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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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So endete diese entsetzliche Episode der inneren Geschichte Siciliens, welche
einen tiefen Einblick nicht nur in die damaligen Zustände der Insel sondern
auch in die Verwilderung des Charakters ihrer Bewohner gestattet. Diese
Schilderung gründet sich fast ganz auf gleichzeitige handschriftliche Aufzeich¬
nungen, die aus Furcht von den betheiligten mächtigen Adelsgeschlechtern
lange Zeit verborgen gehalten, erst später ans Tageslicht kamen, und wie
von früheren Geschichtsschreibern so auch von La Lumia im Original benutzt
worden sind. Noch heute ist die Erinnerung an diese Greuel im Volke lebendig.
Die Hauptthatsachen weiß es und auch sonst in mancherlei Redensarten er¬
scheint der Caso ti Sciacca. So sagt man zu Jemandem, der über eine unbe¬
deutende Sache viel Lärm erhebt: en'6 1u es.su al Leiaeea?" (Ist das
etwa das Ereigniß von Sciacca?) oder wer damit drohen will, daß er irgend
Etwas nicht so hingehen lassen werde, ruft aus: ("?s,rö un casu al LLiaoea!")
(Ich werde eine Sciacca'sche Geschichte daraus machen!). Auch in Volksliedern
hat sich die Erinnerung an den Schrecken von Sciacca vielfach erhalten.




Z)le Jesuiten und die zehn Hebote.
i.

Die Jesuiten lehren nichts Unmoralisches, und wer das Gegentheil be¬
hauptet, der möge es beweisen. So sagte uns jüngst eine öffentliche Denk-
schrift der deutschen katholischen Bischöfe mit großer Zuversichtlichkeit.

Nun, wir werden den Beweis führen. Wir beginnen damit, daß wir
den Stifter der Gesellschaft Jesu und seine ersten Schüler und Anhänger von
dem Vorwurf, eine verderbliche Moral gelehrt zu haben, ausnehmen. Wir
geben ferner zu, daß die Jesuiten den Satz: "Der Zweck heiligt die Mittel",
der in Busenbaums "NsÄuIIa" in der Form: "Huia, eum unis sit lieitus,
etiam ivöäia, sunt lieitg," nachzuweisen ist. nicht erfunden haben. Wohl aber
ist derselbe, als der Orden sich in der späteren Zeit mehr und Mehr verwelt¬
lichte, in der Weise zu dessen Leitstern geworden, daß der gute Zweck nach dem
Princip der Nützlichkeit, statt nach dem der Sittlichkeit bestimmt und
daß bezüglich der Wahl der Mittel die Moralwissenschaft zu einer nach allen
Seiten wie Gummi dehnbaren Casuistik ausgebildet wurde. Statt Zweck und
Mittel, Gesinnung und That in ihrer innern Verbindung, ihrer nothwendigen
Einheit aufzufassen, rissen die Jesuiten beides auseinander und klügelten sich
so die Möglichkett aus, daß auch schlechte Mittel zu einem guten Zwecke
führen, auch verwerfliche Handlungen bei einer scheinbar unschuldigen Gesir-


So endete diese entsetzliche Episode der inneren Geschichte Siciliens, welche
einen tiefen Einblick nicht nur in die damaligen Zustände der Insel sondern
auch in die Verwilderung des Charakters ihrer Bewohner gestattet. Diese
Schilderung gründet sich fast ganz auf gleichzeitige handschriftliche Aufzeich¬
nungen, die aus Furcht von den betheiligten mächtigen Adelsgeschlechtern
lange Zeit verborgen gehalten, erst später ans Tageslicht kamen, und wie
von früheren Geschichtsschreibern so auch von La Lumia im Original benutzt
worden sind. Noch heute ist die Erinnerung an diese Greuel im Volke lebendig.
Die Hauptthatsachen weiß es und auch sonst in mancherlei Redensarten er¬
scheint der Caso ti Sciacca. So sagt man zu Jemandem, der über eine unbe¬
deutende Sache viel Lärm erhebt: en'6 1u es.su al Leiaeea?" (Ist das
etwa das Ereigniß von Sciacca?) oder wer damit drohen will, daß er irgend
Etwas nicht so hingehen lassen werde, ruft aus: („?s,rö un casu al LLiaoea!")
(Ich werde eine Sciacca'sche Geschichte daraus machen!). Auch in Volksliedern
hat sich die Erinnerung an den Schrecken von Sciacca vielfach erhalten.




Z)le Jesuiten und die zehn Hebote.
i.

Die Jesuiten lehren nichts Unmoralisches, und wer das Gegentheil be¬
hauptet, der möge es beweisen. So sagte uns jüngst eine öffentliche Denk-
schrift der deutschen katholischen Bischöfe mit großer Zuversichtlichkeit.

Nun, wir werden den Beweis führen. Wir beginnen damit, daß wir
den Stifter der Gesellschaft Jesu und seine ersten Schüler und Anhänger von
dem Vorwurf, eine verderbliche Moral gelehrt zu haben, ausnehmen. Wir
geben ferner zu, daß die Jesuiten den Satz: „Der Zweck heiligt die Mittel",
der in Busenbaums „NsÄuIIa" in der Form: „Huia, eum unis sit lieitus,
etiam ivöäia, sunt lieitg," nachzuweisen ist. nicht erfunden haben. Wohl aber
ist derselbe, als der Orden sich in der späteren Zeit mehr und Mehr verwelt¬
lichte, in der Weise zu dessen Leitstern geworden, daß der gute Zweck nach dem
Princip der Nützlichkeit, statt nach dem der Sittlichkeit bestimmt und
daß bezüglich der Wahl der Mittel die Moralwissenschaft zu einer nach allen
Seiten wie Gummi dehnbaren Casuistik ausgebildet wurde. Statt Zweck und
Mittel, Gesinnung und That in ihrer innern Verbindung, ihrer nothwendigen
Einheit aufzufassen, rissen die Jesuiten beides auseinander und klügelten sich
so die Möglichkett aus, daß auch schlechte Mittel zu einem guten Zwecke
führen, auch verwerfliche Handlungen bei einer scheinbar unschuldigen Gesir-


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[0184] So endete diese entsetzliche Episode der inneren Geschichte Siciliens, welche einen tiefen Einblick nicht nur in die damaligen Zustände der Insel sondern auch in die Verwilderung des Charakters ihrer Bewohner gestattet. Diese Schilderung gründet sich fast ganz auf gleichzeitige handschriftliche Aufzeich¬ nungen, die aus Furcht von den betheiligten mächtigen Adelsgeschlechtern lange Zeit verborgen gehalten, erst später ans Tageslicht kamen, und wie von früheren Geschichtsschreibern so auch von La Lumia im Original benutzt worden sind. Noch heute ist die Erinnerung an diese Greuel im Volke lebendig. Die Hauptthatsachen weiß es und auch sonst in mancherlei Redensarten er¬ scheint der Caso ti Sciacca. So sagt man zu Jemandem, der über eine unbe¬ deutende Sache viel Lärm erhebt: en'6 1u es.su al Leiaeea?" (Ist das etwa das Ereigniß von Sciacca?) oder wer damit drohen will, daß er irgend Etwas nicht so hingehen lassen werde, ruft aus: („?s,rö un casu al LLiaoea!") (Ich werde eine Sciacca'sche Geschichte daraus machen!). Auch in Volksliedern hat sich die Erinnerung an den Schrecken von Sciacca vielfach erhalten. Z)le Jesuiten und die zehn Hebote. i. Die Jesuiten lehren nichts Unmoralisches, und wer das Gegentheil be¬ hauptet, der möge es beweisen. So sagte uns jüngst eine öffentliche Denk- schrift der deutschen katholischen Bischöfe mit großer Zuversichtlichkeit. Nun, wir werden den Beweis führen. Wir beginnen damit, daß wir den Stifter der Gesellschaft Jesu und seine ersten Schüler und Anhänger von dem Vorwurf, eine verderbliche Moral gelehrt zu haben, ausnehmen. Wir geben ferner zu, daß die Jesuiten den Satz: „Der Zweck heiligt die Mittel", der in Busenbaums „NsÄuIIa" in der Form: „Huia, eum unis sit lieitus, etiam ivöäia, sunt lieitg," nachzuweisen ist. nicht erfunden haben. Wohl aber ist derselbe, als der Orden sich in der späteren Zeit mehr und Mehr verwelt¬ lichte, in der Weise zu dessen Leitstern geworden, daß der gute Zweck nach dem Princip der Nützlichkeit, statt nach dem der Sittlichkeit bestimmt und daß bezüglich der Wahl der Mittel die Moralwissenschaft zu einer nach allen Seiten wie Gummi dehnbaren Casuistik ausgebildet wurde. Statt Zweck und Mittel, Gesinnung und That in ihrer innern Verbindung, ihrer nothwendigen Einheit aufzufassen, rissen die Jesuiten beides auseinander und klügelten sich so die Möglichkett aus, daß auch schlechte Mittel zu einem guten Zwecke führen, auch verwerfliche Handlungen bei einer scheinbar unschuldigen Gesir-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/184>, abgerufen am 04.05.2024.