Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Hraf Lohenwart.

Der östreichische Premier ist ein Politiker der alten Schule. Von den
Jesuiten erzogen, erhielt er seine Ausbildung in jenen Beamtenkreisen, denen
die Polizei als Grund- und Eckstein der Staatskunst gilt. Klerikal, feudal
und reactionär waren die Eigenschaften, die man von einem vertrauenswür¬
diger Piloten des Staatsschiffes forderte. Hohenwart besitzt sie im vollen
Maße. Was ihm fehlt, ist gründliches Wissen, Verständniß für fortschritt¬
liche Entwicklung, richtiges Urtheil über die Gegenwart und Zukunft. Er
fand die östreichischen Zustände beim Antritt seiner Verwaltung in ziemlicher
Zerrüttung. Auch das Bürgerministerium hatte das Regieren schlecht ver¬
standen, es war doctrinär; mit diesem Worte ist alles gesagt, was man sei¬
ner Weisheit nachrühmen kann. Sein Liberalismus bestand in theoretischen
Anläufen, zu deren Ausführung ihm Kraft, Nachdruck und ein unbeugsamer
Wille fehlten; die geistige Macht der Idee sollte sich selbst Bahn brechen;
statt dessen gewann die staatsrechtliche Opposition durch die ihr gestattete
freie Entfaltung immer festeren Boden. Rassle es sich einmal zu einem
entschiedenen Schritte auf, so erlahmte ihm doch bald der Muth bei seiner
Durchführung; es schien, als ob es durch die Scheu vor einem fortwährenden
Drucke von oben befangen wäre. Statt den widerspenstigen Czechen, Polen,
Slovenen und Tirolern einmal gründlich das Handwerk zu legen, das Gesetz
mit voller Strenge zu handhaben, kam stets milde Nachsicht als hinkender
Bote nach. So stellt man in aller Welt keine feste Ordnung her. Dazu
kam die wohl begründete Zuversicht der Aufständigen auf die geheime Clique,
die hinter dem Rücken des Ministeriums für sie wirkte, und ihre Verbündeten
(wie der bekannte Minoritätsbericht vom 26. December 1869 zeigte) in dessen
eigenem Schooße hatte. Es dauerte nicht lange, bis die verschwommene Aus¬
gleichspartei völlig die Oberhand gewann. Die Versuche, allen gerecht zu
werden, die ihr Vertreter Graf Potocki anstellte, waren nur dazu angethan
die Ohnmacht und die aus die Unterstützung von oben gegründete Siegesge¬
wißheit klar ins Licht zu stellen. Die Partei des Rückschritts hielt ihre Zeit


Grenzboten l. 1871. 127
Hraf Lohenwart.

Der östreichische Premier ist ein Politiker der alten Schule. Von den
Jesuiten erzogen, erhielt er seine Ausbildung in jenen Beamtenkreisen, denen
die Polizei als Grund- und Eckstein der Staatskunst gilt. Klerikal, feudal
und reactionär waren die Eigenschaften, die man von einem vertrauenswür¬
diger Piloten des Staatsschiffes forderte. Hohenwart besitzt sie im vollen
Maße. Was ihm fehlt, ist gründliches Wissen, Verständniß für fortschritt¬
liche Entwicklung, richtiges Urtheil über die Gegenwart und Zukunft. Er
fand die östreichischen Zustände beim Antritt seiner Verwaltung in ziemlicher
Zerrüttung. Auch das Bürgerministerium hatte das Regieren schlecht ver¬
standen, es war doctrinär; mit diesem Worte ist alles gesagt, was man sei¬
ner Weisheit nachrühmen kann. Sein Liberalismus bestand in theoretischen
Anläufen, zu deren Ausführung ihm Kraft, Nachdruck und ein unbeugsamer
Wille fehlten; die geistige Macht der Idee sollte sich selbst Bahn brechen;
statt dessen gewann die staatsrechtliche Opposition durch die ihr gestattete
freie Entfaltung immer festeren Boden. Rassle es sich einmal zu einem
entschiedenen Schritte auf, so erlahmte ihm doch bald der Muth bei seiner
Durchführung; es schien, als ob es durch die Scheu vor einem fortwährenden
Drucke von oben befangen wäre. Statt den widerspenstigen Czechen, Polen,
Slovenen und Tirolern einmal gründlich das Handwerk zu legen, das Gesetz
mit voller Strenge zu handhaben, kam stets milde Nachsicht als hinkender
Bote nach. So stellt man in aller Welt keine feste Ordnung her. Dazu
kam die wohl begründete Zuversicht der Aufständigen auf die geheime Clique,
die hinter dem Rücken des Ministeriums für sie wirkte, und ihre Verbündeten
(wie der bekannte Minoritätsbericht vom 26. December 1869 zeigte) in dessen
eigenem Schooße hatte. Es dauerte nicht lange, bis die verschwommene Aus¬
gleichspartei völlig die Oberhand gewann. Die Versuche, allen gerecht zu
werden, die ihr Vertreter Graf Potocki anstellte, waren nur dazu angethan
die Ohnmacht und die aus die Unterstützung von oben gegründete Siegesge¬
wißheit klar ins Licht zu stellen. Die Partei des Rückschritts hielt ihre Zeit


Grenzboten l. 1871. 127
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <pb facs="#f0489" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/126271"/>
        <div n="1">
          <head> Hraf Lohenwart.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1535" next="#ID_1536"> Der östreichische Premier ist ein Politiker der alten Schule. Von den<lb/>
Jesuiten erzogen, erhielt er seine Ausbildung in jenen Beamtenkreisen, denen<lb/>
die Polizei als Grund- und Eckstein der Staatskunst gilt. Klerikal, feudal<lb/>
und reactionär waren die Eigenschaften, die man von einem vertrauenswür¬<lb/>
diger Piloten des Staatsschiffes forderte. Hohenwart besitzt sie im vollen<lb/>
Maße. Was ihm fehlt, ist gründliches Wissen, Verständniß für fortschritt¬<lb/>
liche Entwicklung, richtiges Urtheil über die Gegenwart und Zukunft. Er<lb/>
fand die östreichischen Zustände beim Antritt seiner Verwaltung in ziemlicher<lb/>
Zerrüttung. Auch das Bürgerministerium hatte das Regieren schlecht ver¬<lb/>
standen, es war doctrinär; mit diesem Worte ist alles gesagt, was man sei¬<lb/>
ner Weisheit nachrühmen kann. Sein Liberalismus bestand in theoretischen<lb/>
Anläufen, zu deren Ausführung ihm Kraft, Nachdruck und ein unbeugsamer<lb/>
Wille fehlten; die geistige Macht der Idee sollte sich selbst Bahn brechen;<lb/>
statt dessen gewann die staatsrechtliche Opposition durch die ihr gestattete<lb/>
freie Entfaltung immer festeren Boden. Rassle es sich einmal zu einem<lb/>
entschiedenen Schritte auf, so erlahmte ihm doch bald der Muth bei seiner<lb/>
Durchführung; es schien, als ob es durch die Scheu vor einem fortwährenden<lb/>
Drucke von oben befangen wäre. Statt den widerspenstigen Czechen, Polen,<lb/>
Slovenen und Tirolern einmal gründlich das Handwerk zu legen, das Gesetz<lb/>
mit voller Strenge zu handhaben, kam stets milde Nachsicht als hinkender<lb/>
Bote nach. So stellt man in aller Welt keine feste Ordnung her. Dazu<lb/>
kam die wohl begründete Zuversicht der Aufständigen auf die geheime Clique,<lb/>
die hinter dem Rücken des Ministeriums für sie wirkte, und ihre Verbündeten<lb/>
(wie der bekannte Minoritätsbericht vom 26. December 1869 zeigte) in dessen<lb/>
eigenem Schooße hatte. Es dauerte nicht lange, bis die verschwommene Aus¬<lb/>
gleichspartei völlig die Oberhand gewann. Die Versuche, allen gerecht zu<lb/>
werden, die ihr Vertreter Graf Potocki anstellte, waren nur dazu angethan<lb/>
die Ohnmacht und die aus die Unterstützung von oben gegründete Siegesge¬<lb/>
wißheit klar ins Licht zu stellen. Die Partei des Rückschritts hielt ihre Zeit</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten l. 1871. 127</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0489] Hraf Lohenwart. Der östreichische Premier ist ein Politiker der alten Schule. Von den Jesuiten erzogen, erhielt er seine Ausbildung in jenen Beamtenkreisen, denen die Polizei als Grund- und Eckstein der Staatskunst gilt. Klerikal, feudal und reactionär waren die Eigenschaften, die man von einem vertrauenswür¬ diger Piloten des Staatsschiffes forderte. Hohenwart besitzt sie im vollen Maße. Was ihm fehlt, ist gründliches Wissen, Verständniß für fortschritt¬ liche Entwicklung, richtiges Urtheil über die Gegenwart und Zukunft. Er fand die östreichischen Zustände beim Antritt seiner Verwaltung in ziemlicher Zerrüttung. Auch das Bürgerministerium hatte das Regieren schlecht ver¬ standen, es war doctrinär; mit diesem Worte ist alles gesagt, was man sei¬ ner Weisheit nachrühmen kann. Sein Liberalismus bestand in theoretischen Anläufen, zu deren Ausführung ihm Kraft, Nachdruck und ein unbeugsamer Wille fehlten; die geistige Macht der Idee sollte sich selbst Bahn brechen; statt dessen gewann die staatsrechtliche Opposition durch die ihr gestattete freie Entfaltung immer festeren Boden. Rassle es sich einmal zu einem entschiedenen Schritte auf, so erlahmte ihm doch bald der Muth bei seiner Durchführung; es schien, als ob es durch die Scheu vor einem fortwährenden Drucke von oben befangen wäre. Statt den widerspenstigen Czechen, Polen, Slovenen und Tirolern einmal gründlich das Handwerk zu legen, das Gesetz mit voller Strenge zu handhaben, kam stets milde Nachsicht als hinkender Bote nach. So stellt man in aller Welt keine feste Ordnung her. Dazu kam die wohl begründete Zuversicht der Aufständigen auf die geheime Clique, die hinter dem Rücken des Ministeriums für sie wirkte, und ihre Verbündeten (wie der bekannte Minoritätsbericht vom 26. December 1869 zeigte) in dessen eigenem Schooße hatte. Es dauerte nicht lange, bis die verschwommene Aus¬ gleichspartei völlig die Oberhand gewann. Die Versuche, allen gerecht zu werden, die ihr Vertreter Graf Potocki anstellte, waren nur dazu angethan die Ohnmacht und die aus die Unterstützung von oben gegründete Siegesge¬ wißheit klar ins Licht zu stellen. Die Partei des Rückschritts hielt ihre Zeit Grenzboten l. 1871. 127

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/489
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/489>, abgerufen am 30.04.2024.