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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Ale HewerKvereine und das Vereinsrecht.

Jede der socialen Parteien unserer Zeit besitzt ein Hauptrecept für die
Heilung der Schäden der modernen Gesellschaft. Die Jünger Lasalle's preisen
das allgemeine Stimmrecht und die Staatshülfe als Universalheilmittel. Die
Affiliirten der' Internationale erwarten die Genesung der Gesellschaft nur
von einer Verbrüderung aller Arbeiter der Erde, mindestens der "Vereinigten
Staaten von Europa." Der blaue Socialismus aber, der sich der Führung
der Herren Hirsch und Duncker erfreut, verspricht sich und uns die Lösung
der socialen Frage von den deutschen Gewerkvereinen.

Alle diese socialen Richtungen, so grundverschieden ihre Anschauung von
dem Heilsweg und dem endlichen Ziel sein mag, versichern uns doch sämmtlich
Mit gleicher Treuherzigkeit, daß ihr Ziel mit ihren Mitteln sich erreichen lasse
auf rein gesetzlichem Wege. Man kann den biedern Arbeiterführer kaum
durch einen andern Verdacht so bitter kränken, als durch die Unterstellung,
daß sich das freundliche Ziel seiner Sorgen nicht anders werde erreichen lassen,
als durch revolutionäre Umgestaltung der modernen Gesellschaft, Wirthschaft
und Kultur, ja daß schon die anempfohlenen Mill-el zu diesem Ziele mit
unseren -- freilich vorurtheilsvoller und nur durch einige Jahrtausende aner¬
zogenen -- Begriffen von Gesetz- und Rechtmäßigkeit in schreienden Wider¬
spruche zu stehen scheinen. Wenn ein derartiger Verdacht laut wird, so ent¬
stammt er das sittliche Pathos der verdächtigten Heilslehre zur höchsten Wärme.
Der Lasalleaner beweist uns, wie das allgemeine Stimmrecht, sowie es nur
erst einmal die Erkorenen des Allg. Deutschen Arbeitervereins auf die Mehr-
Zahl der Reichstagssitze erhoben habe, die Umwandlung des Staates in eine
Generalentreprise von Arbeiterglück, Normalarbeit und Normalvergnügen
wühelos vollziehen werde. Die Jünger der Internationale betheuern uns,
daß ihr einziges Kampfmittel die allgemeine Menschenliebe sei, welche über
ein Kleines es dahin bringen müsse, daß die thörichte Gewohnheit, in ge¬
trennten Nationen und Staaten zu leben, vom Erdball verschwinden werde,
vorauf sich Alles unweigerlich in allgemeines Wohlgefallen auflösen müsse.
Ilnd die Väter und Oheime der Gewerkvereine bezeichnen als das gesetzliche Mittel,
um den stillen, von Vielen hartnäckig angezweifelten Segen dieser Vereine zum all-


Grenzboten I. 1873. 46
Ale HewerKvereine und das Vereinsrecht.

Jede der socialen Parteien unserer Zeit besitzt ein Hauptrecept für die
Heilung der Schäden der modernen Gesellschaft. Die Jünger Lasalle's preisen
das allgemeine Stimmrecht und die Staatshülfe als Universalheilmittel. Die
Affiliirten der' Internationale erwarten die Genesung der Gesellschaft nur
von einer Verbrüderung aller Arbeiter der Erde, mindestens der „Vereinigten
Staaten von Europa." Der blaue Socialismus aber, der sich der Führung
der Herren Hirsch und Duncker erfreut, verspricht sich und uns die Lösung
der socialen Frage von den deutschen Gewerkvereinen.

Alle diese socialen Richtungen, so grundverschieden ihre Anschauung von
dem Heilsweg und dem endlichen Ziel sein mag, versichern uns doch sämmtlich
Mit gleicher Treuherzigkeit, daß ihr Ziel mit ihren Mitteln sich erreichen lasse
auf rein gesetzlichem Wege. Man kann den biedern Arbeiterführer kaum
durch einen andern Verdacht so bitter kränken, als durch die Unterstellung,
daß sich das freundliche Ziel seiner Sorgen nicht anders werde erreichen lassen,
als durch revolutionäre Umgestaltung der modernen Gesellschaft, Wirthschaft
und Kultur, ja daß schon die anempfohlenen Mill-el zu diesem Ziele mit
unseren — freilich vorurtheilsvoller und nur durch einige Jahrtausende aner¬
zogenen — Begriffen von Gesetz- und Rechtmäßigkeit in schreienden Wider¬
spruche zu stehen scheinen. Wenn ein derartiger Verdacht laut wird, so ent¬
stammt er das sittliche Pathos der verdächtigten Heilslehre zur höchsten Wärme.
Der Lasalleaner beweist uns, wie das allgemeine Stimmrecht, sowie es nur
erst einmal die Erkorenen des Allg. Deutschen Arbeitervereins auf die Mehr-
Zahl der Reichstagssitze erhoben habe, die Umwandlung des Staates in eine
Generalentreprise von Arbeiterglück, Normalarbeit und Normalvergnügen
wühelos vollziehen werde. Die Jünger der Internationale betheuern uns,
daß ihr einziges Kampfmittel die allgemeine Menschenliebe sei, welche über
ein Kleines es dahin bringen müsse, daß die thörichte Gewohnheit, in ge¬
trennten Nationen und Staaten zu leben, vom Erdball verschwinden werde,
vorauf sich Alles unweigerlich in allgemeines Wohlgefallen auflösen müsse.
Ilnd die Väter und Oheime der Gewerkvereine bezeichnen als das gesetzliche Mittel,
um den stillen, von Vielen hartnäckig angezweifelten Segen dieser Vereine zum all-


Grenzboten I. 1873. 46
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[0369] Ale HewerKvereine und das Vereinsrecht. Jede der socialen Parteien unserer Zeit besitzt ein Hauptrecept für die Heilung der Schäden der modernen Gesellschaft. Die Jünger Lasalle's preisen das allgemeine Stimmrecht und die Staatshülfe als Universalheilmittel. Die Affiliirten der' Internationale erwarten die Genesung der Gesellschaft nur von einer Verbrüderung aller Arbeiter der Erde, mindestens der „Vereinigten Staaten von Europa." Der blaue Socialismus aber, der sich der Führung der Herren Hirsch und Duncker erfreut, verspricht sich und uns die Lösung der socialen Frage von den deutschen Gewerkvereinen. Alle diese socialen Richtungen, so grundverschieden ihre Anschauung von dem Heilsweg und dem endlichen Ziel sein mag, versichern uns doch sämmtlich Mit gleicher Treuherzigkeit, daß ihr Ziel mit ihren Mitteln sich erreichen lasse auf rein gesetzlichem Wege. Man kann den biedern Arbeiterführer kaum durch einen andern Verdacht so bitter kränken, als durch die Unterstellung, daß sich das freundliche Ziel seiner Sorgen nicht anders werde erreichen lassen, als durch revolutionäre Umgestaltung der modernen Gesellschaft, Wirthschaft und Kultur, ja daß schon die anempfohlenen Mill-el zu diesem Ziele mit unseren — freilich vorurtheilsvoller und nur durch einige Jahrtausende aner¬ zogenen — Begriffen von Gesetz- und Rechtmäßigkeit in schreienden Wider¬ spruche zu stehen scheinen. Wenn ein derartiger Verdacht laut wird, so ent¬ stammt er das sittliche Pathos der verdächtigten Heilslehre zur höchsten Wärme. Der Lasalleaner beweist uns, wie das allgemeine Stimmrecht, sowie es nur erst einmal die Erkorenen des Allg. Deutschen Arbeitervereins auf die Mehr- Zahl der Reichstagssitze erhoben habe, die Umwandlung des Staates in eine Generalentreprise von Arbeiterglück, Normalarbeit und Normalvergnügen wühelos vollziehen werde. Die Jünger der Internationale betheuern uns, daß ihr einziges Kampfmittel die allgemeine Menschenliebe sei, welche über ein Kleines es dahin bringen müsse, daß die thörichte Gewohnheit, in ge¬ trennten Nationen und Staaten zu leben, vom Erdball verschwinden werde, vorauf sich Alles unweigerlich in allgemeines Wohlgefallen auflösen müsse. Ilnd die Väter und Oheime der Gewerkvereine bezeichnen als das gesetzliche Mittel, um den stillen, von Vielen hartnäckig angezweifelten Segen dieser Vereine zum all- Grenzboten I. 1873. 46

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/369>, abgerufen am 04.05.2024.