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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. II. Band.

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Act und mit ihm die Gewißheit, daß wir einfach an der Nase herumgeführt
sind. Dies Verfahren des Dichters wäre nur dann erklärlich, wenn er uns
dafür hätte bestrafen wollen, daß wir von einem deutschen Autor und noch
dazu in den geweihten Hallen der ersten Bühne des Reichs das unsaubere
Gesellschaftsdrama der Franzosen erwartet hatten. Leider beweisen die trivi¬
alen Frivolitäten der beiden letzten Acte nur zu evident die Unmöglichkeit dieser
Auffassung. Bei Licht besehen, ist Lindau's Stück, seinem moralischen Werthe
nach gemessen, um nichts besser, als jene französischen Machwerke; denn die
Stümperei in der Ausnutzung des Unsittlichen ist kein mildernder Um¬
stand. Und dann, begreift denn überhaupt ein Mensch diese Lindau'sche Ge¬
sellschaft? Unbegreiflich ist das Verhältniß zwischen Vater und Sohn, un¬
begreiflich das Benehmen gegen die Gräfin, unbegreiflich seine kindliche Nai¬
vetät in den Scenen mit Elfe, unbegreiflich die ernstliche Liebe Herbert's zu
Esther, unbegreiflich der Letzteren Freundschaftsverhältniß zu Elfe und unbe¬
greiflich ihre Vermählung mit Kuck. Kurz, es ist die Komödie der Unbe¬
greiflichkeiten. Das Allerunbegreiflichste aber ist: wie kommt dies Stück auf
die ehemals so exclusive königliche Bühne? Fängt man auch hier an, sich auf
Kassenstücke zu verlegen? Pecuniär fährt man damit allerdings sehr viel
besser, als mit Schiller und Goethe. Auch Mißerfolge sind kaum zu befürch¬
ten; denn wenn man zur Besetzung der Hauptrolle eine Erhard und für die
Nebenrollen gar einen Döring und eine Fried-Blumauer zur Verfügung hat,
kann man getrost auch bedenkliche Producte über Wasser zu halten hoffen.
Grade umsomehr aber sollte das vornehme Schauspielhaus sich hüten, dem
W X- allner- oder gar dem Stadttheater Concurrenz zu machen.




Manzerleöen in Indien.
Kulturgeschichtliche Bilder aus Assam von Oskar Flex. Berlin, Nicolai'sche Verlagsbuchhandlung 1873.

In welchen überseeischen Gegenden träfen wir Deutsche nicht? So muß
man fragen, denn in der That, unsre Landsleute sind überall, und überall
wissen sie durch ihre Tüchtigkeit, ihren Fleiß und ihre Ehrlichkeit sich empor-


Act und mit ihm die Gewißheit, daß wir einfach an der Nase herumgeführt
sind. Dies Verfahren des Dichters wäre nur dann erklärlich, wenn er uns
dafür hätte bestrafen wollen, daß wir von einem deutschen Autor und noch
dazu in den geweihten Hallen der ersten Bühne des Reichs das unsaubere
Gesellschaftsdrama der Franzosen erwartet hatten. Leider beweisen die trivi¬
alen Frivolitäten der beiden letzten Acte nur zu evident die Unmöglichkeit dieser
Auffassung. Bei Licht besehen, ist Lindau's Stück, seinem moralischen Werthe
nach gemessen, um nichts besser, als jene französischen Machwerke; denn die
Stümperei in der Ausnutzung des Unsittlichen ist kein mildernder Um¬
stand. Und dann, begreift denn überhaupt ein Mensch diese Lindau'sche Ge¬
sellschaft? Unbegreiflich ist das Verhältniß zwischen Vater und Sohn, un¬
begreiflich das Benehmen gegen die Gräfin, unbegreiflich seine kindliche Nai¬
vetät in den Scenen mit Elfe, unbegreiflich die ernstliche Liebe Herbert's zu
Esther, unbegreiflich der Letzteren Freundschaftsverhältniß zu Elfe und unbe¬
greiflich ihre Vermählung mit Kuck. Kurz, es ist die Komödie der Unbe¬
greiflichkeiten. Das Allerunbegreiflichste aber ist: wie kommt dies Stück auf
die ehemals so exclusive königliche Bühne? Fängt man auch hier an, sich auf
Kassenstücke zu verlegen? Pecuniär fährt man damit allerdings sehr viel
besser, als mit Schiller und Goethe. Auch Mißerfolge sind kaum zu befürch¬
ten; denn wenn man zur Besetzung der Hauptrolle eine Erhard und für die
Nebenrollen gar einen Döring und eine Fried-Blumauer zur Verfügung hat,
kann man getrost auch bedenkliche Producte über Wasser zu halten hoffen.
Grade umsomehr aber sollte das vornehme Schauspielhaus sich hüten, dem
W X- allner- oder gar dem Stadttheater Concurrenz zu machen.




Manzerleöen in Indien.
Kulturgeschichtliche Bilder aus Assam von Oskar Flex. Berlin, Nicolai'sche Verlagsbuchhandlung 1873.

In welchen überseeischen Gegenden träfen wir Deutsche nicht? So muß
man fragen, denn in der That, unsre Landsleute sind überall, und überall
wissen sie durch ihre Tüchtigkeit, ihren Fleiß und ihre Ehrlichkeit sich empor-


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[0327] Act und mit ihm die Gewißheit, daß wir einfach an der Nase herumgeführt sind. Dies Verfahren des Dichters wäre nur dann erklärlich, wenn er uns dafür hätte bestrafen wollen, daß wir von einem deutschen Autor und noch dazu in den geweihten Hallen der ersten Bühne des Reichs das unsaubere Gesellschaftsdrama der Franzosen erwartet hatten. Leider beweisen die trivi¬ alen Frivolitäten der beiden letzten Acte nur zu evident die Unmöglichkeit dieser Auffassung. Bei Licht besehen, ist Lindau's Stück, seinem moralischen Werthe nach gemessen, um nichts besser, als jene französischen Machwerke; denn die Stümperei in der Ausnutzung des Unsittlichen ist kein mildernder Um¬ stand. Und dann, begreift denn überhaupt ein Mensch diese Lindau'sche Ge¬ sellschaft? Unbegreiflich ist das Verhältniß zwischen Vater und Sohn, un¬ begreiflich das Benehmen gegen die Gräfin, unbegreiflich seine kindliche Nai¬ vetät in den Scenen mit Elfe, unbegreiflich die ernstliche Liebe Herbert's zu Esther, unbegreiflich der Letzteren Freundschaftsverhältniß zu Elfe und unbe¬ greiflich ihre Vermählung mit Kuck. Kurz, es ist die Komödie der Unbe¬ greiflichkeiten. Das Allerunbegreiflichste aber ist: wie kommt dies Stück auf die ehemals so exclusive königliche Bühne? Fängt man auch hier an, sich auf Kassenstücke zu verlegen? Pecuniär fährt man damit allerdings sehr viel besser, als mit Schiller und Goethe. Auch Mißerfolge sind kaum zu befürch¬ ten; denn wenn man zur Besetzung der Hauptrolle eine Erhard und für die Nebenrollen gar einen Döring und eine Fried-Blumauer zur Verfügung hat, kann man getrost auch bedenkliche Producte über Wasser zu halten hoffen. Grade umsomehr aber sollte das vornehme Schauspielhaus sich hüten, dem W X- allner- oder gar dem Stadttheater Concurrenz zu machen. Manzerleöen in Indien. Kulturgeschichtliche Bilder aus Assam von Oskar Flex. Berlin, Nicolai'sche Verlagsbuchhandlung 1873. In welchen überseeischen Gegenden träfen wir Deutsche nicht? So muß man fragen, denn in der That, unsre Landsleute sind überall, und überall wissen sie durch ihre Tüchtigkeit, ihren Fleiß und ihre Ehrlichkeit sich empor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_130059/327>, abgerufen am 02.05.2024.