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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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Verkehr andererseits! Wir erhitzen uns über die Versetzung zweier Postseere-
täre, weil im Reichstag und auf der Regierungsbank Niemand da ist, der
unter Schonung aller uns so unbeschreiblich theuren Grundsätze zu sagen
weiß, daß das Petitioniren, wie alle Dinge auf Erden, auch seine Schranken
hat, die sich denen fühlbar machen müssen, die dieses Recht benutzen; oder
daß eine Volksvertretung, sei sie noch so hochansehnlich und mächtig, unter
allen Umständen der Verwaltung und ganz besonders in persönlichen Dingen
einen nicht zu beengenden Raum geben muß. Dasselbe gilt von der elsa߬
lothringischen Frage, gilt von dem Pensionsgesetz.

Hoffen wir, daß bei immer zunehmender Einigkeit in den großen natio¬
nalen Zielen wir immer mehr lernen," die Lieblingsmeinungen gegenseitig
schonend, eingehend, vom Standpunkt sachlicher Unbefangenheit zu berichtigen.
Die Ausgaben, die unserm parlamentarischen Leben vorliegen, erfordern nicht
nur diese Behandlung, sie verheißen ihr auch die kostbarsten Früchte eines
ohne persönliche Gereiztheit und doctrinäre Befangenheit mit geistigen Waf¬
L--r. fen um geistige Ziele geführten Kampfes.




Lausmusik,
ii.

Das Clavier ist der musikalische Tyrann unserer Tage geworden. Wir
wollen nicht davon sprechen, wie es sich allmählig in jede Straße, jedes Haus
und jede Familie eingedrängt, wie es die Qual der Spaziergänger, der Haus¬
bewohner wurde. Man hat darüber so viel gescherzt, gewitzelt und gespottet,
man hat so oft ernsthaft versucht, dieser Pianoforteepidemie Einhalt zu thun
und doch nichts dabei erreicht, sodaß es nun wohl am klügsten ist, sich der
vollendeten Thatsache geduldig zu fügen und anzuerkennen, daß das Clavier
die Suprematie über alle übrigen Instrumente, nahezu mit der Verdrängung
aller aus der Familie, heute errungen hat und sieghaft zu behaupten weiß.
Ja, das Piano übt in unsern Tagen eine unerbittliche, mitunter geradezu auf¬
dringliche Herrschaft im Concertsaal, im Salon, im Familienleben aus. Tau¬
sende und Abertausende von neuen Instrumenten jeder Gattung und jeden
Formats werden alljährlich fabricirt und abgesetzt. Sieht man, wie dieses
Instrument mit Riesenschritten sich über die ganze Welt hin ausbreitete, so


Verkehr andererseits! Wir erhitzen uns über die Versetzung zweier Postseere-
täre, weil im Reichstag und auf der Regierungsbank Niemand da ist, der
unter Schonung aller uns so unbeschreiblich theuren Grundsätze zu sagen
weiß, daß das Petitioniren, wie alle Dinge auf Erden, auch seine Schranken
hat, die sich denen fühlbar machen müssen, die dieses Recht benutzen; oder
daß eine Volksvertretung, sei sie noch so hochansehnlich und mächtig, unter
allen Umständen der Verwaltung und ganz besonders in persönlichen Dingen
einen nicht zu beengenden Raum geben muß. Dasselbe gilt von der elsa߬
lothringischen Frage, gilt von dem Pensionsgesetz.

Hoffen wir, daß bei immer zunehmender Einigkeit in den großen natio¬
nalen Zielen wir immer mehr lernen,» die Lieblingsmeinungen gegenseitig
schonend, eingehend, vom Standpunkt sachlicher Unbefangenheit zu berichtigen.
Die Ausgaben, die unserm parlamentarischen Leben vorliegen, erfordern nicht
nur diese Behandlung, sie verheißen ihr auch die kostbarsten Früchte eines
ohne persönliche Gereiztheit und doctrinäre Befangenheit mit geistigen Waf¬
L—r. fen um geistige Ziele geführten Kampfes.




Lausmusik,
ii.

Das Clavier ist der musikalische Tyrann unserer Tage geworden. Wir
wollen nicht davon sprechen, wie es sich allmählig in jede Straße, jedes Haus
und jede Familie eingedrängt, wie es die Qual der Spaziergänger, der Haus¬
bewohner wurde. Man hat darüber so viel gescherzt, gewitzelt und gespottet,
man hat so oft ernsthaft versucht, dieser Pianoforteepidemie Einhalt zu thun
und doch nichts dabei erreicht, sodaß es nun wohl am klügsten ist, sich der
vollendeten Thatsache geduldig zu fügen und anzuerkennen, daß das Clavier
die Suprematie über alle übrigen Instrumente, nahezu mit der Verdrängung
aller aus der Familie, heute errungen hat und sieghaft zu behaupten weiß.
Ja, das Piano übt in unsern Tagen eine unerbittliche, mitunter geradezu auf¬
dringliche Herrschaft im Concertsaal, im Salon, im Familienleben aus. Tau¬
sende und Abertausende von neuen Instrumenten jeder Gattung und jeden
Formats werden alljährlich fabricirt und abgesetzt. Sieht man, wie dieses
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[0524] Verkehr andererseits! Wir erhitzen uns über die Versetzung zweier Postseere- täre, weil im Reichstag und auf der Regierungsbank Niemand da ist, der unter Schonung aller uns so unbeschreiblich theuren Grundsätze zu sagen weiß, daß das Petitioniren, wie alle Dinge auf Erden, auch seine Schranken hat, die sich denen fühlbar machen müssen, die dieses Recht benutzen; oder daß eine Volksvertretung, sei sie noch so hochansehnlich und mächtig, unter allen Umständen der Verwaltung und ganz besonders in persönlichen Dingen einen nicht zu beengenden Raum geben muß. Dasselbe gilt von der elsa߬ lothringischen Frage, gilt von dem Pensionsgesetz. Hoffen wir, daß bei immer zunehmender Einigkeit in den großen natio¬ nalen Zielen wir immer mehr lernen,» die Lieblingsmeinungen gegenseitig schonend, eingehend, vom Standpunkt sachlicher Unbefangenheit zu berichtigen. Die Ausgaben, die unserm parlamentarischen Leben vorliegen, erfordern nicht nur diese Behandlung, sie verheißen ihr auch die kostbarsten Früchte eines ohne persönliche Gereiztheit und doctrinäre Befangenheit mit geistigen Waf¬ L—r. fen um geistige Ziele geführten Kampfes. Lausmusik, ii. Das Clavier ist der musikalische Tyrann unserer Tage geworden. Wir wollen nicht davon sprechen, wie es sich allmählig in jede Straße, jedes Haus und jede Familie eingedrängt, wie es die Qual der Spaziergänger, der Haus¬ bewohner wurde. Man hat darüber so viel gescherzt, gewitzelt und gespottet, man hat so oft ernsthaft versucht, dieser Pianoforteepidemie Einhalt zu thun und doch nichts dabei erreicht, sodaß es nun wohl am klügsten ist, sich der vollendeten Thatsache geduldig zu fügen und anzuerkennen, daß das Clavier die Suprematie über alle übrigen Instrumente, nahezu mit der Verdrängung aller aus der Familie, heute errungen hat und sieghaft zu behaupten weiß. Ja, das Piano übt in unsern Tagen eine unerbittliche, mitunter geradezu auf¬ dringliche Herrschaft im Concertsaal, im Salon, im Familienleben aus. Tau¬ sende und Abertausende von neuen Instrumenten jeder Gattung und jeden Formats werden alljährlich fabricirt und abgesetzt. Sieht man, wie dieses Instrument mit Riesenschritten sich über die ganze Welt hin ausbreitete, so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/524>, abgerufen am 30.04.2024.