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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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Frankreich und die allgemeine Wehrpflicht
von
Max Jähns. VI.

Am 4. November 1813 erreichte die geschlagene Große Armee Mainz.
Drei Marschcille wurden beauftragt, die Rheinlinie zu befehligen: Victor von
Basel bis Germersheim, Marmont von dort bis Coblenz, von hier bis Nim-
wegen Macdonald. Marschall Kellermann setzte zu Metz das schwierige Werk
fort, das er bisher zu Mainz betrieben, d. h. er organisirte und regelte den
Nachschub, sei es an Conseribirten, sei es an Deserteurs, welche die Gensdarmerie
aufgriff. Am 1. December belief sich die Zahl der am linken Rheinufer
lagernden Heerschaaren auf höchstens 85,000 Mann, und von jenem Zeit¬
punkt an schmolz sie unter den Einwirkungen des Typhus rapide hin. Auf
die Klagen der Generale über die elende Unterbringung und Verpflegung der
Truppen, über das Ausbleiben des Soldes, antwortete der Kriegsminister mit
Ankündigung eines großen nationalen Aufschwungs, mit der Vision einer
Armee von 600,000 Mann im Frühjahr -- eine Sprache, welche an die
Gambetta's mahnt. -- In der That hatte ein Senats-Consult vom Is. No¬
vember abermals eine Aushebung von 300,000 Conseribirten befohlen, welche
sich auf die Klaffen vom Jahre XI. bis inclusive 1814 ausdehnen sollte und
von welcher 150,000 Mann sogleich in Action zu treten hätten, während man
die andere Hälfte bis zur wirklichen Verletzung der Ostgrenze aufsparen wollte.
Um jene 160,000 Mann "Nationalgarde", denn so wurden sie genannt,
aufzustellen, mußte man also bis auf die Männer zurückgreifen, welche elf
Jahre früher, im Jahre 1803, dienstpflichtig geworden waren. Sie sollten in
4S7 Kohorten und S4 Artillerie-Compagnien formirt werden. -- Da das
Resultat einer solchen maßlosen Verfügung natürlich höchst ungewiß, keinen-
falls aber ein augenblickliches war, so befahl der Kriegsminister, die National¬
garten von Besancon, Hüningen, Belfort, Neu-Breisach, Schlettstadt, Stra߬
burg, Lauterburg und Landau in "LoKm'tes urdmues" zu organisiren und in
jedem der Departements des Elsaß und Lothringens eine Legion activer Ko-


Grenzboten III. 1872. 46
Frankreich und die allgemeine Wehrpflicht
von
Max Jähns. VI.

Am 4. November 1813 erreichte die geschlagene Große Armee Mainz.
Drei Marschcille wurden beauftragt, die Rheinlinie zu befehligen: Victor von
Basel bis Germersheim, Marmont von dort bis Coblenz, von hier bis Nim-
wegen Macdonald. Marschall Kellermann setzte zu Metz das schwierige Werk
fort, das er bisher zu Mainz betrieben, d. h. er organisirte und regelte den
Nachschub, sei es an Conseribirten, sei es an Deserteurs, welche die Gensdarmerie
aufgriff. Am 1. December belief sich die Zahl der am linken Rheinufer
lagernden Heerschaaren auf höchstens 85,000 Mann, und von jenem Zeit¬
punkt an schmolz sie unter den Einwirkungen des Typhus rapide hin. Auf
die Klagen der Generale über die elende Unterbringung und Verpflegung der
Truppen, über das Ausbleiben des Soldes, antwortete der Kriegsminister mit
Ankündigung eines großen nationalen Aufschwungs, mit der Vision einer
Armee von 600,000 Mann im Frühjahr — eine Sprache, welche an die
Gambetta's mahnt. — In der That hatte ein Senats-Consult vom Is. No¬
vember abermals eine Aushebung von 300,000 Conseribirten befohlen, welche
sich auf die Klaffen vom Jahre XI. bis inclusive 1814 ausdehnen sollte und
von welcher 150,000 Mann sogleich in Action zu treten hätten, während man
die andere Hälfte bis zur wirklichen Verletzung der Ostgrenze aufsparen wollte.
Um jene 160,000 Mann „Nationalgarde", denn so wurden sie genannt,
aufzustellen, mußte man also bis auf die Männer zurückgreifen, welche elf
Jahre früher, im Jahre 1803, dienstpflichtig geworden waren. Sie sollten in
4S7 Kohorten und S4 Artillerie-Compagnien formirt werden. — Da das
Resultat einer solchen maßlosen Verfügung natürlich höchst ungewiß, keinen-
falls aber ein augenblickliches war, so befahl der Kriegsminister, die National¬
garten von Besancon, Hüningen, Belfort, Neu-Breisach, Schlettstadt, Stra߬
burg, Lauterburg und Landau in „LoKm'tes urdmues" zu organisiren und in
jedem der Departements des Elsaß und Lothringens eine Legion activer Ko-


Grenzboten III. 1872. 46
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[0361] Frankreich und die allgemeine Wehrpflicht von Max Jähns. VI. Am 4. November 1813 erreichte die geschlagene Große Armee Mainz. Drei Marschcille wurden beauftragt, die Rheinlinie zu befehligen: Victor von Basel bis Germersheim, Marmont von dort bis Coblenz, von hier bis Nim- wegen Macdonald. Marschall Kellermann setzte zu Metz das schwierige Werk fort, das er bisher zu Mainz betrieben, d. h. er organisirte und regelte den Nachschub, sei es an Conseribirten, sei es an Deserteurs, welche die Gensdarmerie aufgriff. Am 1. December belief sich die Zahl der am linken Rheinufer lagernden Heerschaaren auf höchstens 85,000 Mann, und von jenem Zeit¬ punkt an schmolz sie unter den Einwirkungen des Typhus rapide hin. Auf die Klagen der Generale über die elende Unterbringung und Verpflegung der Truppen, über das Ausbleiben des Soldes, antwortete der Kriegsminister mit Ankündigung eines großen nationalen Aufschwungs, mit der Vision einer Armee von 600,000 Mann im Frühjahr — eine Sprache, welche an die Gambetta's mahnt. — In der That hatte ein Senats-Consult vom Is. No¬ vember abermals eine Aushebung von 300,000 Conseribirten befohlen, welche sich auf die Klaffen vom Jahre XI. bis inclusive 1814 ausdehnen sollte und von welcher 150,000 Mann sogleich in Action zu treten hätten, während man die andere Hälfte bis zur wirklichen Verletzung der Ostgrenze aufsparen wollte. Um jene 160,000 Mann „Nationalgarde", denn so wurden sie genannt, aufzustellen, mußte man also bis auf die Männer zurückgreifen, welche elf Jahre früher, im Jahre 1803, dienstpflichtig geworden waren. Sie sollten in 4S7 Kohorten und S4 Artillerie-Compagnien formirt werden. — Da das Resultat einer solchen maßlosen Verfügung natürlich höchst ungewiß, keinen- falls aber ein augenblickliches war, so befahl der Kriegsminister, die National¬ garten von Besancon, Hüningen, Belfort, Neu-Breisach, Schlettstadt, Stra߬ burg, Lauterburg und Landau in „LoKm'tes urdmues" zu organisiren und in jedem der Departements des Elsaß und Lothringens eine Legion activer Ko- Grenzboten III. 1872. 46

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/361>, abgerufen am 03.05.2024.