Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Line Erinnerung aus dem WtteMer.

Wohl mag in den bewegten kirchlich-politischen Kämpfen unserer Zeit
dem Geschichtskundigen mehr wie einmal eine Erinnerung an frühere Fehden
ähnlicher Art aufgestiegen sein. Der schon oft erschienene Gegensatz zwischen
dem Staate und der christlichen Kirche, wie sie historisch im Mittelalter sich
gebildet, hat heute zu neuem Zusammenstoße geführt. Wieder einmal gilt
es, auf die alte Frage, ob die Kirche dem Staatsleben ihre Gesetze auflegen
dürfe, eine zeitgemäße Antwort zu geben. Allerdings ihrer eigentlichen Be¬
stimmung und Aufgabe nach würden Staat und Kirche durchaus getrennte
selbständige Reiche sein, aber es giebt doch ein weites ausgedehntes Grenz¬
gebiet, aus dem ihre Kreise sich berühren, aus das beide ihre Machtsphären
zu erstrecken suchen. Da erhebt sich die Frage, wer ist es, der auf diesem
beiden Reichen gemeinsamen Territorium Norm und Ordnung zu setzen hat,
-- der Staat oder die Kirche?

Während wir heute vielleicht erst in den Anfängen der Bewegung stehen,
die durch diese Frage hervorgerufen werden muß, liegt es nahe, daß mit ge¬
steigertem Interesse wir die früheren Bewegungen ähnlichen Inhaltes uns
vorführen. Der heutige Kampf gegen die Staatsidee geht ja nicht aus von
einer neuen historischen Erscheinung. Der Katholicismus mit seinem alten
Papalsysteme, die Theokratie des römischen Bischofs mit ihren alten An¬
sprüchen ist es, welche wieder einmal dem Staate den Fehdehandschuh ins Ge¬
sicht geschleudert hat. Ein alter oft erprobter, nicht ein neuer noch unbe¬
kannter Feind ist es, der sich wider uns erhoben hat!

Wenn wir bei dieser Sachlage die aufsteigenden Erinnerungen an die
früheren Feldzüge des weltherrschenden Papstthumes gegen die weltliche Macht
heute einmal festhalten, sie nicht als unnütze Belastung des Gedächtnisses
wegwerfen, so wissen wir wohl, daß unmittelbar durch historische Pa-
rallelen kein Mensch für die Praxis etwas lernt. Und eine jede unmittel¬
bare Nutzanwendung widerstrebt auch dem Genius der Geschichte. Wohl
aber schärft Kenntniß der vergangenen Dinge Auge und Sinn für Auf¬
fassung und Würdigung der Gegenwart: die wahren Tendenzen ja der


Grenzboten II. 187S. 51
Line Erinnerung aus dem WtteMer.

Wohl mag in den bewegten kirchlich-politischen Kämpfen unserer Zeit
dem Geschichtskundigen mehr wie einmal eine Erinnerung an frühere Fehden
ähnlicher Art aufgestiegen sein. Der schon oft erschienene Gegensatz zwischen
dem Staate und der christlichen Kirche, wie sie historisch im Mittelalter sich
gebildet, hat heute zu neuem Zusammenstoße geführt. Wieder einmal gilt
es, auf die alte Frage, ob die Kirche dem Staatsleben ihre Gesetze auflegen
dürfe, eine zeitgemäße Antwort zu geben. Allerdings ihrer eigentlichen Be¬
stimmung und Aufgabe nach würden Staat und Kirche durchaus getrennte
selbständige Reiche sein, aber es giebt doch ein weites ausgedehntes Grenz¬
gebiet, aus dem ihre Kreise sich berühren, aus das beide ihre Machtsphären
zu erstrecken suchen. Da erhebt sich die Frage, wer ist es, der auf diesem
beiden Reichen gemeinsamen Territorium Norm und Ordnung zu setzen hat,
— der Staat oder die Kirche?

Während wir heute vielleicht erst in den Anfängen der Bewegung stehen,
die durch diese Frage hervorgerufen werden muß, liegt es nahe, daß mit ge¬
steigertem Interesse wir die früheren Bewegungen ähnlichen Inhaltes uns
vorführen. Der heutige Kampf gegen die Staatsidee geht ja nicht aus von
einer neuen historischen Erscheinung. Der Katholicismus mit seinem alten
Papalsysteme, die Theokratie des römischen Bischofs mit ihren alten An¬
sprüchen ist es, welche wieder einmal dem Staate den Fehdehandschuh ins Ge¬
sicht geschleudert hat. Ein alter oft erprobter, nicht ein neuer noch unbe¬
kannter Feind ist es, der sich wider uns erhoben hat!

Wenn wir bei dieser Sachlage die aufsteigenden Erinnerungen an die
früheren Feldzüge des weltherrschenden Papstthumes gegen die weltliche Macht
heute einmal festhalten, sie nicht als unnütze Belastung des Gedächtnisses
wegwerfen, so wissen wir wohl, daß unmittelbar durch historische Pa-
rallelen kein Mensch für die Praxis etwas lernt. Und eine jede unmittel¬
bare Nutzanwendung widerstrebt auch dem Genius der Geschichte. Wohl
aber schärft Kenntniß der vergangenen Dinge Auge und Sinn für Auf¬
fassung und Würdigung der Gegenwart: die wahren Tendenzen ja der


Grenzboten II. 187S. 51
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0409" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/129935"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Line Erinnerung aus dem WtteMer.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1316"> Wohl mag in den bewegten kirchlich-politischen Kämpfen unserer Zeit<lb/>
dem Geschichtskundigen mehr wie einmal eine Erinnerung an frühere Fehden<lb/>
ähnlicher Art aufgestiegen sein. Der schon oft erschienene Gegensatz zwischen<lb/>
dem Staate und der christlichen Kirche, wie sie historisch im Mittelalter sich<lb/>
gebildet, hat heute zu neuem Zusammenstoße geführt. Wieder einmal gilt<lb/>
es, auf die alte Frage, ob die Kirche dem Staatsleben ihre Gesetze auflegen<lb/>
dürfe, eine zeitgemäße Antwort zu geben. Allerdings ihrer eigentlichen Be¬<lb/>
stimmung und Aufgabe nach würden Staat und Kirche durchaus getrennte<lb/>
selbständige Reiche sein, aber es giebt doch ein weites ausgedehntes Grenz¬<lb/>
gebiet, aus dem ihre Kreise sich berühren, aus das beide ihre Machtsphären<lb/>
zu erstrecken suchen. Da erhebt sich die Frage, wer ist es, der auf diesem<lb/>
beiden Reichen gemeinsamen Territorium Norm und Ordnung zu setzen hat,<lb/>
&#x2014; der Staat oder die Kirche?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1317"> Während wir heute vielleicht erst in den Anfängen der Bewegung stehen,<lb/>
die durch diese Frage hervorgerufen werden muß, liegt es nahe, daß mit ge¬<lb/>
steigertem Interesse wir die früheren Bewegungen ähnlichen Inhaltes uns<lb/>
vorführen. Der heutige Kampf gegen die Staatsidee geht ja nicht aus von<lb/>
einer neuen historischen Erscheinung. Der Katholicismus mit seinem alten<lb/>
Papalsysteme, die Theokratie des römischen Bischofs mit ihren alten An¬<lb/>
sprüchen ist es, welche wieder einmal dem Staate den Fehdehandschuh ins Ge¬<lb/>
sicht geschleudert hat. Ein alter oft erprobter, nicht ein neuer noch unbe¬<lb/>
kannter Feind ist es, der sich wider uns erhoben hat!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1318" next="#ID_1319"> Wenn wir bei dieser Sachlage die aufsteigenden Erinnerungen an die<lb/>
früheren Feldzüge des weltherrschenden Papstthumes gegen die weltliche Macht<lb/>
heute einmal festhalten, sie nicht als unnütze Belastung des Gedächtnisses<lb/>
wegwerfen, so wissen wir wohl, daß unmittelbar durch historische Pa-<lb/>
rallelen kein Mensch für die Praxis etwas lernt. Und eine jede unmittel¬<lb/>
bare Nutzanwendung widerstrebt auch dem Genius der Geschichte. Wohl<lb/>
aber schärft Kenntniß der vergangenen Dinge Auge und Sinn für Auf¬<lb/>
fassung und Würdigung der Gegenwart: die wahren Tendenzen ja der</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. 187S. 51</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0409] Line Erinnerung aus dem WtteMer. Wohl mag in den bewegten kirchlich-politischen Kämpfen unserer Zeit dem Geschichtskundigen mehr wie einmal eine Erinnerung an frühere Fehden ähnlicher Art aufgestiegen sein. Der schon oft erschienene Gegensatz zwischen dem Staate und der christlichen Kirche, wie sie historisch im Mittelalter sich gebildet, hat heute zu neuem Zusammenstoße geführt. Wieder einmal gilt es, auf die alte Frage, ob die Kirche dem Staatsleben ihre Gesetze auflegen dürfe, eine zeitgemäße Antwort zu geben. Allerdings ihrer eigentlichen Be¬ stimmung und Aufgabe nach würden Staat und Kirche durchaus getrennte selbständige Reiche sein, aber es giebt doch ein weites ausgedehntes Grenz¬ gebiet, aus dem ihre Kreise sich berühren, aus das beide ihre Machtsphären zu erstrecken suchen. Da erhebt sich die Frage, wer ist es, der auf diesem beiden Reichen gemeinsamen Territorium Norm und Ordnung zu setzen hat, — der Staat oder die Kirche? Während wir heute vielleicht erst in den Anfängen der Bewegung stehen, die durch diese Frage hervorgerufen werden muß, liegt es nahe, daß mit ge¬ steigertem Interesse wir die früheren Bewegungen ähnlichen Inhaltes uns vorführen. Der heutige Kampf gegen die Staatsidee geht ja nicht aus von einer neuen historischen Erscheinung. Der Katholicismus mit seinem alten Papalsysteme, die Theokratie des römischen Bischofs mit ihren alten An¬ sprüchen ist es, welche wieder einmal dem Staate den Fehdehandschuh ins Ge¬ sicht geschleudert hat. Ein alter oft erprobter, nicht ein neuer noch unbe¬ kannter Feind ist es, der sich wider uns erhoben hat! Wenn wir bei dieser Sachlage die aufsteigenden Erinnerungen an die früheren Feldzüge des weltherrschenden Papstthumes gegen die weltliche Macht heute einmal festhalten, sie nicht als unnütze Belastung des Gedächtnisses wegwerfen, so wissen wir wohl, daß unmittelbar durch historische Pa- rallelen kein Mensch für die Praxis etwas lernt. Und eine jede unmittel¬ bare Nutzanwendung widerstrebt auch dem Genius der Geschichte. Wohl aber schärft Kenntniß der vergangenen Dinge Auge und Sinn für Auf¬ fassung und Würdigung der Gegenwart: die wahren Tendenzen ja der Grenzboten II. 187S. 51

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_129525
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_129525/409
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_129525/409>, abgerufen am 08.05.2024.