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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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Geschworenen- oder Schöffengerichte.
Erster Artikel.

Wer einigermaßen vertraut mit den Erscheinungen der Rechtsgeschichte
den gegenwärtigen Kampf um Geschworenen- oder Schöffengerichte betrachtet,
wird darüber nicht zweifelhaft sein können, daß es sich dabei handelt um
einen Kampf der mehr formellen Rechtspflege gegenüber einer mehr formlosen
Justiz, welcher die Anhänger des Schöffengerichts das Wort reden.

Beide Parteien, sofern sie es ehrlich meinen, und nicht eben, wie aller¬
dings bei manchen Anhängern des Schöffengerichts von Gegnern vermuthet
wird, es ihnen nur zu thun ist um ein Unwirksammachen des Laienelements
in der Strafrechtspflege, wollen ein Zusammenwirken der Laien und der
rechtsgelehrten Richter. Aber während im Geschworenengericht dieses Zu¬
sammenwirken in bestimmten unverbrüchlichen Formen vor sich geht und an
diese gebunden ist, das rechtsgelehrte Element auf die Laien nur in der Form
der Fragenstellung und in dem Resume des Präsidenten wirken kann, ist bei
dem Schöffengericht eine solche beschränkende Form nicht vorhanden: in ver¬
traulicher Beredung, wie es das Bedürfniß des Augenblicks ergiebt, können
Richter und Schöffen ihre Ansichten austauschen, ihr Wissen und ihre Fähig¬
keiten mit einander messen, und daraus wird, so hoffen die Anhänger des
modernen Schöffengerichts, die materiell richtigste Entscheidung der einzelnen
Fälle, das beste Förderungsmittel für die Fortbildung des Rechts in einem
zugleich wissenschaftlichen und doch volksthümlichen Sinne hervorgehen.

In diesem Argumente, in welchem neuerdings die Empfehlung des
Schöffengerichts sich zuspitzt, liegt viel Verführerisches, Bestechendes. Wozu
die unnütze, beengende Form der Trennung der Rechtsgelehrten und der
Männer aus dem Volke, wenn doch, wie von den Gegnern des Geschwore¬
nengerichts sonst hervorgehoben wird, von seinen Anhängern nicht geleugnet
werden kann, zuweilen die materielle Gerechtigkeit durch Mißverständnisse der
Richter und Geschworenen, Ungeschick und Zufall verletzt, mit anderen Wor¬
ten gerade durch die Form eine verkehrte Entscheidung herbeigeführt wird,
über welche die Geschworenen nicht selten ebenso erstaunen wie die Richter,


Grenzboten III. 1873. <Z
Geschworenen- oder Schöffengerichte.
Erster Artikel.

Wer einigermaßen vertraut mit den Erscheinungen der Rechtsgeschichte
den gegenwärtigen Kampf um Geschworenen- oder Schöffengerichte betrachtet,
wird darüber nicht zweifelhaft sein können, daß es sich dabei handelt um
einen Kampf der mehr formellen Rechtspflege gegenüber einer mehr formlosen
Justiz, welcher die Anhänger des Schöffengerichts das Wort reden.

Beide Parteien, sofern sie es ehrlich meinen, und nicht eben, wie aller¬
dings bei manchen Anhängern des Schöffengerichts von Gegnern vermuthet
wird, es ihnen nur zu thun ist um ein Unwirksammachen des Laienelements
in der Strafrechtspflege, wollen ein Zusammenwirken der Laien und der
rechtsgelehrten Richter. Aber während im Geschworenengericht dieses Zu¬
sammenwirken in bestimmten unverbrüchlichen Formen vor sich geht und an
diese gebunden ist, das rechtsgelehrte Element auf die Laien nur in der Form
der Fragenstellung und in dem Resume des Präsidenten wirken kann, ist bei
dem Schöffengericht eine solche beschränkende Form nicht vorhanden: in ver¬
traulicher Beredung, wie es das Bedürfniß des Augenblicks ergiebt, können
Richter und Schöffen ihre Ansichten austauschen, ihr Wissen und ihre Fähig¬
keiten mit einander messen, und daraus wird, so hoffen die Anhänger des
modernen Schöffengerichts, die materiell richtigste Entscheidung der einzelnen
Fälle, das beste Förderungsmittel für die Fortbildung des Rechts in einem
zugleich wissenschaftlichen und doch volksthümlichen Sinne hervorgehen.

In diesem Argumente, in welchem neuerdings die Empfehlung des
Schöffengerichts sich zuspitzt, liegt viel Verführerisches, Bestechendes. Wozu
die unnütze, beengende Form der Trennung der Rechtsgelehrten und der
Männer aus dem Volke, wenn doch, wie von den Gegnern des Geschwore¬
nengerichts sonst hervorgehoben wird, von seinen Anhängern nicht geleugnet
werden kann, zuweilen die materielle Gerechtigkeit durch Mißverständnisse der
Richter und Geschworenen, Ungeschick und Zufall verletzt, mit anderen Wor¬
ten gerade durch die Form eine verkehrte Entscheidung herbeigeführt wird,
über welche die Geschworenen nicht selten ebenso erstaunen wie die Richter,


Grenzboten III. 1873. <Z
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[0049] Geschworenen- oder Schöffengerichte. Erster Artikel. Wer einigermaßen vertraut mit den Erscheinungen der Rechtsgeschichte den gegenwärtigen Kampf um Geschworenen- oder Schöffengerichte betrachtet, wird darüber nicht zweifelhaft sein können, daß es sich dabei handelt um einen Kampf der mehr formellen Rechtspflege gegenüber einer mehr formlosen Justiz, welcher die Anhänger des Schöffengerichts das Wort reden. Beide Parteien, sofern sie es ehrlich meinen, und nicht eben, wie aller¬ dings bei manchen Anhängern des Schöffengerichts von Gegnern vermuthet wird, es ihnen nur zu thun ist um ein Unwirksammachen des Laienelements in der Strafrechtspflege, wollen ein Zusammenwirken der Laien und der rechtsgelehrten Richter. Aber während im Geschworenengericht dieses Zu¬ sammenwirken in bestimmten unverbrüchlichen Formen vor sich geht und an diese gebunden ist, das rechtsgelehrte Element auf die Laien nur in der Form der Fragenstellung und in dem Resume des Präsidenten wirken kann, ist bei dem Schöffengericht eine solche beschränkende Form nicht vorhanden: in ver¬ traulicher Beredung, wie es das Bedürfniß des Augenblicks ergiebt, können Richter und Schöffen ihre Ansichten austauschen, ihr Wissen und ihre Fähig¬ keiten mit einander messen, und daraus wird, so hoffen die Anhänger des modernen Schöffengerichts, die materiell richtigste Entscheidung der einzelnen Fälle, das beste Förderungsmittel für die Fortbildung des Rechts in einem zugleich wissenschaftlichen und doch volksthümlichen Sinne hervorgehen. In diesem Argumente, in welchem neuerdings die Empfehlung des Schöffengerichts sich zuspitzt, liegt viel Verführerisches, Bestechendes. Wozu die unnütze, beengende Form der Trennung der Rechtsgelehrten und der Männer aus dem Volke, wenn doch, wie von den Gegnern des Geschwore¬ nengerichts sonst hervorgehoben wird, von seinen Anhängern nicht geleugnet werden kann, zuweilen die materielle Gerechtigkeit durch Mißverständnisse der Richter und Geschworenen, Ungeschick und Zufall verletzt, mit anderen Wor¬ ten gerade durch die Form eine verkehrte Entscheidung herbeigeführt wird, über welche die Geschworenen nicht selten ebenso erstaunen wie die Richter, Grenzboten III. 1873. <Z

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/49>, abgerufen am 03.05.2024.