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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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des 16. Jahrhunderts, sie wäre gar nicht eingetreten und der nationale Ge¬
nius hier wie dort wäre durch unnatürliche Aufgaben nicht gehemmt und
verkrüppelt worden! Doch es ist unnütz diesem Gedanken heute nachzuhängen:
wir haben ihn ausgesprochen, um die Tragweite und den Inhalt der ferdi¬
nandischen Realpolitik recht scharf zu bezeichnen.

Kaiser Maximilian ließ sich nicht dafür gewinnen: am Gegensatze des
Habsburgischen zu dem spanischen Programme hielt er fest. Und Ferdinand
hat selbst sogar auf dem Todtenbette sich zu dem Habsburgischen Systeme
bekehren lassen. Der überwältigende Eindruck des französischen Kriegszuges
Franz I. ISIS zeigte die französische Uebermacht in so drohendem Lichte, daß
nöthig schien, alle entgegenstehenden Elemente auf's engste zusammenzu¬
binden. Die Habsburger hatten in Spanien selbst unter den Ministern Fer¬
dinands sich einen Anhang geschaffen, der Ferdinand bis zuletzt für die Habs¬
burgischen Interessen bearbeitete: in der letzten Krankheit war sein politischer
Geist erschüttert; wenige Tage vor seinem Tode stieß er sein früheres Testa¬
ment um: mit einem Zuge der Feder vernichtete er selbst, was er in den
letzten Jahren vorgebaut hatte: am 23. Januar 1S16 verschied er.

Der Habsburgische Karl trat nun in die spanische Erbschaft ein. Das
Fundament seiner europäischen Stellung ist die Monarchie der katholischen
Könige gewesen. Geld und Soldaten und Staatsmänner hat Spanien ihm
geliefert: und der spanische Geist ist der Kitt geworden, der die Theile seines
Reiches verbunden und die einzelnen Aufgaben seiner Negierung zu einem
Ganzen zusammengehalten.




Ion Kom nach Morenz.
Von Dr. Hans Semper.
VI. Temi.

Wir kamen Abends in Temi an, und freuten uns über das muntere
gewerbliche Leben, das noch immer in den Straßen währte; es schien gerade
Markttag zu sein. Des andern Morgens früh verließen wir den Geburts¬
ort des großen Historikers Tacitus, um den weltberühmten.Wasserfall des
^cuno zu besichtigen. Nahe bei der Stadt liegt eine große Eisenhütte, die


des 16. Jahrhunderts, sie wäre gar nicht eingetreten und der nationale Ge¬
nius hier wie dort wäre durch unnatürliche Aufgaben nicht gehemmt und
verkrüppelt worden! Doch es ist unnütz diesem Gedanken heute nachzuhängen:
wir haben ihn ausgesprochen, um die Tragweite und den Inhalt der ferdi¬
nandischen Realpolitik recht scharf zu bezeichnen.

Kaiser Maximilian ließ sich nicht dafür gewinnen: am Gegensatze des
Habsburgischen zu dem spanischen Programme hielt er fest. Und Ferdinand
hat selbst sogar auf dem Todtenbette sich zu dem Habsburgischen Systeme
bekehren lassen. Der überwältigende Eindruck des französischen Kriegszuges
Franz I. ISIS zeigte die französische Uebermacht in so drohendem Lichte, daß
nöthig schien, alle entgegenstehenden Elemente auf's engste zusammenzu¬
binden. Die Habsburger hatten in Spanien selbst unter den Ministern Fer¬
dinands sich einen Anhang geschaffen, der Ferdinand bis zuletzt für die Habs¬
burgischen Interessen bearbeitete: in der letzten Krankheit war sein politischer
Geist erschüttert; wenige Tage vor seinem Tode stieß er sein früheres Testa¬
ment um: mit einem Zuge der Feder vernichtete er selbst, was er in den
letzten Jahren vorgebaut hatte: am 23. Januar 1S16 verschied er.

Der Habsburgische Karl trat nun in die spanische Erbschaft ein. Das
Fundament seiner europäischen Stellung ist die Monarchie der katholischen
Könige gewesen. Geld und Soldaten und Staatsmänner hat Spanien ihm
geliefert: und der spanische Geist ist der Kitt geworden, der die Theile seines
Reiches verbunden und die einzelnen Aufgaben seiner Negierung zu einem
Ganzen zusammengehalten.




Ion Kom nach Morenz.
Von Dr. Hans Semper.
VI. Temi.

Wir kamen Abends in Temi an, und freuten uns über das muntere
gewerbliche Leben, das noch immer in den Straßen währte; es schien gerade
Markttag zu sein. Des andern Morgens früh verließen wir den Geburts¬
ort des großen Historikers Tacitus, um den weltberühmten.Wasserfall des
^cuno zu besichtigen. Nahe bei der Stadt liegt eine große Eisenhütte, die


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[0181] des 16. Jahrhunderts, sie wäre gar nicht eingetreten und der nationale Ge¬ nius hier wie dort wäre durch unnatürliche Aufgaben nicht gehemmt und verkrüppelt worden! Doch es ist unnütz diesem Gedanken heute nachzuhängen: wir haben ihn ausgesprochen, um die Tragweite und den Inhalt der ferdi¬ nandischen Realpolitik recht scharf zu bezeichnen. Kaiser Maximilian ließ sich nicht dafür gewinnen: am Gegensatze des Habsburgischen zu dem spanischen Programme hielt er fest. Und Ferdinand hat selbst sogar auf dem Todtenbette sich zu dem Habsburgischen Systeme bekehren lassen. Der überwältigende Eindruck des französischen Kriegszuges Franz I. ISIS zeigte die französische Uebermacht in so drohendem Lichte, daß nöthig schien, alle entgegenstehenden Elemente auf's engste zusammenzu¬ binden. Die Habsburger hatten in Spanien selbst unter den Ministern Fer¬ dinands sich einen Anhang geschaffen, der Ferdinand bis zuletzt für die Habs¬ burgischen Interessen bearbeitete: in der letzten Krankheit war sein politischer Geist erschüttert; wenige Tage vor seinem Tode stieß er sein früheres Testa¬ ment um: mit einem Zuge der Feder vernichtete er selbst, was er in den letzten Jahren vorgebaut hatte: am 23. Januar 1S16 verschied er. Der Habsburgische Karl trat nun in die spanische Erbschaft ein. Das Fundament seiner europäischen Stellung ist die Monarchie der katholischen Könige gewesen. Geld und Soldaten und Staatsmänner hat Spanien ihm geliefert: und der spanische Geist ist der Kitt geworden, der die Theile seines Reiches verbunden und die einzelnen Aufgaben seiner Negierung zu einem Ganzen zusammengehalten. Ion Kom nach Morenz. Von Dr. Hans Semper. VI. Temi. Wir kamen Abends in Temi an, und freuten uns über das muntere gewerbliche Leben, das noch immer in den Straßen währte; es schien gerade Markttag zu sein. Des andern Morgens früh verließen wir den Geburts¬ ort des großen Historikers Tacitus, um den weltberühmten.Wasserfall des ^cuno zu besichtigen. Nahe bei der Stadt liegt eine große Eisenhütte, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/181>, abgerufen am 08.05.2024.