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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Z)le Jesuiten und die zehn Hebote.
2.

Wie sich die jesuitischen Casuisten zum vierten Gebote stellen, ist schon
im vorigen Abschnitt angedeutet worden, wo wir sahen, daß Hurtado es für
erlaubt hält, wenn ein Sohn sich über den Tod seines Vaters freut, ja den¬
selben herbeiwünscht. Aehnlicher Ansicht sind Tamburini, Casnedi und
der Vater Fagundez, der im neunten Buche seines 1637 zu Lyon erschie¬
nenen Tractats über die Gebote des Dekalogs sogar sagt: "Es ist einem Sohne
gestattet, sich über den an seinem Vater im Zustande der Trunkenheit ver¬
übten Todtschlag zu freuen, und zwar wegen der großen Güter, die ihm nun
zufallen."

Derselbe ehrwürdige Herr lehrt: "christliche und katholische Söhne können
ihre Väter des Verbrechens der Ketzerei anklagen, wenn diese sie vom Glauben
abwendig machen wollen, wenngleich sie wissen, daß die Eltern deshalb den
Feuertod erdulden werden, wie Toletus lehrt." -- "Und sie können ihnen
nicht nur die Nahrungsmittel verweigern, wenn sie sie vom katholischen
Glauben abwendig machen wollen, sondern sie dürfen sie auch mit maßvoller
Anwendung untadelhafter Vertheidigungsrechtes gerechtermaßen ermorden,
falls sie die Söhne mit Gewalt antreiben, dem Glauben untreu zu werden."
"LoÄ Los etiam xotsruntjusts ooeiäörs eum inoäerawine inoulMta" tutelae,"
so lesen wir wörtlich bei diesem Ungeheuer.

Busen dann, der ihm hierin beipflichtet, entschuldigt es an einer an¬
dern Stelle, wenn jemand sich seiner Eltern schämt, sie vor den Leuten nicht
kennen, sie nicht bei sich haben will und ihnen nur das Allernothdürftigste
giebt. Besonders moralisch werden die Anfangs dieser Betrachtung erwähnten
Bischöfe ferner vermuthlich den Vater Bauny finden, der, indem nach ihm
jedem Mädchen das Recht zusteht, über ihre Jungfrauschaft zu disponiren
ohne dadurch das vierte Gebot zu verletzen, zugleich das sechste stillschweigend
beseitigt. "Wenn", so sagt er, "ein Mädchen sich freiwillig preisgegeben hat,
so hat freilich der Vater Ursache, sich über sie zu beklagen. Aber beleidigt
hat sie ihn nicht und die Gerechtigkeit hat sie auch nicht verletzt; denn sie hat


Grenzlwten I. 1873. 26
Z)le Jesuiten und die zehn Hebote.
2.

Wie sich die jesuitischen Casuisten zum vierten Gebote stellen, ist schon
im vorigen Abschnitt angedeutet worden, wo wir sahen, daß Hurtado es für
erlaubt hält, wenn ein Sohn sich über den Tod seines Vaters freut, ja den¬
selben herbeiwünscht. Aehnlicher Ansicht sind Tamburini, Casnedi und
der Vater Fagundez, der im neunten Buche seines 1637 zu Lyon erschie¬
nenen Tractats über die Gebote des Dekalogs sogar sagt: „Es ist einem Sohne
gestattet, sich über den an seinem Vater im Zustande der Trunkenheit ver¬
übten Todtschlag zu freuen, und zwar wegen der großen Güter, die ihm nun
zufallen."

Derselbe ehrwürdige Herr lehrt: „christliche und katholische Söhne können
ihre Väter des Verbrechens der Ketzerei anklagen, wenn diese sie vom Glauben
abwendig machen wollen, wenngleich sie wissen, daß die Eltern deshalb den
Feuertod erdulden werden, wie Toletus lehrt." — „Und sie können ihnen
nicht nur die Nahrungsmittel verweigern, wenn sie sie vom katholischen
Glauben abwendig machen wollen, sondern sie dürfen sie auch mit maßvoller
Anwendung untadelhafter Vertheidigungsrechtes gerechtermaßen ermorden,
falls sie die Söhne mit Gewalt antreiben, dem Glauben untreu zu werden."
„LoÄ Los etiam xotsruntjusts ooeiäörs eum inoäerawine inoulMta« tutelae,"
so lesen wir wörtlich bei diesem Ungeheuer.

Busen dann, der ihm hierin beipflichtet, entschuldigt es an einer an¬
dern Stelle, wenn jemand sich seiner Eltern schämt, sie vor den Leuten nicht
kennen, sie nicht bei sich haben will und ihnen nur das Allernothdürftigste
giebt. Besonders moralisch werden die Anfangs dieser Betrachtung erwähnten
Bischöfe ferner vermuthlich den Vater Bauny finden, der, indem nach ihm
jedem Mädchen das Recht zusteht, über ihre Jungfrauschaft zu disponiren
ohne dadurch das vierte Gebot zu verletzen, zugleich das sechste stillschweigend
beseitigt. „Wenn", so sagt er, „ein Mädchen sich freiwillig preisgegeben hat,
so hat freilich der Vater Ursache, sich über sie zu beklagen. Aber beleidigt
hat sie ihn nicht und die Gerechtigkeit hat sie auch nicht verletzt; denn sie hat


Grenzlwten I. 1873. 26
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[0209] Z)le Jesuiten und die zehn Hebote. 2. Wie sich die jesuitischen Casuisten zum vierten Gebote stellen, ist schon im vorigen Abschnitt angedeutet worden, wo wir sahen, daß Hurtado es für erlaubt hält, wenn ein Sohn sich über den Tod seines Vaters freut, ja den¬ selben herbeiwünscht. Aehnlicher Ansicht sind Tamburini, Casnedi und der Vater Fagundez, der im neunten Buche seines 1637 zu Lyon erschie¬ nenen Tractats über die Gebote des Dekalogs sogar sagt: „Es ist einem Sohne gestattet, sich über den an seinem Vater im Zustande der Trunkenheit ver¬ übten Todtschlag zu freuen, und zwar wegen der großen Güter, die ihm nun zufallen." Derselbe ehrwürdige Herr lehrt: „christliche und katholische Söhne können ihre Väter des Verbrechens der Ketzerei anklagen, wenn diese sie vom Glauben abwendig machen wollen, wenngleich sie wissen, daß die Eltern deshalb den Feuertod erdulden werden, wie Toletus lehrt." — „Und sie können ihnen nicht nur die Nahrungsmittel verweigern, wenn sie sie vom katholischen Glauben abwendig machen wollen, sondern sie dürfen sie auch mit maßvoller Anwendung untadelhafter Vertheidigungsrechtes gerechtermaßen ermorden, falls sie die Söhne mit Gewalt antreiben, dem Glauben untreu zu werden." „LoÄ Los etiam xotsruntjusts ooeiäörs eum inoäerawine inoulMta« tutelae," so lesen wir wörtlich bei diesem Ungeheuer. Busen dann, der ihm hierin beipflichtet, entschuldigt es an einer an¬ dern Stelle, wenn jemand sich seiner Eltern schämt, sie vor den Leuten nicht kennen, sie nicht bei sich haben will und ihnen nur das Allernothdürftigste giebt. Besonders moralisch werden die Anfangs dieser Betrachtung erwähnten Bischöfe ferner vermuthlich den Vater Bauny finden, der, indem nach ihm jedem Mädchen das Recht zusteht, über ihre Jungfrauschaft zu disponiren ohne dadurch das vierte Gebot zu verletzen, zugleich das sechste stillschweigend beseitigt. „Wenn", so sagt er, „ein Mädchen sich freiwillig preisgegeben hat, so hat freilich der Vater Ursache, sich über sie zu beklagen. Aber beleidigt hat sie ihn nicht und die Gerechtigkeit hat sie auch nicht verletzt; denn sie hat Grenzlwten I. 1873. 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/209>, abgerufen am 05.05.2024.