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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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um der Berechtigung ihrer Tendenz, um der Würde ihres Inhaltes, um der
Kunst ihres Aufbaues, um der Vortrefflichkeit ihrer Form und um ihres heil¬
samen Einflusses willen als werthvoll anerkennen müssen; und so haben wir
Deutschen alle Ursache, Platen dafür Dank zu wissen, daß er unsere Literatur
mit Stücken dieser Gattung bereichert hat.


Christian Muff.


Dresdner Patrioten.

In der Regel steht die Hauptstadt eines Landes an der Spitze der
politischen Bewegung, und die freisinnige Partei erhält von dort ihre Losung.
Eine bemerkenswerthe Ausnahme macht in dieser Beziehung Dresden, das
namentlich seit der Beustischen Zeit im politischen Leben Sachsens eine völlig
untergeordnete Rolle spielt. Zwar giebt es auch dort ehrenwerthe liberale
Elemente, aber sie haben einen schweren Stand gegenüber all den nieder¬
drückenden Einflüssen, welche der katholische Hof, die unterwürfige Beamten¬
welt und das "gemüthliche" Phäakenthum der Bevölkerung ausüben. Daher
führen auch die dasigen Organe der freisinnigen Presse einen harten Kampf
ums Dasein, während das Blatt, das schon durch sein unsauberes Aeußere,
noch mehr durch die Erbärmlichkeit seines Inhalts der sächsischen Haupt- und
Residenzstadt wenig Ehre macht, die von einem bornirten Particularisten
redigirten "Dresdner Nachrichten", wohl auf keinem Dresdner Kaffeetisch fehlt.
Denn in diesem Blatt macht sich das specifische Sachsenthum mit wahrer
Wollust breit und giebt dem biederen Dresdner tagtäglich die erhebende Ge¬
wißheit, daß er und mit ihm ganz Sachsen unbestritten an der Spitze der
Civilisation maschire.

Diesen süßen Glauben im ganzen Lande zu verbreiten, und immer aufs
neue zu stärken, hat sich namentlich auch ein Häuflein Dresdner Bolks-
schullehrer zur Aufgabe gemacht, welche seit einer Reihe von Jahren fast
alle sächsischen Volksschulen mit ihren Lese-, Rechen-, Spruch- und sonstigen
Büchern förmlich überschwemmt haben.

Ueber die Befähigung dieser Leute zur Abfassung solcher Bücher möchte
man allerdings gelinde Zweifel hegen, wenn man beispielsweise das "Auf¬
gabebuch für die Hand der Kinder bei dem schriftlichen Ge¬
dankenausdruck u, f. w. von K. G, Petermann, Director der evan¬
gelischen Freischule zu Dresden" (7. Auflage 1861) zur Hand nimmt und in
den gegebenen Musterstücken die gröbsten Verstöße gegen die deutsche Gram-


um der Berechtigung ihrer Tendenz, um der Würde ihres Inhaltes, um der
Kunst ihres Aufbaues, um der Vortrefflichkeit ihrer Form und um ihres heil¬
samen Einflusses willen als werthvoll anerkennen müssen; und so haben wir
Deutschen alle Ursache, Platen dafür Dank zu wissen, daß er unsere Literatur
mit Stücken dieser Gattung bereichert hat.


Christian Muff.


Dresdner Patrioten.

In der Regel steht die Hauptstadt eines Landes an der Spitze der
politischen Bewegung, und die freisinnige Partei erhält von dort ihre Losung.
Eine bemerkenswerthe Ausnahme macht in dieser Beziehung Dresden, das
namentlich seit der Beustischen Zeit im politischen Leben Sachsens eine völlig
untergeordnete Rolle spielt. Zwar giebt es auch dort ehrenwerthe liberale
Elemente, aber sie haben einen schweren Stand gegenüber all den nieder¬
drückenden Einflüssen, welche der katholische Hof, die unterwürfige Beamten¬
welt und das „gemüthliche" Phäakenthum der Bevölkerung ausüben. Daher
führen auch die dasigen Organe der freisinnigen Presse einen harten Kampf
ums Dasein, während das Blatt, das schon durch sein unsauberes Aeußere,
noch mehr durch die Erbärmlichkeit seines Inhalts der sächsischen Haupt- und
Residenzstadt wenig Ehre macht, die von einem bornirten Particularisten
redigirten „Dresdner Nachrichten", wohl auf keinem Dresdner Kaffeetisch fehlt.
Denn in diesem Blatt macht sich das specifische Sachsenthum mit wahrer
Wollust breit und giebt dem biederen Dresdner tagtäglich die erhebende Ge¬
wißheit, daß er und mit ihm ganz Sachsen unbestritten an der Spitze der
Civilisation maschire.

Diesen süßen Glauben im ganzen Lande zu verbreiten, und immer aufs
neue zu stärken, hat sich namentlich auch ein Häuflein Dresdner Bolks-
schullehrer zur Aufgabe gemacht, welche seit einer Reihe von Jahren fast
alle sächsischen Volksschulen mit ihren Lese-, Rechen-, Spruch- und sonstigen
Büchern förmlich überschwemmt haben.

Ueber die Befähigung dieser Leute zur Abfassung solcher Bücher möchte
man allerdings gelinde Zweifel hegen, wenn man beispielsweise das „Auf¬
gabebuch für die Hand der Kinder bei dem schriftlichen Ge¬
dankenausdruck u, f. w. von K. G, Petermann, Director der evan¬
gelischen Freischule zu Dresden" (7. Auflage 1861) zur Hand nimmt und in
den gegebenen Musterstücken die gröbsten Verstöße gegen die deutsche Gram-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/229>, abgerufen am 02.05.2024.