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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. II. Band.

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Deutschland kann sich zu diesen Fortschritten seiner wirthschaftlichen Ent¬
wicklung um so mehr beglückwünschen, als es hierin den übrigen Nationen
weit vorangeeilt ist.


G. T.


Ministerium und Apposition in Sachsen.

"Klar zum Gefecht!" Das scheint die Losung zu werden, mit welcher
die Liberalen auf der einen, das Ministerium und seine Anhänger auf der
andern Seite in die bevorstehenden neuen Landtagswahlen eintreten. Die
Liberalen haben dießmal mit ungewohnter Schnelligkeit die Wahlbewegung
begonnen und scheinen gewillt, sie mit aller Energie fortzuführen. Das Mini¬
sterium hat den Kampf mit polizeilichen Maßregeln gegen ein paar liberali-
sirende "Amtsblätter" eröffnet, und hat sodann in seinem publictstischen Or¬
gan, dem Dresdner Journal, einen lauten Noth- und Hülfsschrei ins Land
hinaus ertönen lassen, als ob die Revolution vor der Thür stände!

Und warum Letzteres? Weil eine Anzahl liberaler Stimmen, weniger
in der sächsischen Presse selbst, als in auswärtigen Blättern gewagt haben,
Schwarz schwarz zu nennen -- wie Bismarck neulich gesagt: ^'aposlle un etat
un eilte -- weil sie gewagt haben, von einer "Reaction" zu sprechen, die
über Sachsen im Anzüge sei, und die wohlmeinende Mahnung ergehen zu
lassen: VjäLavt consules, ruz quia äetrimenti eapiat respudlioa.

Als ob die Liberalen ihre Freude daran hätten, Reaction zu sehen, wo
keine wäre, oder in eine Opposition mit dem Ministerium gewaltsam und
künstlich sich hineinzureden! Als ob es ihnen nicht weit erwünschter sein
müßte, -- persönlich und sachlich -- mit der Regierung auf gutem Fuße zu
stehen und so weit möglich Hand in Hand mit ihr oder doch im Wege ver¬
söhnlicher Compromisse, für den liberalen Fortschritt zu arbeiten! Aber sollen
sie deshalb die Augen verschließen und wie auf der bekannten Carricatur von
1848 resignirt ausrufen: "Wir sehen keine Reaction", auch wenn die drohen¬
den Anzeichen einer solchen sich ihnen aufdrängen?

Wenn je eine liberale Partei es dem Ministerium leicht gemacht hat. mit
ihr sich zu verständigen, so war es die liberale Partei in der II. Kammer
des sächsischen Landtags von 1871/73 -- das Zeugniß muß jeder unpartei¬
ische Beobachter des sächsischen Verfassungslebens ihr geben. Von allen Un-


Deutschland kann sich zu diesen Fortschritten seiner wirthschaftlichen Ent¬
wicklung um so mehr beglückwünschen, als es hierin den übrigen Nationen
weit vorangeeilt ist.


G. T.


Ministerium und Apposition in Sachsen.

„Klar zum Gefecht!" Das scheint die Losung zu werden, mit welcher
die Liberalen auf der einen, das Ministerium und seine Anhänger auf der
andern Seite in die bevorstehenden neuen Landtagswahlen eintreten. Die
Liberalen haben dießmal mit ungewohnter Schnelligkeit die Wahlbewegung
begonnen und scheinen gewillt, sie mit aller Energie fortzuführen. Das Mini¬
sterium hat den Kampf mit polizeilichen Maßregeln gegen ein paar liberali-
sirende „Amtsblätter" eröffnet, und hat sodann in seinem publictstischen Or¬
gan, dem Dresdner Journal, einen lauten Noth- und Hülfsschrei ins Land
hinaus ertönen lassen, als ob die Revolution vor der Thür stände!

Und warum Letzteres? Weil eine Anzahl liberaler Stimmen, weniger
in der sächsischen Presse selbst, als in auswärtigen Blättern gewagt haben,
Schwarz schwarz zu nennen — wie Bismarck neulich gesagt: ^'aposlle un etat
un eilte — weil sie gewagt haben, von einer „Reaction" zu sprechen, die
über Sachsen im Anzüge sei, und die wohlmeinende Mahnung ergehen zu
lassen: VjäLavt consules, ruz quia äetrimenti eapiat respudlioa.

Als ob die Liberalen ihre Freude daran hätten, Reaction zu sehen, wo
keine wäre, oder in eine Opposition mit dem Ministerium gewaltsam und
künstlich sich hineinzureden! Als ob es ihnen nicht weit erwünschter sein
müßte, — persönlich und sachlich — mit der Regierung auf gutem Fuße zu
stehen und so weit möglich Hand in Hand mit ihr oder doch im Wege ver¬
söhnlicher Compromisse, für den liberalen Fortschritt zu arbeiten! Aber sollen
sie deshalb die Augen verschließen und wie auf der bekannten Carricatur von
1848 resignirt ausrufen: „Wir sehen keine Reaction", auch wenn die drohen¬
den Anzeichen einer solchen sich ihnen aufdrängen?

Wenn je eine liberale Partei es dem Ministerium leicht gemacht hat. mit
ihr sich zu verständigen, so war es die liberale Partei in der II. Kammer
des sächsischen Landtags von 1871/73 — das Zeugniß muß jeder unpartei¬
ische Beobachter des sächsischen Verfassungslebens ihr geben. Von allen Un-


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[0432] Deutschland kann sich zu diesen Fortschritten seiner wirthschaftlichen Ent¬ wicklung um so mehr beglückwünschen, als es hierin den übrigen Nationen weit vorangeeilt ist. G. T. Ministerium und Apposition in Sachsen. „Klar zum Gefecht!" Das scheint die Losung zu werden, mit welcher die Liberalen auf der einen, das Ministerium und seine Anhänger auf der andern Seite in die bevorstehenden neuen Landtagswahlen eintreten. Die Liberalen haben dießmal mit ungewohnter Schnelligkeit die Wahlbewegung begonnen und scheinen gewillt, sie mit aller Energie fortzuführen. Das Mini¬ sterium hat den Kampf mit polizeilichen Maßregeln gegen ein paar liberali- sirende „Amtsblätter" eröffnet, und hat sodann in seinem publictstischen Or¬ gan, dem Dresdner Journal, einen lauten Noth- und Hülfsschrei ins Land hinaus ertönen lassen, als ob die Revolution vor der Thür stände! Und warum Letzteres? Weil eine Anzahl liberaler Stimmen, weniger in der sächsischen Presse selbst, als in auswärtigen Blättern gewagt haben, Schwarz schwarz zu nennen — wie Bismarck neulich gesagt: ^'aposlle un etat un eilte — weil sie gewagt haben, von einer „Reaction" zu sprechen, die über Sachsen im Anzüge sei, und die wohlmeinende Mahnung ergehen zu lassen: VjäLavt consules, ruz quia äetrimenti eapiat respudlioa. Als ob die Liberalen ihre Freude daran hätten, Reaction zu sehen, wo keine wäre, oder in eine Opposition mit dem Ministerium gewaltsam und künstlich sich hineinzureden! Als ob es ihnen nicht weit erwünschter sein müßte, — persönlich und sachlich — mit der Regierung auf gutem Fuße zu stehen und so weit möglich Hand in Hand mit ihr oder doch im Wege ver¬ söhnlicher Compromisse, für den liberalen Fortschritt zu arbeiten! Aber sollen sie deshalb die Augen verschließen und wie auf der bekannten Carricatur von 1848 resignirt ausrufen: „Wir sehen keine Reaction", auch wenn die drohen¬ den Anzeichen einer solchen sich ihnen aufdrängen? Wenn je eine liberale Partei es dem Ministerium leicht gemacht hat. mit ihr sich zu verständigen, so war es die liberale Partei in der II. Kammer des sächsischen Landtags von 1871/73 — das Zeugniß muß jeder unpartei¬ ische Beobachter des sächsischen Verfassungslebens ihr geben. Von allen Un-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_129525/432>, abgerufen am 08.05.2024.