Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.Für die Deutschen in Oestreich giebt es nur ein Mittel, diesem uner- Berliner Briefe. Di e deutsche Politik hat in den letzten vierzehn Für die Deutschen in Oestreich giebt es nur ein Mittel, diesem uner- Berliner Briefe. Di e deutsche Politik hat in den letzten vierzehn <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0407" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/126683"/> <p xml:id="ID_1235"> Für die Deutschen in Oestreich giebt es nur ein Mittel, diesem uner-<lb/> müdeten Streben, sie unter das Joch römischer Herrschaft und feudalen<lb/> Uebermuthes zu beugen, endlich ein Ziel zu setzen. Es ist der Anschluß der<lb/> ehemals zum deutschen Bunde gehörigen östreichischen Länder an Deutsch¬<lb/> land. Man vereinige sie in einen Staat, in ein Parlament mit directen<lb/> Wahlen, und trete damit zum deutschen Reiche in dasselbe Bundesverhält¬<lb/> niß wie die deutschen Südstaaten, Die Czechen, Slowenen und wenigen Ita¬<lb/> liener sind daselbst in entschiedener Minderzahl und stehen weit hinter der<lb/> entwickelten Cultur und dem geistigen Fortschritt der Deutschen. Bedeutet<lb/> doch der Kampf der Römlinge und Vollblutczechen gegen den freien deutschen<lb/> Geist nichts anderes als die versuchte Vernichtung jener höchsten Güter,<lb/> die er sich im Laufe der Jahrhunderte errungen, die ersehnte Rückkehr zur<lb/> Finsterniß und Leibeigenschaft des Mittelalters. Was man angeblich von<lb/> der Verfassung noch übrig lassen will, ist ja wenig mehr als ein Possenspiel,<lb/> ein Gerippe ohne Geist. Gesetzt aber auch, dieser Unverstand, diese Verhöhnung<lb/> aller Bildung, diese Verkehrung jeder vernünftigen Weltordnung würde für<lb/> den Augenblick die Oberhand erhalten, wie lange möchte wohl ein Zustand<lb/> dauern, der nur durch List und Gewalt errungen, und — sagen wir es nur<lb/> ganz offen — nicht einmal durch eine hinreichende Macht unterstützt ist, sich<lb/> zu erhalten. Leider wird der Staat den Schaden fühlen, den diese Mißwirth¬<lb/> schaft anrichtet. Wir verstehen darunter nicht bloß den daraus für den<lb/> Credit des Reiches nothwendig entspringenden Nachtheil, sondern auch andere<lb/> äußere Verwickelungen, woran es noch nicht fehlte, so oft unsere Jesuiten und<lb/> Feudalen am Ruder saßen. Wäre für Oestreich wirklich kein anderes<lb/> Regiment mehr möglich als das dieser Dunkelmänner, so läge darin bloß der<lb/> Beweis, daß das Ende seiner Tage gekommen. Also nur vorwärts ihr Schüler<lb/> des Unfehlbarer!</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Berliner Briefe.</head><lb/> <p xml:id="ID_1236" next="#ID_1237"> Di e deutsche Politik hat in den letzten vierzehn<lb/> Tagen einen großen Schritt vorwärts gethan. Heute vor zwei Wochen traf<lb/> der Fürst Reichskanzler aus Varzin hier ein und was er in den 48 Stunden<lb/> seines hiesigen Aufenthaltes gethan hat, davon bringt jedes Zeitungsblatt<lb/> neue Kunde. An politischer Wichtigkeit obenan steht das Vorgehen gegen<lb/> Frankreich. Grade während des Varziner Aufenthaltes waren eine Menge<lb/> kleiner Vorgänge zu einander gekommen, welche, an sich unbedeutend, in der<lb/> Summe den bösen Willen der Franzosen zeigten. Durch eine Ironie des<lb/> Schicksals macht ein Bericht aus Poligny im Jura über ein Attentat auf die<lb/> Besatzungstruppen, das sich nachher als bedeutend übertrieben herausstellte,<lb/> das Maaß überfließen. Der Kanzler ging Herrn v. Gabriac selbst zu Leibe<lb/> und sagte, daß die französische Regierung sich über die Grenzen seiner Geduld<lb/> keiner Täuschung hingeben konnte. Die Folge war, daß jene andre<lb/> Saiten aufzog und als Graf Waldersee die Beschwerden des Kanzlers vor¬<lb/> brachte, konnte Herr v. Re'anhat ihm sagen, daß die allerdings brennendste<lb/> derselben, die Duldung des Befreiungsbundes für Elsaß-Lothringen, schon durch<lb/> das Verbot des Bundes gehoben sei. Praktisch ist damit allerdings nicht<lb/> viel gewonnen, denn die Agitation wird fortgesetzt werden, aber es ist unum¬<lb/> gänglich, von Zeit zu Zeit die Franzosen einmal zu dem Eingeständniß ihrer</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0407]
Für die Deutschen in Oestreich giebt es nur ein Mittel, diesem uner-
müdeten Streben, sie unter das Joch römischer Herrschaft und feudalen
Uebermuthes zu beugen, endlich ein Ziel zu setzen. Es ist der Anschluß der
ehemals zum deutschen Bunde gehörigen östreichischen Länder an Deutsch¬
land. Man vereinige sie in einen Staat, in ein Parlament mit directen
Wahlen, und trete damit zum deutschen Reiche in dasselbe Bundesverhält¬
niß wie die deutschen Südstaaten, Die Czechen, Slowenen und wenigen Ita¬
liener sind daselbst in entschiedener Minderzahl und stehen weit hinter der
entwickelten Cultur und dem geistigen Fortschritt der Deutschen. Bedeutet
doch der Kampf der Römlinge und Vollblutczechen gegen den freien deutschen
Geist nichts anderes als die versuchte Vernichtung jener höchsten Güter,
die er sich im Laufe der Jahrhunderte errungen, die ersehnte Rückkehr zur
Finsterniß und Leibeigenschaft des Mittelalters. Was man angeblich von
der Verfassung noch übrig lassen will, ist ja wenig mehr als ein Possenspiel,
ein Gerippe ohne Geist. Gesetzt aber auch, dieser Unverstand, diese Verhöhnung
aller Bildung, diese Verkehrung jeder vernünftigen Weltordnung würde für
den Augenblick die Oberhand erhalten, wie lange möchte wohl ein Zustand
dauern, der nur durch List und Gewalt errungen, und — sagen wir es nur
ganz offen — nicht einmal durch eine hinreichende Macht unterstützt ist, sich
zu erhalten. Leider wird der Staat den Schaden fühlen, den diese Mißwirth¬
schaft anrichtet. Wir verstehen darunter nicht bloß den daraus für den
Credit des Reiches nothwendig entspringenden Nachtheil, sondern auch andere
äußere Verwickelungen, woran es noch nicht fehlte, so oft unsere Jesuiten und
Feudalen am Ruder saßen. Wäre für Oestreich wirklich kein anderes
Regiment mehr möglich als das dieser Dunkelmänner, so läge darin bloß der
Beweis, daß das Ende seiner Tage gekommen. Also nur vorwärts ihr Schüler
des Unfehlbarer!
Berliner Briefe.
Di e deutsche Politik hat in den letzten vierzehn
Tagen einen großen Schritt vorwärts gethan. Heute vor zwei Wochen traf
der Fürst Reichskanzler aus Varzin hier ein und was er in den 48 Stunden
seines hiesigen Aufenthaltes gethan hat, davon bringt jedes Zeitungsblatt
neue Kunde. An politischer Wichtigkeit obenan steht das Vorgehen gegen
Frankreich. Grade während des Varziner Aufenthaltes waren eine Menge
kleiner Vorgänge zu einander gekommen, welche, an sich unbedeutend, in der
Summe den bösen Willen der Franzosen zeigten. Durch eine Ironie des
Schicksals macht ein Bericht aus Poligny im Jura über ein Attentat auf die
Besatzungstruppen, das sich nachher als bedeutend übertrieben herausstellte,
das Maaß überfließen. Der Kanzler ging Herrn v. Gabriac selbst zu Leibe
und sagte, daß die französische Regierung sich über die Grenzen seiner Geduld
keiner Täuschung hingeben konnte. Die Folge war, daß jene andre
Saiten aufzog und als Graf Waldersee die Beschwerden des Kanzlers vor¬
brachte, konnte Herr v. Re'anhat ihm sagen, daß die allerdings brennendste
derselben, die Duldung des Befreiungsbundes für Elsaß-Lothringen, schon durch
das Verbot des Bundes gehoben sei. Praktisch ist damit allerdings nicht
viel gewonnen, denn die Agitation wird fortgesetzt werden, aber es ist unum¬
gänglich, von Zeit zu Zeit die Franzosen einmal zu dem Eingeständniß ihrer
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