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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Kulturbilder aus einem verflossenen deutschen
Kleinstaat.*)
1. Der Herzog August Christian Friedrich v. Anhalt-Cöthen und sein
Staatsgrundgesetz.

Seit 1789 regierte in Anhalt-Cöthen August Christian Friedrich,
Sohn und Nachfolger des Fürsten Karl Georg Leberecht, eines frommen,
gerechten und leutseligen Herrn, der sich die Verwaltungsweise Friedrichs des
Großen zum Muster genommen und sein Land von den Wunden des sieben¬
jährigen Krieges geheilt, ja in einem glücklichen Zustande hinterlassen hatte.
Der Sohn war in vielfacher Hinsicht des Baders Gegentheil, im Charakter
wie in der Regierungsweise. Sein Stern war Napoleon, nur ihm bei
Weitem weniger klar und erreichbar, als dem Vater sein Vorbild gewesen war.
Nur wenigen Fürsten wird ein so hartes Urtheil gesprochen sein, als es über
August Christian Friedrich acht Jahre nach dessen Tode von G. A. H. Stenzel**)
gefällt wurde. Das Urtheil ist ganz unzweifelhaft zu hart. Das beweist die
Vertheidigung, zu welcher sich gleich nach dem Erscheinen des Stenzel'schen
Buches einzelne Landeskinder wie ganze Gemeinden berufen fühlten;^**) das
beweist Stenzel's eigenes, wenn auch zögerndes und nur theilweises Geständ-
niß in dem 1824 erschienenen Anhange zu seinem Handbuche; das beweisen
endlich die Zeugnisse erst kürzlich verstorbener Unterthanen des Herzogs, welche,
mehr als 5 Decennien nach dem Tode desselben und fast ein Menschenalter
nach dem Aussterben der Cöthenschen Fürstenlinie (1847), ein gänzlich ver-'
bannendes Urtheil nicht wollen gelten lassen. Jedenfalls erscheinen die späteren
Mannesjahre des Herzogs in einem milderen Lichte, wenn man die Geschichte
seiner Jugend betrachtet. Den Vater hatten als preußischen General, später
als österreichischen General-Feldmarschall-Lieutenant der baierische Erbfolgekrieg,





") Mit Benutzung amtlicher Quellen bearbeitet.
Handbuch der anhaltischen Geschichte. Dessau 1820, S. 301.
"Erinnerungen bei Bemthcilung des Herzogs August Christian Friedrich, veranlaßt
durch Stenzel's Handbuch ze." Zerbst 1821, enthaltend 4 aus Anhaltischen Zeitschriften gesam¬
melte Aufsätze.
Grenzboten I. 1873. 36
Kulturbilder aus einem verflossenen deutschen
Kleinstaat.*)
1. Der Herzog August Christian Friedrich v. Anhalt-Cöthen und sein
Staatsgrundgesetz.

Seit 1789 regierte in Anhalt-Cöthen August Christian Friedrich,
Sohn und Nachfolger des Fürsten Karl Georg Leberecht, eines frommen,
gerechten und leutseligen Herrn, der sich die Verwaltungsweise Friedrichs des
Großen zum Muster genommen und sein Land von den Wunden des sieben¬
jährigen Krieges geheilt, ja in einem glücklichen Zustande hinterlassen hatte.
Der Sohn war in vielfacher Hinsicht des Baders Gegentheil, im Charakter
wie in der Regierungsweise. Sein Stern war Napoleon, nur ihm bei
Weitem weniger klar und erreichbar, als dem Vater sein Vorbild gewesen war.
Nur wenigen Fürsten wird ein so hartes Urtheil gesprochen sein, als es über
August Christian Friedrich acht Jahre nach dessen Tode von G. A. H. Stenzel**)
gefällt wurde. Das Urtheil ist ganz unzweifelhaft zu hart. Das beweist die
Vertheidigung, zu welcher sich gleich nach dem Erscheinen des Stenzel'schen
Buches einzelne Landeskinder wie ganze Gemeinden berufen fühlten;^**) das
beweist Stenzel's eigenes, wenn auch zögerndes und nur theilweises Geständ-
niß in dem 1824 erschienenen Anhange zu seinem Handbuche; das beweisen
endlich die Zeugnisse erst kürzlich verstorbener Unterthanen des Herzogs, welche,
mehr als 5 Decennien nach dem Tode desselben und fast ein Menschenalter
nach dem Aussterben der Cöthenschen Fürstenlinie (1847), ein gänzlich ver-'
bannendes Urtheil nicht wollen gelten lassen. Jedenfalls erscheinen die späteren
Mannesjahre des Herzogs in einem milderen Lichte, wenn man die Geschichte
seiner Jugend betrachtet. Den Vater hatten als preußischen General, später
als österreichischen General-Feldmarschall-Lieutenant der baierische Erbfolgekrieg,





") Mit Benutzung amtlicher Quellen bearbeitet.
Handbuch der anhaltischen Geschichte. Dessau 1820, S. 301.
„Erinnerungen bei Bemthcilung des Herzogs August Christian Friedrich, veranlaßt
durch Stenzel's Handbuch ze." Zerbst 1821, enthaltend 4 aus Anhaltischen Zeitschriften gesam¬
melte Aufsätze.
Grenzboten I. 1873. 36
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[0289] Kulturbilder aus einem verflossenen deutschen Kleinstaat.*) 1. Der Herzog August Christian Friedrich v. Anhalt-Cöthen und sein Staatsgrundgesetz. Seit 1789 regierte in Anhalt-Cöthen August Christian Friedrich, Sohn und Nachfolger des Fürsten Karl Georg Leberecht, eines frommen, gerechten und leutseligen Herrn, der sich die Verwaltungsweise Friedrichs des Großen zum Muster genommen und sein Land von den Wunden des sieben¬ jährigen Krieges geheilt, ja in einem glücklichen Zustande hinterlassen hatte. Der Sohn war in vielfacher Hinsicht des Baders Gegentheil, im Charakter wie in der Regierungsweise. Sein Stern war Napoleon, nur ihm bei Weitem weniger klar und erreichbar, als dem Vater sein Vorbild gewesen war. Nur wenigen Fürsten wird ein so hartes Urtheil gesprochen sein, als es über August Christian Friedrich acht Jahre nach dessen Tode von G. A. H. Stenzel**) gefällt wurde. Das Urtheil ist ganz unzweifelhaft zu hart. Das beweist die Vertheidigung, zu welcher sich gleich nach dem Erscheinen des Stenzel'schen Buches einzelne Landeskinder wie ganze Gemeinden berufen fühlten;^**) das beweist Stenzel's eigenes, wenn auch zögerndes und nur theilweises Geständ- niß in dem 1824 erschienenen Anhange zu seinem Handbuche; das beweisen endlich die Zeugnisse erst kürzlich verstorbener Unterthanen des Herzogs, welche, mehr als 5 Decennien nach dem Tode desselben und fast ein Menschenalter nach dem Aussterben der Cöthenschen Fürstenlinie (1847), ein gänzlich ver-' bannendes Urtheil nicht wollen gelten lassen. Jedenfalls erscheinen die späteren Mannesjahre des Herzogs in einem milderen Lichte, wenn man die Geschichte seiner Jugend betrachtet. Den Vater hatten als preußischen General, später als österreichischen General-Feldmarschall-Lieutenant der baierische Erbfolgekrieg, ") Mit Benutzung amtlicher Quellen bearbeitet. Handbuch der anhaltischen Geschichte. Dessau 1820, S. 301. „Erinnerungen bei Bemthcilung des Herzogs August Christian Friedrich, veranlaßt durch Stenzel's Handbuch ze." Zerbst 1821, enthaltend 4 aus Anhaltischen Zeitschriften gesam¬ melte Aufsätze. Grenzboten I. 1873. 36

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/289>, abgerufen am 04.05.2024.