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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Die Kommune und die Internationale.
i.

Die Jnsurrection vom 18. März dieses Jahres ist auf moralische und
materielle Ursachen zurückzuführen, von denen die einen so nahe liegen, daß
sie sich mit Händen greifen lassen, während die andern weit in die Vergangen¬
heit zurückführen und vorzüglich in der im Geheimen schleichenden Wirksamkeit
gewisser mehr oder minder in Dunkel gehüllten Gesellschaften und Sectev zu
suchen sind, welche unter dem Vorwand?, das Loos der arbeitenden Klassen
verbessern zu wollen, in den letzten Jahren eine permanente Verschwörung
gegen die gesammte sociale Ordnung gebildet haben.

Die socialistischen und kommunistischen Lehrsätze find bekanntermaßen
nichts Neues in der Welt. Sie sind, um einen Ausdruck Chateaubriands zu
brauchen, "alte Leckerbissen, welche seit zweitausend Jahren schon im Laden
jedes Philosophen hängen." So lange sie sich auf dem Gebiete der reinen
Speculation hielten, im Staat Utopien verblieben, entzogen sie sich der Auf¬
merksamkeit der Staatsmänner, und vielleicht zu sehr. Heutzutage, wo sie sich,
wie schon 1848, mit schlimmen politischen Leidenschaften verschmolzen haben, s r d
sie zu Thatsachen geworden und haben sich in unerhörten Attentaten verwirk¬
licht, in Folge deren es für die Regierungen dringende Pflicht wird, sich mit
ihnen ernstlich zu beschäftigen und den Staat vor ihnen zu schützen.

Es würde leicht sein, in der französischen Geschichte seit 1793 das Neben¬
einanderfließen einer jakobinischen und einer communistischen oder socialistischen
Strömung nachzuweisen. Nach der Schreckensherrschaft, als der besiegte Jako¬
binismus genöthigt war, sein auf Nivellirung aller Verhältnisse gerichtetes
Unternehmen zu vertagen, wo nicht ganz aufzugeben, nahmen 179-1 kommu¬
nistische Theoretiker die Revolution im Stillen wieder auf. Damals trat in
dem Feldmesser Francois Noel Babeuf der directe Abram der 1871 geborenen
Commune auf, der in seinem Blatte "I^L Iridun co ?Lüi>lL" die Massenherr-
schaft mit ihren abgeschmacktesten Folgerungen predigte und eine vollständige
Umwälzung des Staates nicht blos, sondern aller Besitzverhältnisse anstrebte.
Die Grundgedanken seines Glaubens, dem sich zahlreiche Parteigänger des
gestürzten Jakobinerthums anschlössen (Darthi, Marechal und Buonarotti
waren die namhaftesten) und der durch eine förmliche Verschwörung zum Se^rz
des Directoriums verwirklicht werden sollte, waren folgende: Jeder Mensch
hat von Natur dasselbe Recht auf Genuß wie alle andern. Die Gesellschaft
muß dieses Recht zur Geltung bringen. Nicht arbeiten ist ein Verbrechen.
Arbeiten und Genüsse müssen gemeinsam sein, desgleichen der Unterricht. Es


Die Kommune und die Internationale.
i.

Die Jnsurrection vom 18. März dieses Jahres ist auf moralische und
materielle Ursachen zurückzuführen, von denen die einen so nahe liegen, daß
sie sich mit Händen greifen lassen, während die andern weit in die Vergangen¬
heit zurückführen und vorzüglich in der im Geheimen schleichenden Wirksamkeit
gewisser mehr oder minder in Dunkel gehüllten Gesellschaften und Sectev zu
suchen sind, welche unter dem Vorwand?, das Loos der arbeitenden Klassen
verbessern zu wollen, in den letzten Jahren eine permanente Verschwörung
gegen die gesammte sociale Ordnung gebildet haben.

Die socialistischen und kommunistischen Lehrsätze find bekanntermaßen
nichts Neues in der Welt. Sie sind, um einen Ausdruck Chateaubriands zu
brauchen, „alte Leckerbissen, welche seit zweitausend Jahren schon im Laden
jedes Philosophen hängen." So lange sie sich auf dem Gebiete der reinen
Speculation hielten, im Staat Utopien verblieben, entzogen sie sich der Auf¬
merksamkeit der Staatsmänner, und vielleicht zu sehr. Heutzutage, wo sie sich,
wie schon 1848, mit schlimmen politischen Leidenschaften verschmolzen haben, s r d
sie zu Thatsachen geworden und haben sich in unerhörten Attentaten verwirk¬
licht, in Folge deren es für die Regierungen dringende Pflicht wird, sich mit
ihnen ernstlich zu beschäftigen und den Staat vor ihnen zu schützen.

Es würde leicht sein, in der französischen Geschichte seit 1793 das Neben¬
einanderfließen einer jakobinischen und einer communistischen oder socialistischen
Strömung nachzuweisen. Nach der Schreckensherrschaft, als der besiegte Jako¬
binismus genöthigt war, sein auf Nivellirung aller Verhältnisse gerichtetes
Unternehmen zu vertagen, wo nicht ganz aufzugeben, nahmen 179-1 kommu¬
nistische Theoretiker die Revolution im Stillen wieder auf. Damals trat in
dem Feldmesser Francois Noel Babeuf der directe Abram der 1871 geborenen
Commune auf, der in seinem Blatte „I^L Iridun co ?Lüi>lL" die Massenherr-
schaft mit ihren abgeschmacktesten Folgerungen predigte und eine vollständige
Umwälzung des Staates nicht blos, sondern aller Besitzverhältnisse anstrebte.
Die Grundgedanken seines Glaubens, dem sich zahlreiche Parteigänger des
gestürzten Jakobinerthums anschlössen (Darthi, Marechal und Buonarotti
waren die namhaftesten) und der durch eine förmliche Verschwörung zum Se^rz
des Directoriums verwirklicht werden sollte, waren folgende: Jeder Mensch
hat von Natur dasselbe Recht auf Genuß wie alle andern. Die Gesellschaft
muß dieses Recht zur Geltung bringen. Nicht arbeiten ist ein Verbrechen.
Arbeiten und Genüsse müssen gemeinsam sein, desgleichen der Unterricht. Es


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[0104] Die Kommune und die Internationale. i. Die Jnsurrection vom 18. März dieses Jahres ist auf moralische und materielle Ursachen zurückzuführen, von denen die einen so nahe liegen, daß sie sich mit Händen greifen lassen, während die andern weit in die Vergangen¬ heit zurückführen und vorzüglich in der im Geheimen schleichenden Wirksamkeit gewisser mehr oder minder in Dunkel gehüllten Gesellschaften und Sectev zu suchen sind, welche unter dem Vorwand?, das Loos der arbeitenden Klassen verbessern zu wollen, in den letzten Jahren eine permanente Verschwörung gegen die gesammte sociale Ordnung gebildet haben. Die socialistischen und kommunistischen Lehrsätze find bekanntermaßen nichts Neues in der Welt. Sie sind, um einen Ausdruck Chateaubriands zu brauchen, „alte Leckerbissen, welche seit zweitausend Jahren schon im Laden jedes Philosophen hängen." So lange sie sich auf dem Gebiete der reinen Speculation hielten, im Staat Utopien verblieben, entzogen sie sich der Auf¬ merksamkeit der Staatsmänner, und vielleicht zu sehr. Heutzutage, wo sie sich, wie schon 1848, mit schlimmen politischen Leidenschaften verschmolzen haben, s r d sie zu Thatsachen geworden und haben sich in unerhörten Attentaten verwirk¬ licht, in Folge deren es für die Regierungen dringende Pflicht wird, sich mit ihnen ernstlich zu beschäftigen und den Staat vor ihnen zu schützen. Es würde leicht sein, in der französischen Geschichte seit 1793 das Neben¬ einanderfließen einer jakobinischen und einer communistischen oder socialistischen Strömung nachzuweisen. Nach der Schreckensherrschaft, als der besiegte Jako¬ binismus genöthigt war, sein auf Nivellirung aller Verhältnisse gerichtetes Unternehmen zu vertagen, wo nicht ganz aufzugeben, nahmen 179-1 kommu¬ nistische Theoretiker die Revolution im Stillen wieder auf. Damals trat in dem Feldmesser Francois Noel Babeuf der directe Abram der 1871 geborenen Commune auf, der in seinem Blatte „I^L Iridun co ?Lüi>lL" die Massenherr- schaft mit ihren abgeschmacktesten Folgerungen predigte und eine vollständige Umwälzung des Staates nicht blos, sondern aller Besitzverhältnisse anstrebte. Die Grundgedanken seines Glaubens, dem sich zahlreiche Parteigänger des gestürzten Jakobinerthums anschlössen (Darthi, Marechal und Buonarotti waren die namhaftesten) und der durch eine förmliche Verschwörung zum Se^rz des Directoriums verwirklicht werden sollte, waren folgende: Jeder Mensch hat von Natur dasselbe Recht auf Genuß wie alle andern. Die Gesellschaft muß dieses Recht zur Geltung bringen. Nicht arbeiten ist ein Verbrechen. Arbeiten und Genüsse müssen gemeinsam sein, desgleichen der Unterricht. Es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/104>, abgerufen am 02.05.2024.