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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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Nomaden an und endlich 9 Procent Militairpersonen, worunter die Kosaken
mit ihren ganzen Familien eingerechnet sind.

Das sind nur einige Andeutungen zur Beherzigung. Es thut dringend
Noth, daß man in Deutschland Rußland richtig erkenne und auffasse, daß
man das ganze Volk und Reich nicht gleichstelle mit den bekannten pansla-
vistischen Hetzern der Moskaner Presse. Die Wünsche des Kerns der Be¬
völkerung sind friedlicher und freundschaftlicher Natur und in diesem Sinne
sehen wir auel) unsern Czaren an der Spree erscheinen und aufgenommen
werden.




Iriefe aus Jerum.

Seit Monaten beschäftigen sich die deutsche und die ausländische Presse
mit der Dreikaiserzusammenkunft in Berlin. Die Festwoche liegt nun un¬
mittelbar vor uns. Bald wird die Beschreibung der Festlichkeiten an die
Stelle der politischen Conjecturen treten, aber freilich nur um einer desto
reicheren Fluth von Conjecturen Platz zu machen, sobald die hohen Häupter
sich getrennt haben werden. Man stritt bis jetzt, was mit der Zusammen¬
kunft bezweckt werde. Man wird fortan streiten, was mit der Zusammenkunft
erreicht worden. Das wird so lange dauern, bis andere augenfällige Ereig¬
nisse die Aufmerksamkeit auf sich ziehen.

Indem die europäische Presse ad ovo begann, untersuchte sie zuerst die
Frage nach dem Urheber der Zusammenkunft. Oestreichische Stimmen wollten
diese Ehre dem Grafen Andrassy vindiciren. Das geht nicht mehr an, seit¬
dem die Initiative in Preußen so gut wie officiell für den Kaiser Wilhelm
reclamirt worden. Neuerdings haben französische Blätter den geistreichen Ein¬
fall ausgesendet, man habe preußischerseits es nur auf den Besuch des Kaisers
Franz Joseph abgesehen gehabt; der Kaiser Alexander habe sich von selbst
eingeladen, um die preußisch-östreichische Intimität sich nicht manifestiren zu
lassen, oder dieselbe womöglich im Keime zu ersticken. Das sind Erzeugnisse
französischer Einbildungskraft, gut für solche, die nicht die geringste Personal-
und Sachkenntniß besitzen. Eins nur bezeugen diese Empfindungen: wie un¬
ausgesetzt und lebhaft das französische Verlangen auf eine enge Verbindung
mit Rußland gerichtet ist. Man sucht sich um jeden Preis mit dem Gedanken
zu schmeicheln, dem man deshalb auf jede Weise Haltbarkeit zu geben bemüht
ist, daß eine wirkliche Intimität Rußlands mit Deutschland und Oestreich-


Nomaden an und endlich 9 Procent Militairpersonen, worunter die Kosaken
mit ihren ganzen Familien eingerechnet sind.

Das sind nur einige Andeutungen zur Beherzigung. Es thut dringend
Noth, daß man in Deutschland Rußland richtig erkenne und auffasse, daß
man das ganze Volk und Reich nicht gleichstelle mit den bekannten pansla-
vistischen Hetzern der Moskaner Presse. Die Wünsche des Kerns der Be¬
völkerung sind friedlicher und freundschaftlicher Natur und in diesem Sinne
sehen wir auel) unsern Czaren an der Spree erscheinen und aufgenommen
werden.




Iriefe aus Jerum.

Seit Monaten beschäftigen sich die deutsche und die ausländische Presse
mit der Dreikaiserzusammenkunft in Berlin. Die Festwoche liegt nun un¬
mittelbar vor uns. Bald wird die Beschreibung der Festlichkeiten an die
Stelle der politischen Conjecturen treten, aber freilich nur um einer desto
reicheren Fluth von Conjecturen Platz zu machen, sobald die hohen Häupter
sich getrennt haben werden. Man stritt bis jetzt, was mit der Zusammen¬
kunft bezweckt werde. Man wird fortan streiten, was mit der Zusammenkunft
erreicht worden. Das wird so lange dauern, bis andere augenfällige Ereig¬
nisse die Aufmerksamkeit auf sich ziehen.

Indem die europäische Presse ad ovo begann, untersuchte sie zuerst die
Frage nach dem Urheber der Zusammenkunft. Oestreichische Stimmen wollten
diese Ehre dem Grafen Andrassy vindiciren. Das geht nicht mehr an, seit¬
dem die Initiative in Preußen so gut wie officiell für den Kaiser Wilhelm
reclamirt worden. Neuerdings haben französische Blätter den geistreichen Ein¬
fall ausgesendet, man habe preußischerseits es nur auf den Besuch des Kaisers
Franz Joseph abgesehen gehabt; der Kaiser Alexander habe sich von selbst
eingeladen, um die preußisch-östreichische Intimität sich nicht manifestiren zu
lassen, oder dieselbe womöglich im Keime zu ersticken. Das sind Erzeugnisse
französischer Einbildungskraft, gut für solche, die nicht die geringste Personal-
und Sachkenntniß besitzen. Eins nur bezeugen diese Empfindungen: wie un¬
ausgesetzt und lebhaft das französische Verlangen auf eine enge Verbindung
mit Rußland gerichtet ist. Man sucht sich um jeden Preis mit dem Gedanken
zu schmeicheln, dem man deshalb auf jede Weise Haltbarkeit zu geben bemüht
ist, daß eine wirkliche Intimität Rußlands mit Deutschland und Oestreich-


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[0437] Nomaden an und endlich 9 Procent Militairpersonen, worunter die Kosaken mit ihren ganzen Familien eingerechnet sind. Das sind nur einige Andeutungen zur Beherzigung. Es thut dringend Noth, daß man in Deutschland Rußland richtig erkenne und auffasse, daß man das ganze Volk und Reich nicht gleichstelle mit den bekannten pansla- vistischen Hetzern der Moskaner Presse. Die Wünsche des Kerns der Be¬ völkerung sind friedlicher und freundschaftlicher Natur und in diesem Sinne sehen wir auel) unsern Czaren an der Spree erscheinen und aufgenommen werden. Iriefe aus Jerum. Seit Monaten beschäftigen sich die deutsche und die ausländische Presse mit der Dreikaiserzusammenkunft in Berlin. Die Festwoche liegt nun un¬ mittelbar vor uns. Bald wird die Beschreibung der Festlichkeiten an die Stelle der politischen Conjecturen treten, aber freilich nur um einer desto reicheren Fluth von Conjecturen Platz zu machen, sobald die hohen Häupter sich getrennt haben werden. Man stritt bis jetzt, was mit der Zusammen¬ kunft bezweckt werde. Man wird fortan streiten, was mit der Zusammenkunft erreicht worden. Das wird so lange dauern, bis andere augenfällige Ereig¬ nisse die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Indem die europäische Presse ad ovo begann, untersuchte sie zuerst die Frage nach dem Urheber der Zusammenkunft. Oestreichische Stimmen wollten diese Ehre dem Grafen Andrassy vindiciren. Das geht nicht mehr an, seit¬ dem die Initiative in Preußen so gut wie officiell für den Kaiser Wilhelm reclamirt worden. Neuerdings haben französische Blätter den geistreichen Ein¬ fall ausgesendet, man habe preußischerseits es nur auf den Besuch des Kaisers Franz Joseph abgesehen gehabt; der Kaiser Alexander habe sich von selbst eingeladen, um die preußisch-östreichische Intimität sich nicht manifestiren zu lassen, oder dieselbe womöglich im Keime zu ersticken. Das sind Erzeugnisse französischer Einbildungskraft, gut für solche, die nicht die geringste Personal- und Sachkenntniß besitzen. Eins nur bezeugen diese Empfindungen: wie un¬ ausgesetzt und lebhaft das französische Verlangen auf eine enge Verbindung mit Rußland gerichtet ist. Man sucht sich um jeden Preis mit dem Gedanken zu schmeicheln, dem man deshalb auf jede Weise Haltbarkeit zu geben bemüht ist, daß eine wirkliche Intimität Rußlands mit Deutschland und Oestreich-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/437>, abgerufen am 03.05.2024.