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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. II. Band.

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Bürgermeister als einem zweyten Aeseulap einen Hahn schuldig geworden,
da er unter dessen von oben herein solchen Lohn empfangen, können Sie Ihre
Dankbarkeit in petto behalten.

Bey dieser Gelegenheit dachte ich wieder was es für ein sonderbares Ding
um die Geschichte ist, wenn man von ihr die Ursachen, Anlässe und Verhält¬
nisse der Begebenheiten im einzelnen fordert; ich lebe diesen letzten Ereig¬
nissen so nahe, ja ich bin mit darin verwickelt und weiß eigentlich
immer noch nicht wie sie zusammenhängen. Vielleicht waren Sie glück¬
licher als ich.

Schelling hat ein Gespräch geschrieben: Bruno oder über das göttliche
und natürliche Princip der Dinge. Was ich davon verstehe oder zu verstehen
glaube ist vortrefflich und trifft mit meinen innigsten Ueberzeugungen zusam¬
men. Ob es uns andern aber möglich seyn wird diese Composttion durch
alle ihre Theile zu folgen und sie sich wirklich als im Ganzen zu denken,
daran muß ich noch zweifeln.

Uebrigens weiß ich nicht viel zu sagen als daß mir Abends, wenn es
7 Uhr werden will, sehr oft der Wunsch entsteht, Sie und unsern edlen Mei¬
ster auf ein paar Stunden bey mir zu sehen. Daß übrigens einige Frauen¬
zimmer hier noch singlustiger als unsere Freundinnen und dabey glücklicher¬
weise musikalischer sind, wodurch denn meine innere Singlust von Zeit zu
Zeit erregt wird.

Das versprochene Buch habe ich leider noch nicht wieder finden können.


2) An Frau v. Schiller.

Vor allem werthe Frau, danken Sie Schillern, daß er sich zu meinen
(sie!) besten verwendet hat, es ist nun alles auf einem recht guten Wege.
Sodann haben Sie die Güte inliegenden Brief an Frau von Staöl zu be¬
sorgen und suchen Sie mir wo möglich auf die Fragen, die hiernächst ver¬
zeichnet sind, mir morgen Abend mit den (sie!) Boten Antwort zu verschaffen;
Denn wenn ich die Freundin nur einigermaßen empfangen will, daß sie die
Paar Tage, welche sie hier zubringt nicht verflucht, so muß ich doch eigne
Anstalten machen; denn es sieht durchaus etwas wüst und zerstöhrt hier aus.

Ich schwimme und bade so gut ich kann wenn wir nicht tugendhafter
wären als wir selbst wissen und gestehen wollen, so müßte uns, ein Zu¬
stand, der nichts als Aufopferung enthält ganz unerträglich werden. Grüßen
Sie Schillern, ohne ihn an seinem Werke zu stören, worauf ich mich herzlich
freue. Leben Sie recht wohl und verzeihen Sie mir diese Zudringlichkeit.

Jena, d. 16. Dec. 1803.


Goethe.
3) Zum Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe. Stuttgart 1866.

I. Seite 302.

Nach den Worten "Kritischen Natur nach Einheit" ist einzufügen: An-


Bürgermeister als einem zweyten Aeseulap einen Hahn schuldig geworden,
da er unter dessen von oben herein solchen Lohn empfangen, können Sie Ihre
Dankbarkeit in petto behalten.

Bey dieser Gelegenheit dachte ich wieder was es für ein sonderbares Ding
um die Geschichte ist, wenn man von ihr die Ursachen, Anlässe und Verhält¬
nisse der Begebenheiten im einzelnen fordert; ich lebe diesen letzten Ereig¬
nissen so nahe, ja ich bin mit darin verwickelt und weiß eigentlich
immer noch nicht wie sie zusammenhängen. Vielleicht waren Sie glück¬
licher als ich.

Schelling hat ein Gespräch geschrieben: Bruno oder über das göttliche
und natürliche Princip der Dinge. Was ich davon verstehe oder zu verstehen
glaube ist vortrefflich und trifft mit meinen innigsten Ueberzeugungen zusam¬
men. Ob es uns andern aber möglich seyn wird diese Composttion durch
alle ihre Theile zu folgen und sie sich wirklich als im Ganzen zu denken,
daran muß ich noch zweifeln.

Uebrigens weiß ich nicht viel zu sagen als daß mir Abends, wenn es
7 Uhr werden will, sehr oft der Wunsch entsteht, Sie und unsern edlen Mei¬
ster auf ein paar Stunden bey mir zu sehen. Daß übrigens einige Frauen¬
zimmer hier noch singlustiger als unsere Freundinnen und dabey glücklicher¬
weise musikalischer sind, wodurch denn meine innere Singlust von Zeit zu
Zeit erregt wird.

Das versprochene Buch habe ich leider noch nicht wieder finden können.


2) An Frau v. Schiller.

Vor allem werthe Frau, danken Sie Schillern, daß er sich zu meinen
(sie!) besten verwendet hat, es ist nun alles auf einem recht guten Wege.
Sodann haben Sie die Güte inliegenden Brief an Frau von Staöl zu be¬
sorgen und suchen Sie mir wo möglich auf die Fragen, die hiernächst ver¬
zeichnet sind, mir morgen Abend mit den (sie!) Boten Antwort zu verschaffen;
Denn wenn ich die Freundin nur einigermaßen empfangen will, daß sie die
Paar Tage, welche sie hier zubringt nicht verflucht, so muß ich doch eigne
Anstalten machen; denn es sieht durchaus etwas wüst und zerstöhrt hier aus.

Ich schwimme und bade so gut ich kann wenn wir nicht tugendhafter
wären als wir selbst wissen und gestehen wollen, so müßte uns, ein Zu¬
stand, der nichts als Aufopferung enthält ganz unerträglich werden. Grüßen
Sie Schillern, ohne ihn an seinem Werke zu stören, worauf ich mich herzlich
freue. Leben Sie recht wohl und verzeihen Sie mir diese Zudringlichkeit.

Jena, d. 16. Dec. 1803.


Goethe.
3) Zum Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe. Stuttgart 1866.

I. Seite 302.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_130059/87>, abgerufen am 02.05.2024.