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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Johann Jacoöy.

Im October d. I. fanden wir in der Mehrzahl der deutschen Zei¬
tungen folgende "identische Note": "Die gesammelten Schriften und
Reden von Dr. Johann Jacoby" (Hamburg, Verlag von Otto Mei߬
ner) geben, chronologisch geordnet, ein vollständiges Bild des bedeutenden
Mannes. Die Sammlung, obwohl zum größten Theil aus Aufsätzen politi¬
schen Inhalts bestehend, bietet selbst denjenigen, die nicht Jacoby's Stand¬
punkt theilen, einen interessanten Einblick in das Geistesleben eines tief philo¬
sophisch gebildeten Mannes, der in den Aufsätzen über "Hegel und die nach-
gebornen", in der "Parallele zwischen Kant und Lessing", in dem von einem
gründlichen Studium des Aristoteles zeugenden Essay über "das Wesen und
die Wirkung der Griechischen Tragödie" am unzweideutigsten sein ideales Stre¬
ben nach Wahrheit documentirt. Diese Erkenntniß wird auch diejenigen, welche
sich durch den Standpunkt, den Jacoby in nationalen Fragen, so vor allem
in der Frage der Annexion von Elsaß und Lothringen, einnimmt, abgestoßen
fühlen, bewegen können, die Schriften Jacoby's nicht als die eines unversöhn¬
lichen auf Irrwegen befindlichen Gegners, sondern als die Schriften eines
Philosophen zu behandeln, von dem auch der Gegner lernen kann." --

Was uns an dieser Note auffällt, ist erstens die Zeit ihrer Veröffent¬
lichung und zweitens deren eigenthümlicher Inhalt. Unsere Gründe sind
folgende:

Das Buch selbst ist schon im Hochsommer d. I. erschienen. Die Reclame
erscheint erst im Spätherbst, zu jener Zeit, wo die welken Blätter lebensmüde
zur Erde sinken und ein rauher, regenschwangrer Wind über die kahlen Stoppel¬
felder hinfährt. In der Zwischenzeit machte der Name Jacoby zweimal die
Runde durch die deutschen Zeitungen. Es hieß, er habe sich von Königsberg
nach Berlin begeben, um am letzteren Orte die "demokratische Presse" zu re--
organisiren. Wir zweifeln nicht an der Nichtigkeit dieser Nachricht, insbeson¬
dere nicht daran, daß der fraglichen Reise der angegebene Zweck wirklich zu
Grunde lag. Jedenfalls aber ist der Zweck verfehlt worden. Denn der Zustand
der Berliner Presse überhaupt, und der der "demokratischen" insbesondere, ist
heute noch ganz derselbe, wie damals. Es gibt in Berlin gute und schlechte,


GrcnzlwKn IV. 1872. 36
Johann Jacoöy.

Im October d. I. fanden wir in der Mehrzahl der deutschen Zei¬
tungen folgende „identische Note": „Die gesammelten Schriften und
Reden von Dr. Johann Jacoby" (Hamburg, Verlag von Otto Mei߬
ner) geben, chronologisch geordnet, ein vollständiges Bild des bedeutenden
Mannes. Die Sammlung, obwohl zum größten Theil aus Aufsätzen politi¬
schen Inhalts bestehend, bietet selbst denjenigen, die nicht Jacoby's Stand¬
punkt theilen, einen interessanten Einblick in das Geistesleben eines tief philo¬
sophisch gebildeten Mannes, der in den Aufsätzen über „Hegel und die nach-
gebornen", in der „Parallele zwischen Kant und Lessing", in dem von einem
gründlichen Studium des Aristoteles zeugenden Essay über „das Wesen und
die Wirkung der Griechischen Tragödie" am unzweideutigsten sein ideales Stre¬
ben nach Wahrheit documentirt. Diese Erkenntniß wird auch diejenigen, welche
sich durch den Standpunkt, den Jacoby in nationalen Fragen, so vor allem
in der Frage der Annexion von Elsaß und Lothringen, einnimmt, abgestoßen
fühlen, bewegen können, die Schriften Jacoby's nicht als die eines unversöhn¬
lichen auf Irrwegen befindlichen Gegners, sondern als die Schriften eines
Philosophen zu behandeln, von dem auch der Gegner lernen kann." —

Was uns an dieser Note auffällt, ist erstens die Zeit ihrer Veröffent¬
lichung und zweitens deren eigenthümlicher Inhalt. Unsere Gründe sind
folgende:

Das Buch selbst ist schon im Hochsommer d. I. erschienen. Die Reclame
erscheint erst im Spätherbst, zu jener Zeit, wo die welken Blätter lebensmüde
zur Erde sinken und ein rauher, regenschwangrer Wind über die kahlen Stoppel¬
felder hinfährt. In der Zwischenzeit machte der Name Jacoby zweimal die
Runde durch die deutschen Zeitungen. Es hieß, er habe sich von Königsberg
nach Berlin begeben, um am letzteren Orte die „demokratische Presse" zu re--
organisiren. Wir zweifeln nicht an der Nichtigkeit dieser Nachricht, insbeson¬
dere nicht daran, daß der fraglichen Reise der angegebene Zweck wirklich zu
Grunde lag. Jedenfalls aber ist der Zweck verfehlt worden. Denn der Zustand
der Berliner Presse überhaupt, und der der „demokratischen" insbesondere, ist
heute noch ganz derselbe, wie damals. Es gibt in Berlin gute und schlechte,


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[0289] Johann Jacoöy. Im October d. I. fanden wir in der Mehrzahl der deutschen Zei¬ tungen folgende „identische Note": „Die gesammelten Schriften und Reden von Dr. Johann Jacoby" (Hamburg, Verlag von Otto Mei߬ ner) geben, chronologisch geordnet, ein vollständiges Bild des bedeutenden Mannes. Die Sammlung, obwohl zum größten Theil aus Aufsätzen politi¬ schen Inhalts bestehend, bietet selbst denjenigen, die nicht Jacoby's Stand¬ punkt theilen, einen interessanten Einblick in das Geistesleben eines tief philo¬ sophisch gebildeten Mannes, der in den Aufsätzen über „Hegel und die nach- gebornen", in der „Parallele zwischen Kant und Lessing", in dem von einem gründlichen Studium des Aristoteles zeugenden Essay über „das Wesen und die Wirkung der Griechischen Tragödie" am unzweideutigsten sein ideales Stre¬ ben nach Wahrheit documentirt. Diese Erkenntniß wird auch diejenigen, welche sich durch den Standpunkt, den Jacoby in nationalen Fragen, so vor allem in der Frage der Annexion von Elsaß und Lothringen, einnimmt, abgestoßen fühlen, bewegen können, die Schriften Jacoby's nicht als die eines unversöhn¬ lichen auf Irrwegen befindlichen Gegners, sondern als die Schriften eines Philosophen zu behandeln, von dem auch der Gegner lernen kann." — Was uns an dieser Note auffällt, ist erstens die Zeit ihrer Veröffent¬ lichung und zweitens deren eigenthümlicher Inhalt. Unsere Gründe sind folgende: Das Buch selbst ist schon im Hochsommer d. I. erschienen. Die Reclame erscheint erst im Spätherbst, zu jener Zeit, wo die welken Blätter lebensmüde zur Erde sinken und ein rauher, regenschwangrer Wind über die kahlen Stoppel¬ felder hinfährt. In der Zwischenzeit machte der Name Jacoby zweimal die Runde durch die deutschen Zeitungen. Es hieß, er habe sich von Königsberg nach Berlin begeben, um am letzteren Orte die „demokratische Presse" zu re-- organisiren. Wir zweifeln nicht an der Nichtigkeit dieser Nachricht, insbeson¬ dere nicht daran, daß der fraglichen Reise der angegebene Zweck wirklich zu Grunde lag. Jedenfalls aber ist der Zweck verfehlt worden. Denn der Zustand der Berliner Presse überhaupt, und der der „demokratischen" insbesondere, ist heute noch ganz derselbe, wie damals. Es gibt in Berlin gute und schlechte, GrcnzlwKn IV. 1872. 36

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/289>, abgerufen am 04.05.2024.