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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. II. Band.

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und Paketpost, mit sich führte, welche ebenfalls in Watt übernachtete und
überreichlich mit Seewasser getränkt in Norden herausgenommen und ge-
trocknet wurde, ehe sie nach Norderney befördert werden konnte. Den Brief¬
schaften ist es übrigens gut gegangen, schlechter den Paketen, worunter sich
u. A. ein Colii mit Cigarren und eins mit 36 Pfund getrockneter Hefe be¬
fand. Das muß eine nette Brühe geworden sein.


X.


Wiener Witz und Wiener Mut.
Von Dr. Karl Braun.

Im Laufe des Jahres 1873 sind zahllose "Deutsche aus dem Reiche"
nach Wien gegangen und Viele werden noch jetzt, in der elften Stunde, hin¬
gehen, um die Weltausstellung zu studiren und sich in der gemüthlichen Kai¬
serstadt zu amusiren. Alle diese deutschen Reichsbürger bedienen sich hierbei
irgend eines Buches als Führer. Ich meine damit jene Bücher, welche man
nach Bädecker nennt, nach jenem verdienstvollen Manne, welcher zuerst uns
Deutschen praktisch brauchbare Reisehandbücher gab, wie solche z.B. für Eng¬
länder schon lange existirten -- ja schon sogar viel früher in Frankreich er¬
schienen waren, während wir Deutsche, die wir uns doch so gerne über die
geographische Ignoranz der Franzosen lustig machen, dergleichen nicht hatten.
Es würde Thorheit sein, die "Bädeckers", deren es einige recht gute für Wien
giebt, (ich glaube die "Grenzboten" haben schon darüber berichtet), zu ver¬
schmähen. Allein auf der anderen Seite muß man gestehen, mit dem "Bä¬
decker" allein ist es noch lange nicht gethan, wenigstens nicht für Diejenigen,
welche gleich dem klugen Odysseus nicht nur die "Städte sehen", sondern
auch deren "Sinn erkennen" wollen. Bekanntlich hat schon der gute H,'-
meros, we'cher angeblich zuweilen schläft, in der Regelnder recht wach und mun¬
ter ist. scharf sieht und präzis unterscheidet, mit Nachdruck unterschieden zwi¬
schen dem 't'<?so ä'o're" und dem L/voi. Für diese Sorte von Men¬
schen -- und ich wünschte, alle unsere deutsche Landsleute möchten darunter
gehören -- giebt es nun verschiedene Mittel und Wege, ihren Zweck zu er¬
reichen. Der eine ist, "zu gehen, selbst zu sehen und zu siegen."
Aber gestehen wir es offen, wir sind nicht alle so befähigt und so glücklich,
das "Vem viäi viel" des C. Julius Cäsar sofort copiren zu können. Und vor
Allem fehlt es uns armen geplagten Deutschen der zweiten Hälfte des neun-


und Paketpost, mit sich führte, welche ebenfalls in Watt übernachtete und
überreichlich mit Seewasser getränkt in Norden herausgenommen und ge-
trocknet wurde, ehe sie nach Norderney befördert werden konnte. Den Brief¬
schaften ist es übrigens gut gegangen, schlechter den Paketen, worunter sich
u. A. ein Colii mit Cigarren und eins mit 36 Pfund getrockneter Hefe be¬
fand. Das muß eine nette Brühe geworden sein.


X.


Wiener Witz und Wiener Mut.
Von Dr. Karl Braun.

Im Laufe des Jahres 1873 sind zahllose „Deutsche aus dem Reiche"
nach Wien gegangen und Viele werden noch jetzt, in der elften Stunde, hin¬
gehen, um die Weltausstellung zu studiren und sich in der gemüthlichen Kai¬
serstadt zu amusiren. Alle diese deutschen Reichsbürger bedienen sich hierbei
irgend eines Buches als Führer. Ich meine damit jene Bücher, welche man
nach Bädecker nennt, nach jenem verdienstvollen Manne, welcher zuerst uns
Deutschen praktisch brauchbare Reisehandbücher gab, wie solche z.B. für Eng¬
länder schon lange existirten — ja schon sogar viel früher in Frankreich er¬
schienen waren, während wir Deutsche, die wir uns doch so gerne über die
geographische Ignoranz der Franzosen lustig machen, dergleichen nicht hatten.
Es würde Thorheit sein, die „Bädeckers", deren es einige recht gute für Wien
giebt, (ich glaube die „Grenzboten" haben schon darüber berichtet), zu ver¬
schmähen. Allein auf der anderen Seite muß man gestehen, mit dem „Bä¬
decker" allein ist es noch lange nicht gethan, wenigstens nicht für Diejenigen,
welche gleich dem klugen Odysseus nicht nur die „Städte sehen", sondern
auch deren „Sinn erkennen" wollen. Bekanntlich hat schon der gute H,'-
meros, we'cher angeblich zuweilen schläft, in der Regelnder recht wach und mun¬
ter ist. scharf sieht und präzis unterscheidet, mit Nachdruck unterschieden zwi¬
schen dem 't'<?so ä'o're« und dem L/voi. Für diese Sorte von Men¬
schen — und ich wünschte, alle unsere deutsche Landsleute möchten darunter
gehören — giebt es nun verschiedene Mittel und Wege, ihren Zweck zu er¬
reichen. Der eine ist, „zu gehen, selbst zu sehen und zu siegen."
Aber gestehen wir es offen, wir sind nicht alle so befähigt und so glücklich,
das „Vem viäi viel" des C. Julius Cäsar sofort copiren zu können. Und vor
Allem fehlt es uns armen geplagten Deutschen der zweiten Hälfte des neun-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_130059/196>, abgerufen am 02.05.2024.