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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. II. Band.

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Interessen" --des Staates'gegenüber der römisch-katholischen Kirche--"vor
Schädigung zu bewahren."

Soweit die Thronrede. Man hat die Ankündigung der Errichtung
bürgerlicher Organe zur Beurkundung der Geburtsfälle, zur Eheschließung
und zum Begräbniß vermißt. Neuerdings wird versichert, daß diese Vor¬
lagen gleichwol in sicherer Aussicht stehen. Unserer Ansicht nach sind solche
Vorlagen, deren Nothwendigkeit unbestreitbar ist, jedoch vielmehr Sache der
Reichsgesetzgebung und nicht der Landesgesetzgebung.

Das Abgeordnetenhaus hat in dieser Woche in der üblichen Art durch
die Abtheilungen die Vorprüfung der Wahlen vorgenommen und außerdem
sein Präsidium gewählt. Daß man dabei die zahlreiche Centrumsfraction
ausgeschlossen und dieselbe damit von vornherein als eine unversöhnliche
Feindin behandelt hat, dünkt mir ein nicht zu rechtfertigendes und sogar
bedauernswerthes Verfahren. Mögen die Principien unversöhnlich sein, die
Personen sind formell Vertreter desselben Volkes und gezwungen, mit ein¬
ander zu arbeiten. Da darf nicht jeder Schritt den gegenseitigen Argwohn
hervorrufen und vom Argwohn eingegeben sein.*) Parlamentarische Gegner
dürfen sich doch nicht die persönliche Ehrenhaftigkeit von vornherein bestrei¬
kn. Thun das ja nicht einmal die Feinde im blutigen Waffenkampf, wo
bei jedem gemeinschaftlichen Act, wie selbst der Krieg sie beständig noth¬
wendig macht, beiderseitige Vertrauenspersonen zusammenwirken. Die Thron¬
rede beruft sich auf das Bewußtsein der Regierung und der Landesvertretung,
von dem Streben für das Heil der Gesammtheit geleitet zu werden, auch wo
sie lebhaften Strömungen entgegenzuwirken genöthigt sind. Darauf schließt
die Thronrede mit einem Aufruf an den versöhnenden Geist der Liebe zum
Vaterlande. Uns dünkt, die Mehrheit des Abgeordnetenhauses hätte weise
gehandelt, wenn sie bei der Präsidentenwahl einen Beweis gegeben hätte, daß
sie ihrerseits bereit ist, die Hand zur Versöhnung auf dem Boden der Vater¬
landsliebe zuerst darzureichen, wie es dem stärkeren Theil allemal zukommt.


L--r.


Miefe aus der Kaiserstadt.

Es war ein recht frostiger Tag, der 12. November! Zum ersten Male
zeigte sich das Eis an den Fenstern und auf den Straßen. Hoffentlich kein
böses Omen für die zwölfte Legislaturperiode des preußischen Landtags, die



D. Red. ') Sollte man sich etwa ans ein Aicepväsidimn Mallinkrodt einrichten?
Grenzboten IV. 1873. 40

Interessen" —des Staates'gegenüber der römisch-katholischen Kirche—„vor
Schädigung zu bewahren."

Soweit die Thronrede. Man hat die Ankündigung der Errichtung
bürgerlicher Organe zur Beurkundung der Geburtsfälle, zur Eheschließung
und zum Begräbniß vermißt. Neuerdings wird versichert, daß diese Vor¬
lagen gleichwol in sicherer Aussicht stehen. Unserer Ansicht nach sind solche
Vorlagen, deren Nothwendigkeit unbestreitbar ist, jedoch vielmehr Sache der
Reichsgesetzgebung und nicht der Landesgesetzgebung.

Das Abgeordnetenhaus hat in dieser Woche in der üblichen Art durch
die Abtheilungen die Vorprüfung der Wahlen vorgenommen und außerdem
sein Präsidium gewählt. Daß man dabei die zahlreiche Centrumsfraction
ausgeschlossen und dieselbe damit von vornherein als eine unversöhnliche
Feindin behandelt hat, dünkt mir ein nicht zu rechtfertigendes und sogar
bedauernswerthes Verfahren. Mögen die Principien unversöhnlich sein, die
Personen sind formell Vertreter desselben Volkes und gezwungen, mit ein¬
ander zu arbeiten. Da darf nicht jeder Schritt den gegenseitigen Argwohn
hervorrufen und vom Argwohn eingegeben sein.*) Parlamentarische Gegner
dürfen sich doch nicht die persönliche Ehrenhaftigkeit von vornherein bestrei¬
kn. Thun das ja nicht einmal die Feinde im blutigen Waffenkampf, wo
bei jedem gemeinschaftlichen Act, wie selbst der Krieg sie beständig noth¬
wendig macht, beiderseitige Vertrauenspersonen zusammenwirken. Die Thron¬
rede beruft sich auf das Bewußtsein der Regierung und der Landesvertretung,
von dem Streben für das Heil der Gesammtheit geleitet zu werden, auch wo
sie lebhaften Strömungen entgegenzuwirken genöthigt sind. Darauf schließt
die Thronrede mit einem Aufruf an den versöhnenden Geist der Liebe zum
Vaterlande. Uns dünkt, die Mehrheit des Abgeordnetenhauses hätte weise
gehandelt, wenn sie bei der Präsidentenwahl einen Beweis gegeben hätte, daß
sie ihrerseits bereit ist, die Hand zur Versöhnung auf dem Boden der Vater¬
landsliebe zuerst darzureichen, wie es dem stärkeren Theil allemal zukommt.


L—r.


Miefe aus der Kaiserstadt.

Es war ein recht frostiger Tag, der 12. November! Zum ersten Male
zeigte sich das Eis an den Fenstern und auf den Straßen. Hoffentlich kein
böses Omen für die zwölfte Legislaturperiode des preußischen Landtags, die



D. Red. ') Sollte man sich etwa ans ein Aicepväsidimn Mallinkrodt einrichten?
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[0321] Interessen" —des Staates'gegenüber der römisch-katholischen Kirche—„vor Schädigung zu bewahren." Soweit die Thronrede. Man hat die Ankündigung der Errichtung bürgerlicher Organe zur Beurkundung der Geburtsfälle, zur Eheschließung und zum Begräbniß vermißt. Neuerdings wird versichert, daß diese Vor¬ lagen gleichwol in sicherer Aussicht stehen. Unserer Ansicht nach sind solche Vorlagen, deren Nothwendigkeit unbestreitbar ist, jedoch vielmehr Sache der Reichsgesetzgebung und nicht der Landesgesetzgebung. Das Abgeordnetenhaus hat in dieser Woche in der üblichen Art durch die Abtheilungen die Vorprüfung der Wahlen vorgenommen und außerdem sein Präsidium gewählt. Daß man dabei die zahlreiche Centrumsfraction ausgeschlossen und dieselbe damit von vornherein als eine unversöhnliche Feindin behandelt hat, dünkt mir ein nicht zu rechtfertigendes und sogar bedauernswerthes Verfahren. Mögen die Principien unversöhnlich sein, die Personen sind formell Vertreter desselben Volkes und gezwungen, mit ein¬ ander zu arbeiten. Da darf nicht jeder Schritt den gegenseitigen Argwohn hervorrufen und vom Argwohn eingegeben sein.*) Parlamentarische Gegner dürfen sich doch nicht die persönliche Ehrenhaftigkeit von vornherein bestrei¬ kn. Thun das ja nicht einmal die Feinde im blutigen Waffenkampf, wo bei jedem gemeinschaftlichen Act, wie selbst der Krieg sie beständig noth¬ wendig macht, beiderseitige Vertrauenspersonen zusammenwirken. Die Thron¬ rede beruft sich auf das Bewußtsein der Regierung und der Landesvertretung, von dem Streben für das Heil der Gesammtheit geleitet zu werden, auch wo sie lebhaften Strömungen entgegenzuwirken genöthigt sind. Darauf schließt die Thronrede mit einem Aufruf an den versöhnenden Geist der Liebe zum Vaterlande. Uns dünkt, die Mehrheit des Abgeordnetenhauses hätte weise gehandelt, wenn sie bei der Präsidentenwahl einen Beweis gegeben hätte, daß sie ihrerseits bereit ist, die Hand zur Versöhnung auf dem Boden der Vater¬ landsliebe zuerst darzureichen, wie es dem stärkeren Theil allemal zukommt. L—r. Miefe aus der Kaiserstadt. Es war ein recht frostiger Tag, der 12. November! Zum ersten Male zeigte sich das Eis an den Fenstern und auf den Straßen. Hoffentlich kein böses Omen für die zwölfte Legislaturperiode des preußischen Landtags, die D. Red. ') Sollte man sich etwa ans ein Aicepväsidimn Mallinkrodt einrichten? Grenzboten IV. 1873. 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_130059/321>, abgerufen am 03.05.2024.