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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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nen, wenn auch zeitweise mit Hilfe des Belagerungszustandes, Aber dieser
Schritt hätte auch sonst noch große Jnconvenienzen gehabt. Die Theilung
der Staatsschuld, die Schwierigkeit, bei einem dreigetheilten Reich die Einheit
und den Nachdruck der auswärtigen Politik aufrecht zu erhalten u. s. w.
Daher darf man sich nicht wundern, daß der einzige Weg, den Deutschen die
parlamentarische Herrschaft zu sichern, nicht eingeschlagen worden. Daraus
ergibt sich aber das jetzige Experiment.

Die December-Verfassung zu retten, glauben die Deutschen in Oestreich
wohl selbst nicht mehr. Unseres Bedünkens kann es sich nur darum handeln,
die Autonomie in den deutschen Landschaften möglichst ausgedehnt zu retten
und die Gleichberechtigung in Böhmen besser zu sichern, als in dem jetzt vor¬
gelegten Nationalitätengesetz geschieht.

Für dieses Kampfziel sind unsere Sympathien in voller Stärke bei un¬
sern östreichischen Brüdern. Denn wir sehen wohl, wer ihre Gegner sind.
Für den berechtigten Gedanken, die Reichseinheit zu retten, welche auf dem
Wege parlamentarischer Centralisation allerdings nicht zu erhalten ist, bedient
sich das gegenwärtige Ministerium nicht nur des maßlosen Egoismus halb
barbarischer Völkerstämme, man bedient sich nicht nur, wie immer, der Je¬
suiten, man bedient sich sogar der Internationalen. Denn durch den Minister
Dr. Schäffle, der als volkswirtschaftlicher Schriftsteller den Theorien von
Carl Marx über das Capital nicht gerade zustimmt, aber doch sich von den¬
selben die Hand reichen läßt, durch die literarischen Werkzeuge desselben Mi¬
nisters, durch die Freese und Consorten reicht die Internationale in das ge¬
genwärtige Ministerium, oder wenn man lieber will, das Ministerium in die
Internationale. Der Bund ist nicht schön, dessen sich unsere Stammesgenossen
zu erwehren haben. Sie werden siegen, das glauben wir fest, wenn sie ihr
Ziel richtig zu wählen verstehen. Dieses Ziel aber kann kein anderes sein,
als dieses: Daß die Deutschen, die treuesten Söhne des alten Kaiserstaates,
nicht, die Einzigen im Haus, als' Stiefkinder behandelt werden.




Heffmtliche Hesimdheitspslege.

In einer großen Zahl deutscher Städte haben seit dem vorigen Winter die
Blattern gehaust, und gegenwärtig nähert sich vom Nordosten her die Cholera.
Es dürfte daher im Augenblick eher als sonst Aussicht auf Interesse und Be¬
achtung haben, wenn wir ein paar Fragen der öffentlichen Gesundheitspflege


nen, wenn auch zeitweise mit Hilfe des Belagerungszustandes, Aber dieser
Schritt hätte auch sonst noch große Jnconvenienzen gehabt. Die Theilung
der Staatsschuld, die Schwierigkeit, bei einem dreigetheilten Reich die Einheit
und den Nachdruck der auswärtigen Politik aufrecht zu erhalten u. s. w.
Daher darf man sich nicht wundern, daß der einzige Weg, den Deutschen die
parlamentarische Herrschaft zu sichern, nicht eingeschlagen worden. Daraus
ergibt sich aber das jetzige Experiment.

Die December-Verfassung zu retten, glauben die Deutschen in Oestreich
wohl selbst nicht mehr. Unseres Bedünkens kann es sich nur darum handeln,
die Autonomie in den deutschen Landschaften möglichst ausgedehnt zu retten
und die Gleichberechtigung in Böhmen besser zu sichern, als in dem jetzt vor¬
gelegten Nationalitätengesetz geschieht.

Für dieses Kampfziel sind unsere Sympathien in voller Stärke bei un¬
sern östreichischen Brüdern. Denn wir sehen wohl, wer ihre Gegner sind.
Für den berechtigten Gedanken, die Reichseinheit zu retten, welche auf dem
Wege parlamentarischer Centralisation allerdings nicht zu erhalten ist, bedient
sich das gegenwärtige Ministerium nicht nur des maßlosen Egoismus halb
barbarischer Völkerstämme, man bedient sich nicht nur, wie immer, der Je¬
suiten, man bedient sich sogar der Internationalen. Denn durch den Minister
Dr. Schäffle, der als volkswirtschaftlicher Schriftsteller den Theorien von
Carl Marx über das Capital nicht gerade zustimmt, aber doch sich von den¬
selben die Hand reichen läßt, durch die literarischen Werkzeuge desselben Mi¬
nisters, durch die Freese und Consorten reicht die Internationale in das ge¬
genwärtige Ministerium, oder wenn man lieber will, das Ministerium in die
Internationale. Der Bund ist nicht schön, dessen sich unsere Stammesgenossen
zu erwehren haben. Sie werden siegen, das glauben wir fest, wenn sie ihr
Ziel richtig zu wählen verstehen. Dieses Ziel aber kann kein anderes sein,
als dieses: Daß die Deutschen, die treuesten Söhne des alten Kaiserstaates,
nicht, die Einzigen im Haus, als' Stiefkinder behandelt werden.




Heffmtliche Hesimdheitspslege.

In einer großen Zahl deutscher Städte haben seit dem vorigen Winter die
Blattern gehaust, und gegenwärtig nähert sich vom Nordosten her die Cholera.
Es dürfte daher im Augenblick eher als sonst Aussicht auf Interesse und Be¬
achtung haben, wenn wir ein paar Fragen der öffentlichen Gesundheitspflege


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/563>, abgerufen am 02.05.2024.