Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

zuerkennen. Unser Minister (Pouyer Quertier) besitzt, Dank sei ihm dafür
gesagt, einen vortrefflichen Magen -- so behauptet man wenigstens -- und
er hat sich desselben zum größten Nutzen der Verhandlungen bedient, aber,
so fragen wir, ist der Moment, wo wir auf solche Mittelchen angewiesen
sind, der geeignete, wo wir die Großmäuler und die Eisenfresser spielen dür¬
fen? Dürfen wir jetzt die Lächerlichkeit begehen, im Bilde einen Feind zu
verjagen, den wir nicht mit den Waffen in der Hand über die Grenzen trei¬
ben konnten?

Da haben Sie, mein Herr, ein Beispiel des Pariser Geistes. Man sieht
Aehnliches häufig an die Wände angeklebt, aber weder die städtische Polizei,
noch die öffentliche Schamhaftigkeit trägt Sorge, daß hier Ordnung gestiftet
wird. Ich spreche nicht von allen Parisern. Gott sei Dank! Aber von
jener stupiden und plumpen, unwissenden und anspruchsvollen Masse, die we¬
der Scham, noch Würde hat und hundert Mal alberner und dümmer ist als
die rüpelhaftesten unserer Bauern. Denn diese Gesellschaft hält sich für viel
gescheidter und geschmackvoller als wir in der Provinz. Sie ist der Ueber¬
zeugung, daß sie allein "das Volk" sei (was beiläufig auch Leute in Deutsch¬
land von sich meinen) und daß die ganze übrige Welt nichts zu bedeuten
habe. Ich rede von dieser Masse, welche den 18. März machte oder -- was
schlimmer ist, -- machen ließ.

Wenn ein Nationalunglück wie dasjenige, welches uns das Blut ab¬
zapft, ein Volk betroffen hat, und wenn dieses Volk, statt sich ernst und
würdig von seinem Fall zu erheben, keine andern Kundgebungen seines Schmer¬
zes und seines Ingrimms weiß, als solche erbärmliche Witze, so sage ich, daß
dieses Volk auf dem Wege ist, der zum Nichts führt. Wenn man sich nicht
beeilt, mit dem Elementarunterricht dieser drohenden Auflösung aller anstän¬
digen Empfindungen und aller Grundsätze entgegenzutreten, so bedarf es nur
noch eines Schrittes, um in die letzte und äußerste Erniedrigung in politischer
Beziehung zu verfallen, in die Einverleibung in das deutsche Reich.




Die "Jostanstatten der Kaiserstadt Berlin.

Wie das gesammte Staatsleben Preußens den aufstrebenden Zug ener¬
gischer Kraftentwickelung zeigt, so findet sich auch in dem preußischen Post¬
Wesen diese Signatur in charakteristischer Schärfe ausgeprägt. Aus dem
nationalen Aufschwünge von 1815 zog auch das Postwesen seine treibende
Kraft und entfaltete unter der Leitung trefflicher Verwaltungschefs mehr und


zuerkennen. Unser Minister (Pouyer Quertier) besitzt, Dank sei ihm dafür
gesagt, einen vortrefflichen Magen — so behauptet man wenigstens — und
er hat sich desselben zum größten Nutzen der Verhandlungen bedient, aber,
so fragen wir, ist der Moment, wo wir auf solche Mittelchen angewiesen
sind, der geeignete, wo wir die Großmäuler und die Eisenfresser spielen dür¬
fen? Dürfen wir jetzt die Lächerlichkeit begehen, im Bilde einen Feind zu
verjagen, den wir nicht mit den Waffen in der Hand über die Grenzen trei¬
ben konnten?

Da haben Sie, mein Herr, ein Beispiel des Pariser Geistes. Man sieht
Aehnliches häufig an die Wände angeklebt, aber weder die städtische Polizei,
noch die öffentliche Schamhaftigkeit trägt Sorge, daß hier Ordnung gestiftet
wird. Ich spreche nicht von allen Parisern. Gott sei Dank! Aber von
jener stupiden und plumpen, unwissenden und anspruchsvollen Masse, die we¬
der Scham, noch Würde hat und hundert Mal alberner und dümmer ist als
die rüpelhaftesten unserer Bauern. Denn diese Gesellschaft hält sich für viel
gescheidter und geschmackvoller als wir in der Provinz. Sie ist der Ueber¬
zeugung, daß sie allein „das Volk" sei (was beiläufig auch Leute in Deutsch¬
land von sich meinen) und daß die ganze übrige Welt nichts zu bedeuten
habe. Ich rede von dieser Masse, welche den 18. März machte oder — was
schlimmer ist, — machen ließ.

Wenn ein Nationalunglück wie dasjenige, welches uns das Blut ab¬
zapft, ein Volk betroffen hat, und wenn dieses Volk, statt sich ernst und
würdig von seinem Fall zu erheben, keine andern Kundgebungen seines Schmer¬
zes und seines Ingrimms weiß, als solche erbärmliche Witze, so sage ich, daß
dieses Volk auf dem Wege ist, der zum Nichts führt. Wenn man sich nicht
beeilt, mit dem Elementarunterricht dieser drohenden Auflösung aller anstän¬
digen Empfindungen und aller Grundsätze entgegenzutreten, so bedarf es nur
noch eines Schrittes, um in die letzte und äußerste Erniedrigung in politischer
Beziehung zu verfallen, in die Einverleibung in das deutsche Reich.




Die "Jostanstatten der Kaiserstadt Berlin.

Wie das gesammte Staatsleben Preußens den aufstrebenden Zug ener¬
gischer Kraftentwickelung zeigt, so findet sich auch in dem preußischen Post¬
Wesen diese Signatur in charakteristischer Schärfe ausgeprägt. Aus dem
nationalen Aufschwünge von 1815 zog auch das Postwesen seine treibende
Kraft und entfaltete unter der Leitung trefflicher Verwaltungschefs mehr und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0236" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192537"/>
          <p xml:id="ID_899" prev="#ID_898"> zuerkennen. Unser Minister (Pouyer Quertier) besitzt, Dank sei ihm dafür<lb/>
gesagt, einen vortrefflichen Magen &#x2014; so behauptet man wenigstens &#x2014; und<lb/>
er hat sich desselben zum größten Nutzen der Verhandlungen bedient, aber,<lb/>
so fragen wir, ist der Moment, wo wir auf solche Mittelchen angewiesen<lb/>
sind, der geeignete, wo wir die Großmäuler und die Eisenfresser spielen dür¬<lb/>
fen? Dürfen wir jetzt die Lächerlichkeit begehen, im Bilde einen Feind zu<lb/>
verjagen, den wir nicht mit den Waffen in der Hand über die Grenzen trei¬<lb/>
ben konnten?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_900"> Da haben Sie, mein Herr, ein Beispiel des Pariser Geistes. Man sieht<lb/>
Aehnliches häufig an die Wände angeklebt, aber weder die städtische Polizei,<lb/>
noch die öffentliche Schamhaftigkeit trägt Sorge, daß hier Ordnung gestiftet<lb/>
wird. Ich spreche nicht von allen Parisern. Gott sei Dank! Aber von<lb/>
jener stupiden und plumpen, unwissenden und anspruchsvollen Masse, die we¬<lb/>
der Scham, noch Würde hat und hundert Mal alberner und dümmer ist als<lb/>
die rüpelhaftesten unserer Bauern. Denn diese Gesellschaft hält sich für viel<lb/>
gescheidter und geschmackvoller als wir in der Provinz. Sie ist der Ueber¬<lb/>
zeugung, daß sie allein &#x201E;das Volk" sei (was beiläufig auch Leute in Deutsch¬<lb/>
land von sich meinen) und daß die ganze übrige Welt nichts zu bedeuten<lb/>
habe. Ich rede von dieser Masse, welche den 18. März machte oder &#x2014; was<lb/>
schlimmer ist, &#x2014; machen ließ.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_901"> Wenn ein Nationalunglück wie dasjenige, welches uns das Blut ab¬<lb/>
zapft, ein Volk betroffen hat, und wenn dieses Volk, statt sich ernst und<lb/>
würdig von seinem Fall zu erheben, keine andern Kundgebungen seines Schmer¬<lb/>
zes und seines Ingrimms weiß, als solche erbärmliche Witze, so sage ich, daß<lb/>
dieses Volk auf dem Wege ist, der zum Nichts führt. Wenn man sich nicht<lb/>
beeilt, mit dem Elementarunterricht dieser drohenden Auflösung aller anstän¬<lb/>
digen Empfindungen und aller Grundsätze entgegenzutreten, so bedarf es nur<lb/>
noch eines Schrittes, um in die letzte und äußerste Erniedrigung in politischer<lb/>
Beziehung zu verfallen, in die Einverleibung in das deutsche Reich.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die "Jostanstatten der Kaiserstadt Berlin.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_902" next="#ID_903"> Wie das gesammte Staatsleben Preußens den aufstrebenden Zug ener¬<lb/>
gischer Kraftentwickelung zeigt, so findet sich auch in dem preußischen Post¬<lb/>
Wesen diese Signatur in charakteristischer Schärfe ausgeprägt. Aus dem<lb/>
nationalen Aufschwünge von 1815 zog auch das Postwesen seine treibende<lb/>
Kraft und entfaltete unter der Leitung trefflicher Verwaltungschefs mehr und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0236] zuerkennen. Unser Minister (Pouyer Quertier) besitzt, Dank sei ihm dafür gesagt, einen vortrefflichen Magen — so behauptet man wenigstens — und er hat sich desselben zum größten Nutzen der Verhandlungen bedient, aber, so fragen wir, ist der Moment, wo wir auf solche Mittelchen angewiesen sind, der geeignete, wo wir die Großmäuler und die Eisenfresser spielen dür¬ fen? Dürfen wir jetzt die Lächerlichkeit begehen, im Bilde einen Feind zu verjagen, den wir nicht mit den Waffen in der Hand über die Grenzen trei¬ ben konnten? Da haben Sie, mein Herr, ein Beispiel des Pariser Geistes. Man sieht Aehnliches häufig an die Wände angeklebt, aber weder die städtische Polizei, noch die öffentliche Schamhaftigkeit trägt Sorge, daß hier Ordnung gestiftet wird. Ich spreche nicht von allen Parisern. Gott sei Dank! Aber von jener stupiden und plumpen, unwissenden und anspruchsvollen Masse, die we¬ der Scham, noch Würde hat und hundert Mal alberner und dümmer ist als die rüpelhaftesten unserer Bauern. Denn diese Gesellschaft hält sich für viel gescheidter und geschmackvoller als wir in der Provinz. Sie ist der Ueber¬ zeugung, daß sie allein „das Volk" sei (was beiläufig auch Leute in Deutsch¬ land von sich meinen) und daß die ganze übrige Welt nichts zu bedeuten habe. Ich rede von dieser Masse, welche den 18. März machte oder — was schlimmer ist, — machen ließ. Wenn ein Nationalunglück wie dasjenige, welches uns das Blut ab¬ zapft, ein Volk betroffen hat, und wenn dieses Volk, statt sich ernst und würdig von seinem Fall zu erheben, keine andern Kundgebungen seines Schmer¬ zes und seines Ingrimms weiß, als solche erbärmliche Witze, so sage ich, daß dieses Volk auf dem Wege ist, der zum Nichts führt. Wenn man sich nicht beeilt, mit dem Elementarunterricht dieser drohenden Auflösung aller anstän¬ digen Empfindungen und aller Grundsätze entgegenzutreten, so bedarf es nur noch eines Schrittes, um in die letzte und äußerste Erniedrigung in politischer Beziehung zu verfallen, in die Einverleibung in das deutsche Reich. Die "Jostanstatten der Kaiserstadt Berlin. Wie das gesammte Staatsleben Preußens den aufstrebenden Zug ener¬ gischer Kraftentwickelung zeigt, so findet sich auch in dem preußischen Post¬ Wesen diese Signatur in charakteristischer Schärfe ausgeprägt. Aus dem nationalen Aufschwünge von 1815 zog auch das Postwesen seine treibende Kraft und entfaltete unter der Leitung trefflicher Verwaltungschefs mehr und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/236
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/236>, abgerufen am 08.05.2024.