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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. II. Band.

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das Mittelalter -- eigentlich gar keine faßbare Bezeichnung -- nichts von
der Dunkelheit und jenem schauerlichen Bühnenapparat an sich hat, mit wel¬
chem es von der Phantasie moderner Dichter und Sammlungen zeigender
Kastellane ausgestattet wird.


Max Allihn.


Aejierreich und die Türkei.

Es war bis in die Gegenwart herab ein unerschütterliches Axiom der
auswärtigen Politik Oesterreichs, in der orientalischen Frage den Schutzgeist
der Türkei zu machen und dem zermalmenden Arm des russischen Colosses
abwehrend entgegenzutreten. Selbst nachdem die Politik Metternich's längst
zu Grabe getragen war und man sogar volksthümlichen Forderungen Con¬
cessionen gemacht hatte, war man nicht geneigt, die nationalen Strömungen
in den untern Donauländern zu fördern oder auch sie nur zu befürworten.

Statt wie es so leicht möglich gewesen wäre, einen Anziehungspunkt für
diese Länder und Völker zu bilden, that man vieles, um sie gegen sich zu
erbittern und sie Rußland zuzuwenden. Man unterließ alles, um ihre Hoff¬
nungen auf Wien zu concentriren. Seitdem man nun gar sich mit Rußland
in feindseliger Spannung befand, hielt man es ganz besonders für die Auf¬
gabe der österreichischen Politik, Rußlands aggressiven Plänen gegen die Tür¬
kei entgegenzuwirken. In diesem Punkte stand man ganz auf der Seite der
Westmächte. Zu wohl wußte man freilich, wie es in der Türkei aussah und
daß dieselbe nur durch den widerstrebenden Ehrgeiz von West- und Osteuropa
aufrecht erhalten werden konnte, während die innere Fäulniß dieses Staates
unmittelbar in Oesterreich selbst empfunden wurde; aber weil man in sich
selber nicht die Macht zu einer Annexion der untern Donauländer fühlte und
doch Rußland die Erwerbung derselben nicht gönnte, ja mit Recht darin eine
Gefährdung der Entwickelung und Machtstellung Oesterreichs erkannte, so
hielt man ununterbrochen an der conservativen Politik der Türkei gegen¬
über fest.

Durch den Wechsel, der in der Schlacht bei Sedan in der europäischen
Politik herbeigeführt ist, mußte sich auch allmählig eine andere Auffassung
in der Beurtheilung der orientalischen Frage in Wien anbahnen. Frankreich
war von seiner hohen Machtstellung heruntergetreten, es mußte auch auf seine


das Mittelalter — eigentlich gar keine faßbare Bezeichnung — nichts von
der Dunkelheit und jenem schauerlichen Bühnenapparat an sich hat, mit wel¬
chem es von der Phantasie moderner Dichter und Sammlungen zeigender
Kastellane ausgestattet wird.


Max Allihn.


Aejierreich und die Türkei.

Es war bis in die Gegenwart herab ein unerschütterliches Axiom der
auswärtigen Politik Oesterreichs, in der orientalischen Frage den Schutzgeist
der Türkei zu machen und dem zermalmenden Arm des russischen Colosses
abwehrend entgegenzutreten. Selbst nachdem die Politik Metternich's längst
zu Grabe getragen war und man sogar volksthümlichen Forderungen Con¬
cessionen gemacht hatte, war man nicht geneigt, die nationalen Strömungen
in den untern Donauländern zu fördern oder auch sie nur zu befürworten.

Statt wie es so leicht möglich gewesen wäre, einen Anziehungspunkt für
diese Länder und Völker zu bilden, that man vieles, um sie gegen sich zu
erbittern und sie Rußland zuzuwenden. Man unterließ alles, um ihre Hoff¬
nungen auf Wien zu concentriren. Seitdem man nun gar sich mit Rußland
in feindseliger Spannung befand, hielt man es ganz besonders für die Auf¬
gabe der österreichischen Politik, Rußlands aggressiven Plänen gegen die Tür¬
kei entgegenzuwirken. In diesem Punkte stand man ganz auf der Seite der
Westmächte. Zu wohl wußte man freilich, wie es in der Türkei aussah und
daß dieselbe nur durch den widerstrebenden Ehrgeiz von West- und Osteuropa
aufrecht erhalten werden konnte, während die innere Fäulniß dieses Staates
unmittelbar in Oesterreich selbst empfunden wurde; aber weil man in sich
selber nicht die Macht zu einer Annexion der untern Donauländer fühlte und
doch Rußland die Erwerbung derselben nicht gönnte, ja mit Recht darin eine
Gefährdung der Entwickelung und Machtstellung Oesterreichs erkannte, so
hielt man ununterbrochen an der conservativen Politik der Türkei gegen¬
über fest.

Durch den Wechsel, der in der Schlacht bei Sedan in der europäischen
Politik herbeigeführt ist, mußte sich auch allmählig eine andere Auffassung
in der Beurtheilung der orientalischen Frage in Wien anbahnen. Frankreich
war von seiner hohen Machtstellung heruntergetreten, es mußte auch auf seine


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[0188] das Mittelalter — eigentlich gar keine faßbare Bezeichnung — nichts von der Dunkelheit und jenem schauerlichen Bühnenapparat an sich hat, mit wel¬ chem es von der Phantasie moderner Dichter und Sammlungen zeigender Kastellane ausgestattet wird. Max Allihn. Aejierreich und die Türkei. Es war bis in die Gegenwart herab ein unerschütterliches Axiom der auswärtigen Politik Oesterreichs, in der orientalischen Frage den Schutzgeist der Türkei zu machen und dem zermalmenden Arm des russischen Colosses abwehrend entgegenzutreten. Selbst nachdem die Politik Metternich's längst zu Grabe getragen war und man sogar volksthümlichen Forderungen Con¬ cessionen gemacht hatte, war man nicht geneigt, die nationalen Strömungen in den untern Donauländern zu fördern oder auch sie nur zu befürworten. Statt wie es so leicht möglich gewesen wäre, einen Anziehungspunkt für diese Länder und Völker zu bilden, that man vieles, um sie gegen sich zu erbittern und sie Rußland zuzuwenden. Man unterließ alles, um ihre Hoff¬ nungen auf Wien zu concentriren. Seitdem man nun gar sich mit Rußland in feindseliger Spannung befand, hielt man es ganz besonders für die Auf¬ gabe der österreichischen Politik, Rußlands aggressiven Plänen gegen die Tür¬ kei entgegenzuwirken. In diesem Punkte stand man ganz auf der Seite der Westmächte. Zu wohl wußte man freilich, wie es in der Türkei aussah und daß dieselbe nur durch den widerstrebenden Ehrgeiz von West- und Osteuropa aufrecht erhalten werden konnte, während die innere Fäulniß dieses Staates unmittelbar in Oesterreich selbst empfunden wurde; aber weil man in sich selber nicht die Macht zu einer Annexion der untern Donauländer fühlte und doch Rußland die Erwerbung derselben nicht gönnte, ja mit Recht darin eine Gefährdung der Entwickelung und Machtstellung Oesterreichs erkannte, so hielt man ununterbrochen an der conservativen Politik der Türkei gegen¬ über fest. Durch den Wechsel, der in der Schlacht bei Sedan in der europäischen Politik herbeigeführt ist, mußte sich auch allmählig eine andere Auffassung in der Beurtheilung der orientalischen Frage in Wien anbahnen. Frankreich war von seiner hohen Machtstellung heruntergetreten, es mußte auch auf seine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_130059/188>, abgerufen am 03.05.2024.