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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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Zum AathMen-songrch in München.

Kaum eine andere Stadt in Deutschland wird sich rühmen können, daß
ihre Entwicklung so singulär und ihr geistiges Leben so eigengestaltig ist, wie
München. Wir weisen den Leser nur flüchtig auf jene Kämpfe hin. die hier seit
den Zeiten Adels das politische Leben erfüllen, wir erinnern ihn an jene Con¬
flicte, die auf wissenschaftlichem Gebiete stattfanden, als die Autochthonen zür¬
nend den "Berufenen" entgegentraten. Wie epochemachend waren die Leistungen
und Stürme der Künstlerwelt, wieviel hat der literarische Kreis, den König
Max zu seiner Tafelrunde berief, geleistet für die innere Entwicklung der Stadt.

Und als nun im vergangenen Jahre die süddeutsche Residenz auch ihrer
nationalen Pflicht so glänzend genügt hatte, da schien es. als ob nun
ein Stillstand, ein innerer Abschluß erreicht sei, die singuläre Bedeutung der
Stadt schien absorbirt zu werden von einer gleichmäßigen deutschen Ent¬
wickelung.

So schien es -- allein das Schicksal ging andere Wege und in die reiche
Geschichte der Stadt wird wieder ein neues Blatt gefügt, eigenartig und
fesselnd, wie nur irgend ein anderes. Wieder steht München im Bordergrunde
eines geistigen Kampfes, der tief in alles deutsche Leben eingreift -- es ist zum
centralen Schauplatz der religiösen Frage und Freiheit geworden.

In diesem Zusammenhange muß man den Altkatholischen Congreß be¬
trachten, der dort zusammentrat. Nicht als Lösung des brennenden Streites,
sondern als erster merkwürdiger Versuch zur Lösung ist er interessant; nicht
der Abschluß, sondern die Initiative hiezu ist das Verdienst von München.
Und in diesem Sinne verdient die Versammlung ohne Zweifel das allgemeinste
Interesse, auf welchem Standpunkt auch der Einzelne stehen mag.

Allein, obwohl die Agitation in diesem untrennbaren inneren Zusammen¬
hange mit München steht, so vermied sie doch immerhin jeden localen
Charakter.

Schon bei Zeiten hatte sich das dortige Comite mit allen katholischen
Städten Deutschlands, besonders am Rhein, in Verbindung gesetzt, und ge¬
wann dadurch eine breitere Basis und jene hohen persönlichen Kräfte, die für
den Erfolg unentbehrlich sind. Auch das nähere Progamm und die ganze
Organisirung ward bereits in der Vorbesprechung zu Heidelberg festgestellt,
und so war ein festes systematisches Gefüge hergestellt, als die Delegirten aller
Länder in München zusammentrafen.

Natürlich war der eigentliche Kern der Versammlung deutsch, denn eine
nationale Frage ist es ja, um die es sich für uns in letzter Reihe handelt,
allein dem universalen Charakter, der ihr eigen ist, entsprach, daß auch die


Zum AathMen-songrch in München.

Kaum eine andere Stadt in Deutschland wird sich rühmen können, daß
ihre Entwicklung so singulär und ihr geistiges Leben so eigengestaltig ist, wie
München. Wir weisen den Leser nur flüchtig auf jene Kämpfe hin. die hier seit
den Zeiten Adels das politische Leben erfüllen, wir erinnern ihn an jene Con¬
flicte, die auf wissenschaftlichem Gebiete stattfanden, als die Autochthonen zür¬
nend den „Berufenen" entgegentraten. Wie epochemachend waren die Leistungen
und Stürme der Künstlerwelt, wieviel hat der literarische Kreis, den König
Max zu seiner Tafelrunde berief, geleistet für die innere Entwicklung der Stadt.

Und als nun im vergangenen Jahre die süddeutsche Residenz auch ihrer
nationalen Pflicht so glänzend genügt hatte, da schien es. als ob nun
ein Stillstand, ein innerer Abschluß erreicht sei, die singuläre Bedeutung der
Stadt schien absorbirt zu werden von einer gleichmäßigen deutschen Ent¬
wickelung.

So schien es — allein das Schicksal ging andere Wege und in die reiche
Geschichte der Stadt wird wieder ein neues Blatt gefügt, eigenartig und
fesselnd, wie nur irgend ein anderes. Wieder steht München im Bordergrunde
eines geistigen Kampfes, der tief in alles deutsche Leben eingreift — es ist zum
centralen Schauplatz der religiösen Frage und Freiheit geworden.

In diesem Zusammenhange muß man den Altkatholischen Congreß be¬
trachten, der dort zusammentrat. Nicht als Lösung des brennenden Streites,
sondern als erster merkwürdiger Versuch zur Lösung ist er interessant; nicht
der Abschluß, sondern die Initiative hiezu ist das Verdienst von München.
Und in diesem Sinne verdient die Versammlung ohne Zweifel das allgemeinste
Interesse, auf welchem Standpunkt auch der Einzelne stehen mag.

Allein, obwohl die Agitation in diesem untrennbaren inneren Zusammen¬
hange mit München steht, so vermied sie doch immerhin jeden localen
Charakter.

Schon bei Zeiten hatte sich das dortige Comite mit allen katholischen
Städten Deutschlands, besonders am Rhein, in Verbindung gesetzt, und ge¬
wann dadurch eine breitere Basis und jene hohen persönlichen Kräfte, die für
den Erfolg unentbehrlich sind. Auch das nähere Progamm und die ganze
Organisirung ward bereits in der Vorbesprechung zu Heidelberg festgestellt,
und so war ein festes systematisches Gefüge hergestellt, als die Delegirten aller
Länder in München zusammentrafen.

Natürlich war der eigentliche Kern der Versammlung deutsch, denn eine
nationale Frage ist es ja, um die es sich für uns in letzter Reihe handelt,
allein dem universalen Charakter, der ihr eigen ist, entsprach, daß auch die


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[0037] Zum AathMen-songrch in München. Kaum eine andere Stadt in Deutschland wird sich rühmen können, daß ihre Entwicklung so singulär und ihr geistiges Leben so eigengestaltig ist, wie München. Wir weisen den Leser nur flüchtig auf jene Kämpfe hin. die hier seit den Zeiten Adels das politische Leben erfüllen, wir erinnern ihn an jene Con¬ flicte, die auf wissenschaftlichem Gebiete stattfanden, als die Autochthonen zür¬ nend den „Berufenen" entgegentraten. Wie epochemachend waren die Leistungen und Stürme der Künstlerwelt, wieviel hat der literarische Kreis, den König Max zu seiner Tafelrunde berief, geleistet für die innere Entwicklung der Stadt. Und als nun im vergangenen Jahre die süddeutsche Residenz auch ihrer nationalen Pflicht so glänzend genügt hatte, da schien es. als ob nun ein Stillstand, ein innerer Abschluß erreicht sei, die singuläre Bedeutung der Stadt schien absorbirt zu werden von einer gleichmäßigen deutschen Ent¬ wickelung. So schien es — allein das Schicksal ging andere Wege und in die reiche Geschichte der Stadt wird wieder ein neues Blatt gefügt, eigenartig und fesselnd, wie nur irgend ein anderes. Wieder steht München im Bordergrunde eines geistigen Kampfes, der tief in alles deutsche Leben eingreift — es ist zum centralen Schauplatz der religiösen Frage und Freiheit geworden. In diesem Zusammenhange muß man den Altkatholischen Congreß be¬ trachten, der dort zusammentrat. Nicht als Lösung des brennenden Streites, sondern als erster merkwürdiger Versuch zur Lösung ist er interessant; nicht der Abschluß, sondern die Initiative hiezu ist das Verdienst von München. Und in diesem Sinne verdient die Versammlung ohne Zweifel das allgemeinste Interesse, auf welchem Standpunkt auch der Einzelne stehen mag. Allein, obwohl die Agitation in diesem untrennbaren inneren Zusammen¬ hange mit München steht, so vermied sie doch immerhin jeden localen Charakter. Schon bei Zeiten hatte sich das dortige Comite mit allen katholischen Städten Deutschlands, besonders am Rhein, in Verbindung gesetzt, und ge¬ wann dadurch eine breitere Basis und jene hohen persönlichen Kräfte, die für den Erfolg unentbehrlich sind. Auch das nähere Progamm und die ganze Organisirung ward bereits in der Vorbesprechung zu Heidelberg festgestellt, und so war ein festes systematisches Gefüge hergestellt, als die Delegirten aller Länder in München zusammentrafen. Natürlich war der eigentliche Kern der Versammlung deutsch, denn eine nationale Frage ist es ja, um die es sich für uns in letzter Reihe handelt, allein dem universalen Charakter, der ihr eigen ist, entsprach, daß auch die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/37>, abgerufen am 08.05.2024.