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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. I. Band.

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jetzt die Bestrebungen Buonapartes nach dem Throne von Frankreich auf.
Es war ein prahlerischer, aber doch unendlich vielsagender Act, daß er den
berühmten Krondiamanten 1e Mgeut in den Griff seines Säbels fassen ließ.
Dem Senat, dem Tribunat, dem gesetzgebenden Körper gegenüber wurden die
Wünsche der Armee als Einschüchterungsmittel gebraucht. Man sagte ihnen:
"Die Armee ist ungeduldig, die Anführer fürchten, sie nicht länger im Zaum
halten zu können. Daher ist es nothwendig, sich zu beeilen, wenn nicht
durch Waffengewalt eine Umwälzung geschehn soll, welche besser durch bürger¬
liche Organe vollzogen wird." So unumwunden erkannte man die Armee
als den Hebel an, der den ganzen Staat in Bewegung setzte. Ein Wettstreit
der Servilität entstand. Der Senat beeiferte sich, dem Verlangen des Feld¬
herrn, dem Wunsche des Heeres zu gehorchen, und die Diener der Präto-
rianer riefen Napoleon als Imperator aus.




Wegerechts-Keform.

Eine sehr beträchtliche Summe von Unternehmungsgeist, Capital und
Arbeit wird gegenwärtig in Deutschland auf die Herstellung neuer Wege
verwandt, und allem Anschein nach wird dieselbe in der nächsten Zukunft
noch viel bedeutender werden. Während die öffentliche Aufmerksamkeit in
dieser Sphäre sich nämlich bisher so ziemlich auf eine einzige Art von Wegen,
allerdings die wichtigste und vornehmste, die Eisenbahnen beschränkte, und
der Landstraßenbau nur träge nebenherschlich, der Wasserstraßenbau aber
sogar geradezu vernachlässigt blieb, soll nun augenscheinlich das Gleichgewicht
hergestellt werden. Der Ruf nach Cancilen und canalisirten Flußläufen be¬
ginnt den kurzsichtigen oder selbstsüchtigen Widerstand der Eisenbahn-
Interessen zu ^überwältigen, und dem gewöhnlichen Wegebau einen starken
Anstoß zu ertheilen schickt sich so eben der jetzt zum "Deutschen" ausgewachsene
bisherige Congreß Norddeutscher Landwirthe an.

Dieser Congreß hat schon im Februar 1870 einmal über die Wegebau-
Frage verhandelt. Damals stellte Gutsbesitzer Dr. Wilkens aus Pogarth in
Schlesien -- ein Abkömmling der berühmten Familie dieses Namens, welcher "Wil-
ckens Keller" in Hamburg gehört -- den Antrag, zu erklären, daß die Regelung
und einheitliche Gestaltung des Wegerechts im Norddeutschen Bunde ein
dringendes Bedürfniß sei, und dafür eine Reihe sehr eingehender Grundzüge
anzuempfehlen. Indessen, wenn die meisten Redner auch in der Hauptsache
mit dem Antragsteller leidlich einig waren, so fanden sie doch seine Grund¬
züge sämmtlich viel zu specialisirt. Man beschloß zuletzt, nur die "Regelung",


jetzt die Bestrebungen Buonapartes nach dem Throne von Frankreich auf.
Es war ein prahlerischer, aber doch unendlich vielsagender Act, daß er den
berühmten Krondiamanten 1e Mgeut in den Griff seines Säbels fassen ließ.
Dem Senat, dem Tribunat, dem gesetzgebenden Körper gegenüber wurden die
Wünsche der Armee als Einschüchterungsmittel gebraucht. Man sagte ihnen:
„Die Armee ist ungeduldig, die Anführer fürchten, sie nicht länger im Zaum
halten zu können. Daher ist es nothwendig, sich zu beeilen, wenn nicht
durch Waffengewalt eine Umwälzung geschehn soll, welche besser durch bürger¬
liche Organe vollzogen wird." So unumwunden erkannte man die Armee
als den Hebel an, der den ganzen Staat in Bewegung setzte. Ein Wettstreit
der Servilität entstand. Der Senat beeiferte sich, dem Verlangen des Feld¬
herrn, dem Wunsche des Heeres zu gehorchen, und die Diener der Präto-
rianer riefen Napoleon als Imperator aus.




Wegerechts-Keform.

Eine sehr beträchtliche Summe von Unternehmungsgeist, Capital und
Arbeit wird gegenwärtig in Deutschland auf die Herstellung neuer Wege
verwandt, und allem Anschein nach wird dieselbe in der nächsten Zukunft
noch viel bedeutender werden. Während die öffentliche Aufmerksamkeit in
dieser Sphäre sich nämlich bisher so ziemlich auf eine einzige Art von Wegen,
allerdings die wichtigste und vornehmste, die Eisenbahnen beschränkte, und
der Landstraßenbau nur träge nebenherschlich, der Wasserstraßenbau aber
sogar geradezu vernachlässigt blieb, soll nun augenscheinlich das Gleichgewicht
hergestellt werden. Der Ruf nach Cancilen und canalisirten Flußläufen be¬
ginnt den kurzsichtigen oder selbstsüchtigen Widerstand der Eisenbahn-
Interessen zu ^überwältigen, und dem gewöhnlichen Wegebau einen starken
Anstoß zu ertheilen schickt sich so eben der jetzt zum „Deutschen" ausgewachsene
bisherige Congreß Norddeutscher Landwirthe an.

Dieser Congreß hat schon im Februar 1870 einmal über die Wegebau-
Frage verhandelt. Damals stellte Gutsbesitzer Dr. Wilkens aus Pogarth in
Schlesien — ein Abkömmling der berühmten Familie dieses Namens, welcher „Wil-
ckens Keller" in Hamburg gehört — den Antrag, zu erklären, daß die Regelung
und einheitliche Gestaltung des Wegerechts im Norddeutschen Bunde ein
dringendes Bedürfniß sei, und dafür eine Reihe sehr eingehender Grundzüge
anzuempfehlen. Indessen, wenn die meisten Redner auch in der Hauptsache
mit dem Antragsteller leidlich einig waren, so fanden sie doch seine Grund¬
züge sämmtlich viel zu specialisirt. Man beschloß zuletzt, nur die „Regelung",


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[0363] jetzt die Bestrebungen Buonapartes nach dem Throne von Frankreich auf. Es war ein prahlerischer, aber doch unendlich vielsagender Act, daß er den berühmten Krondiamanten 1e Mgeut in den Griff seines Säbels fassen ließ. Dem Senat, dem Tribunat, dem gesetzgebenden Körper gegenüber wurden die Wünsche der Armee als Einschüchterungsmittel gebraucht. Man sagte ihnen: „Die Armee ist ungeduldig, die Anführer fürchten, sie nicht länger im Zaum halten zu können. Daher ist es nothwendig, sich zu beeilen, wenn nicht durch Waffengewalt eine Umwälzung geschehn soll, welche besser durch bürger¬ liche Organe vollzogen wird." So unumwunden erkannte man die Armee als den Hebel an, der den ganzen Staat in Bewegung setzte. Ein Wettstreit der Servilität entstand. Der Senat beeiferte sich, dem Verlangen des Feld¬ herrn, dem Wunsche des Heeres zu gehorchen, und die Diener der Präto- rianer riefen Napoleon als Imperator aus. Wegerechts-Keform. Eine sehr beträchtliche Summe von Unternehmungsgeist, Capital und Arbeit wird gegenwärtig in Deutschland auf die Herstellung neuer Wege verwandt, und allem Anschein nach wird dieselbe in der nächsten Zukunft noch viel bedeutender werden. Während die öffentliche Aufmerksamkeit in dieser Sphäre sich nämlich bisher so ziemlich auf eine einzige Art von Wegen, allerdings die wichtigste und vornehmste, die Eisenbahnen beschränkte, und der Landstraßenbau nur träge nebenherschlich, der Wasserstraßenbau aber sogar geradezu vernachlässigt blieb, soll nun augenscheinlich das Gleichgewicht hergestellt werden. Der Ruf nach Cancilen und canalisirten Flußläufen be¬ ginnt den kurzsichtigen oder selbstsüchtigen Widerstand der Eisenbahn- Interessen zu ^überwältigen, und dem gewöhnlichen Wegebau einen starken Anstoß zu ertheilen schickt sich so eben der jetzt zum „Deutschen" ausgewachsene bisherige Congreß Norddeutscher Landwirthe an. Dieser Congreß hat schon im Februar 1870 einmal über die Wegebau- Frage verhandelt. Damals stellte Gutsbesitzer Dr. Wilkens aus Pogarth in Schlesien — ein Abkömmling der berühmten Familie dieses Namens, welcher „Wil- ckens Keller" in Hamburg gehört — den Antrag, zu erklären, daß die Regelung und einheitliche Gestaltung des Wegerechts im Norddeutschen Bunde ein dringendes Bedürfniß sei, und dafür eine Reihe sehr eingehender Grundzüge anzuempfehlen. Indessen, wenn die meisten Redner auch in der Hauptsache mit dem Antragsteller leidlich einig waren, so fanden sie doch seine Grund¬ züge sämmtlich viel zu specialisirt. Man beschloß zuletzt, nur die „Regelung",

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_126853/363>, abgerufen am 07.05.2024.