krieger die deutsche Hauptstadt.


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[0485] grünt des Bildes und der seitwärts gestreckte Arm verdeckt uns einen guten Theil der innern Wölbung.' Es macht den Eindruck, daß die Conception des Schlösserschen Kunst¬ werkes auch in der Häufung der Meeresbewohner um die Hauptperson an die Fresken der Farnesina sich anlehnt. Aber was für die Meeresherrscherin sich schickt, ist darum nicht auch das rechte für die Herzensbezwingerin. Frei¬ lich finden wir an der Seite einer großen Anzahl antiker Venusstatuen einen Delphin oder ein anderes Seethier. Aber diese Beigabe, weit entfernt unsern Tadel zu entkräften, bestärkt denselben vielmehr. Jener Begleiter ist nämlich nichts als ein Symbol des Meeres; er soll andeuten, daß die Göttin eben erst der Fluth entstiegen ist und gerade dadurch die Gewandlosigkeit erklären und rechtfertigen. Dem Maler, der die Meeresfläche selbst unter den Füßen der Anadyomene ausbreitet, ist dieser Nothbehelf erspart. Das Symbol ist ohne Zweck, wenn wir die Wirklichkeit mit Händen greifen. Zur Wirkung durch den Contrast wäre es an einer Nebenfigur genug gewesen. " Aphrodite heißt die „schaumgeborene. Nicht aus der dunkeln Tiefe, sondern aus dem obersten lichtesten Wellengekräusel steigt Kythere empor. Das berühmte Bild des Apelles, welches An'gustus aus dem Asklepiostempel zu Kos nach Rom überführte, zeigte die Anadyomene, wie sie das mütterliche Element in schäumenden Tropfen aus dem Haar strich. Ill eomploxa, manu macliäos sg-Ils aeMorv crinos Uumiäulis stringit utrgMe eoiiu8. (^usou. Lpigr. l06). Die durchsichtige Klarheit des leise bewegten Meeres, der Lichisaum, mit welchem die südliche Sonne die in die Tiefe des Wassers geworfenen Schatten übergießt, das Spiegelbild des Himmels im Meer, das'waren die Bestand¬ theile, mit denen die Scenerie vor Allem ausgestattet sein wollte. Anstatt dessen blicken wir auf eine undurchdringliche Wasserfläche, deren künstliches Blau den grauen Himmel Lügen straft. Für dieses Element scheint Schlos¬ sers Pinsel nicht geschaffen. Die Göttin taucht auf aus den Wellen, um aus der Erde zu herrschen. Eine Göttin vermöchte wohl aus dem Meer sich zu erheben, ohne durch einen einzigen Wassertropfen die Herkunft zu verrathen. Aber steht es in Einklang mit der sinnlichen Naturtreue, die in dem Gemälde sonst aus die Spitze getrieben ist, daß der Körper der Venus keine Spur des feuchten Ele¬ mentes zeigt? Nur eine schwache Schaumkrone netzt noch den Fuß, der einen Ruhepunkt auf den Wellen zu finden scheint. Wir vermögen uns die Ana¬ dyomene nicht vorzustellen über einer unabsehbar weiten Meeresfläche, ohne einen Blick auf ihr künftiges Reich. Auch hier mußte Venus anders behan¬ delt werden als Galatea.' Wir meinen, treffender als durch Meeresgeschöpfe Im Vordergrund, würde das Bild abgerundet werden durch ein anmuthiges Eiland im Rücken. Die Anadyomene des Apelles setzte den Fuß an das Land. z (?ImiuL Rist. vÄt. XXXV, »l.) Dem heimkehrenden deutschen Keer. In den Stunden, wo diese Zeilen erscheinen, durchschreitet der Triumph¬ zug der siegreich heimkehrenden deutschen Krieger die deutsche Hauptstadt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/485>, abgerufen am 30.04.2024.