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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. II. Band.

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Neuere Schriften über das höhere Schulwesen.*)

Die erstere Schrift hat einen der tüchtigsten Schulmänner der Rheinpro¬
vinz zum Verfasser. Sie enthält eine eingehende Begründung von Plänen
zu einer Umgestaltung des städtischen höheren Schulwesens in Düsseldorf, und
verdient wegen der sachkundigen Kritik der bestehenden regulativmäßigen Schulen,
wegen des weiten und sichern, das ganze Schulwesen umfassenden Blickes;
wegen des organisatorischen Geschickes, mit welchem die Schulen nach den
Bedürfnissen der Jetztzeit aufgebaut werden, auch in den weitesten Kreisen be¬
achtet zu werden. Der Referent hofft durch eine Andeutung des Inhalts die
Aufmerksamkeit recht vieler auf diese verdienstliche Schrift zu lenken.

Als Grundfehler der Realschulen I. O. und der Gymnasien bezeichnet
der Verfasser die falsche Stellung des Lateinischen im Lehrplane. Dazu tritt
die Ueberbürdung mit Unterrichtsstunden, welche den Schüler nicht zur wün-
schenswerthen Selbstthätigkeit kommen läßt und ihn theilweise dem Familien¬
leben entzieht. Die meisten Schüler verlassen die Realschule I. O. und das
Gymnasium bevor sie das Ziel dieser Anstalten erreicht haben, also mit einer
unfertigen Bildung. Für diese Schüler genügen aber noch weniger das Pro¬
gymnasium und die höhere Bürgerschule. Auch die Realschulen II. O, gehen
über das Bedürfniß, welchem sie dienen sollen, weit hinaus. Die reorgani-
sirte Gewerbeschule aber krankt an dem Grundfehler, daß sie allgemeine Bil¬
dungsanstalt und Fachschule in eins vereinigen, daß sie außerdem als Fach¬
schule noch für eine andere Fachschule, das Polytechnikum, vorbereiten soll.
Für Schüler, die eine abgerundete Bildung zu einer Thätigkeit im kauf¬
männischen oder im industriellen Leben suchen und zugleich eine solche, die
ihnen die Berechtigung für den einjährigen Dienst gewährt, fehlt es an einer
Anstalt. Die gegenwärtige Gestaltung der Lebensverhältnisse macht eine Drei¬
theilung der Schulen nothwendig. Während es im Mittelalter im Wesent¬
lichen nur^ eine regierende und regierte Klasse der Bevölkerung gab, welcher im
Schulwesen die höhere (Latein-) Schule und die Volksschule entsprach, hat sich
in neuerer Zeit in Folge der großartigen Entfaltung der Industrie, des Acker¬
baues und des Handels zwischen jene Klassen eine neue eingeschoben, welche
über die Macht des beweglichen Eigenthums gebietet und auf welcher die
Selbstverwaltung beruht. Für diese von Jahrzehnt zu Jahrzent an Einfluß



') Das höhere Schulwesen unseres Staates. Ein Bericht, den städtischen Be¬
hörden zu Düsseldorf erstattet von I. Ostendorf. Realschnl-Director. Düsseldorf, 1873, Ein Wort zur Entwicklung des Realschulwcsens in Sachsen. Von Dr. E.
Friedr. Alfr. Oertel. Abhandlung in dem Bericht über die Realschule I. O, zu Leipzig im
Schuljahr 1872 -- 73.
Neuere Schriften über das höhere Schulwesen.*)

Die erstere Schrift hat einen der tüchtigsten Schulmänner der Rheinpro¬
vinz zum Verfasser. Sie enthält eine eingehende Begründung von Plänen
zu einer Umgestaltung des städtischen höheren Schulwesens in Düsseldorf, und
verdient wegen der sachkundigen Kritik der bestehenden regulativmäßigen Schulen,
wegen des weiten und sichern, das ganze Schulwesen umfassenden Blickes;
wegen des organisatorischen Geschickes, mit welchem die Schulen nach den
Bedürfnissen der Jetztzeit aufgebaut werden, auch in den weitesten Kreisen be¬
achtet zu werden. Der Referent hofft durch eine Andeutung des Inhalts die
Aufmerksamkeit recht vieler auf diese verdienstliche Schrift zu lenken.

Als Grundfehler der Realschulen I. O. und der Gymnasien bezeichnet
der Verfasser die falsche Stellung des Lateinischen im Lehrplane. Dazu tritt
die Ueberbürdung mit Unterrichtsstunden, welche den Schüler nicht zur wün-
schenswerthen Selbstthätigkeit kommen läßt und ihn theilweise dem Familien¬
leben entzieht. Die meisten Schüler verlassen die Realschule I. O. und das
Gymnasium bevor sie das Ziel dieser Anstalten erreicht haben, also mit einer
unfertigen Bildung. Für diese Schüler genügen aber noch weniger das Pro¬
gymnasium und die höhere Bürgerschule. Auch die Realschulen II. O, gehen
über das Bedürfniß, welchem sie dienen sollen, weit hinaus. Die reorgani-
sirte Gewerbeschule aber krankt an dem Grundfehler, daß sie allgemeine Bil¬
dungsanstalt und Fachschule in eins vereinigen, daß sie außerdem als Fach¬
schule noch für eine andere Fachschule, das Polytechnikum, vorbereiten soll.
Für Schüler, die eine abgerundete Bildung zu einer Thätigkeit im kauf¬
männischen oder im industriellen Leben suchen und zugleich eine solche, die
ihnen die Berechtigung für den einjährigen Dienst gewährt, fehlt es an einer
Anstalt. Die gegenwärtige Gestaltung der Lebensverhältnisse macht eine Drei¬
theilung der Schulen nothwendig. Während es im Mittelalter im Wesent¬
lichen nur^ eine regierende und regierte Klasse der Bevölkerung gab, welcher im
Schulwesen die höhere (Latein-) Schule und die Volksschule entsprach, hat sich
in neuerer Zeit in Folge der großartigen Entfaltung der Industrie, des Acker¬
baues und des Handels zwischen jene Klassen eine neue eingeschoben, welche
über die Macht des beweglichen Eigenthums gebietet und auf welcher die
Selbstverwaltung beruht. Für diese von Jahrzehnt zu Jahrzent an Einfluß



') Das höhere Schulwesen unseres Staates. Ein Bericht, den städtischen Be¬
hörden zu Düsseldorf erstattet von I. Ostendorf. Realschnl-Director. Düsseldorf, 1873, Ein Wort zur Entwicklung des Realschulwcsens in Sachsen. Von Dr. E.
Friedr. Alfr. Oertel. Abhandlung in dem Bericht über die Realschule I. O, zu Leipzig im
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[0270] Neuere Schriften über das höhere Schulwesen.*) Die erstere Schrift hat einen der tüchtigsten Schulmänner der Rheinpro¬ vinz zum Verfasser. Sie enthält eine eingehende Begründung von Plänen zu einer Umgestaltung des städtischen höheren Schulwesens in Düsseldorf, und verdient wegen der sachkundigen Kritik der bestehenden regulativmäßigen Schulen, wegen des weiten und sichern, das ganze Schulwesen umfassenden Blickes; wegen des organisatorischen Geschickes, mit welchem die Schulen nach den Bedürfnissen der Jetztzeit aufgebaut werden, auch in den weitesten Kreisen be¬ achtet zu werden. Der Referent hofft durch eine Andeutung des Inhalts die Aufmerksamkeit recht vieler auf diese verdienstliche Schrift zu lenken. Als Grundfehler der Realschulen I. O. und der Gymnasien bezeichnet der Verfasser die falsche Stellung des Lateinischen im Lehrplane. Dazu tritt die Ueberbürdung mit Unterrichtsstunden, welche den Schüler nicht zur wün- schenswerthen Selbstthätigkeit kommen läßt und ihn theilweise dem Familien¬ leben entzieht. Die meisten Schüler verlassen die Realschule I. O. und das Gymnasium bevor sie das Ziel dieser Anstalten erreicht haben, also mit einer unfertigen Bildung. Für diese Schüler genügen aber noch weniger das Pro¬ gymnasium und die höhere Bürgerschule. Auch die Realschulen II. O, gehen über das Bedürfniß, welchem sie dienen sollen, weit hinaus. Die reorgani- sirte Gewerbeschule aber krankt an dem Grundfehler, daß sie allgemeine Bil¬ dungsanstalt und Fachschule in eins vereinigen, daß sie außerdem als Fach¬ schule noch für eine andere Fachschule, das Polytechnikum, vorbereiten soll. Für Schüler, die eine abgerundete Bildung zu einer Thätigkeit im kauf¬ männischen oder im industriellen Leben suchen und zugleich eine solche, die ihnen die Berechtigung für den einjährigen Dienst gewährt, fehlt es an einer Anstalt. Die gegenwärtige Gestaltung der Lebensverhältnisse macht eine Drei¬ theilung der Schulen nothwendig. Während es im Mittelalter im Wesent¬ lichen nur^ eine regierende und regierte Klasse der Bevölkerung gab, welcher im Schulwesen die höhere (Latein-) Schule und die Volksschule entsprach, hat sich in neuerer Zeit in Folge der großartigen Entfaltung der Industrie, des Acker¬ baues und des Handels zwischen jene Klassen eine neue eingeschoben, welche über die Macht des beweglichen Eigenthums gebietet und auf welcher die Selbstverwaltung beruht. Für diese von Jahrzehnt zu Jahrzent an Einfluß ') Das höhere Schulwesen unseres Staates. Ein Bericht, den städtischen Be¬ hörden zu Düsseldorf erstattet von I. Ostendorf. Realschnl-Director. Düsseldorf, 1873, Ein Wort zur Entwicklung des Realschulwcsens in Sachsen. Von Dr. E. Friedr. Alfr. Oertel. Abhandlung in dem Bericht über die Realschule I. O, zu Leipzig im Schuljahr 1872 — 73.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_130059/270>, abgerufen am 03.05.2024.