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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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durch den Titel irregeführt, bereits in dem vorliegenden Buche zu finden hofften.
Daß wir das Bedürfniß nach einer einheitlichen deutschen Rechtschreibung nicht für
so außerordentlich dringend halten, wie dies Sanders zu thun scheint, haben wir
schon ausgesprochen. Trotzdem würde uns jeder erfolgreiche Schritt, der in
dieser Richtung gelänge, mit wahrer Freude erfüllen, und wir sehen darum dem
Erscheinen des Ergänzungsheftcs mit Spannung entgegen. Doch geben wir
uns keinen verfrühten Hoffnungen hin. Ueber die "orthographischen Narren"
würde natürlich ruhig zur Tagesordnung übergegangen werden; so lange
aber noch jeder deutsche Schulmeister im alleinigen Besitze des echten Receptes
unsrer Orthographie zu sein glaubt, -- und darin ist der deutsche Schulmeister
komisch - so lange werden zehn Sanders nicht im Stande sein, der deut¬
schen Rechtschreibung die nationale Einheit zu geben.




Geschworenen- oder Schöffengerichte"
Zweiter Artikel.

Der Ursprung des Geschworenengerichts ist erst durch neuere Forschungen
festgestellt worden. Lange Zeit sah man das Geschworenengericht an als eine
Primitive Einrichtung der Germanen oder auch der nordischen Böller, eine
Einrichtung, die sich zur Zeit der ersten französischen Revolution dadurch
empfahl, daß die Theilnahme der'Männer aus dem Volke ihr einen gewissen
demokratischen Stempel aufdrückte, und daß sie der herrschenden Lehre von der
Nothwendigkeit oder Zweckmäßigkeit der Theilung der Gewalten im Staate
zu entsprechen schien.

Die Grundlosigkeit dieser Hypothesen iA jetzt vollständig nachgewiesen.
Das Geschworenengericht hängt zusammen mit dem ältern germanischen Be¬
weisrechte; es bildete anfangs zu diesem einen gewissen Gegensatz und kann
gleichwohl als dessen organische Fortbildung gelten.

Das Beweisrecht nun, welches wir -- mit manchen Modificationen frei¬
lich im Einzelnen -- bei den germanischen Stämmen finden, war ein durch¬
aus formales, d. h. ein solches, das der richterlichen Ueberzeugung bei
Beurtheilung des einzelnen Falles keinen Raum ließ: sobald die Partei im
Stande war, ihre Behauptungen in bestimmter Weise nach Maßgabe ge¬
wisser äußerer Kriterien zu erhärten, mußte das Gericht diese für wahr an¬
nehmen, wogegen umgekehrt der geringste Mangel in der Erfüllung der Be-
weisfvrmlichkeiten unausbleiblich die Annahme des Gegentheils der aufge¬
stellten Behauptung zur Folge hatte. DaS hauptsächlichste Mittel der Be-


durch den Titel irregeführt, bereits in dem vorliegenden Buche zu finden hofften.
Daß wir das Bedürfniß nach einer einheitlichen deutschen Rechtschreibung nicht für
so außerordentlich dringend halten, wie dies Sanders zu thun scheint, haben wir
schon ausgesprochen. Trotzdem würde uns jeder erfolgreiche Schritt, der in
dieser Richtung gelänge, mit wahrer Freude erfüllen, und wir sehen darum dem
Erscheinen des Ergänzungsheftcs mit Spannung entgegen. Doch geben wir
uns keinen verfrühten Hoffnungen hin. Ueber die „orthographischen Narren"
würde natürlich ruhig zur Tagesordnung übergegangen werden; so lange
aber noch jeder deutsche Schulmeister im alleinigen Besitze des echten Receptes
unsrer Orthographie zu sein glaubt, — und darin ist der deutsche Schulmeister
komisch - so lange werden zehn Sanders nicht im Stande sein, der deut¬
schen Rechtschreibung die nationale Einheit zu geben.




Geschworenen- oder Schöffengerichte»
Zweiter Artikel.

Der Ursprung des Geschworenengerichts ist erst durch neuere Forschungen
festgestellt worden. Lange Zeit sah man das Geschworenengericht an als eine
Primitive Einrichtung der Germanen oder auch der nordischen Böller, eine
Einrichtung, die sich zur Zeit der ersten französischen Revolution dadurch
empfahl, daß die Theilnahme der'Männer aus dem Volke ihr einen gewissen
demokratischen Stempel aufdrückte, und daß sie der herrschenden Lehre von der
Nothwendigkeit oder Zweckmäßigkeit der Theilung der Gewalten im Staate
zu entsprechen schien.

Die Grundlosigkeit dieser Hypothesen iA jetzt vollständig nachgewiesen.
Das Geschworenengericht hängt zusammen mit dem ältern germanischen Be¬
weisrechte; es bildete anfangs zu diesem einen gewissen Gegensatz und kann
gleichwohl als dessen organische Fortbildung gelten.

Das Beweisrecht nun, welches wir — mit manchen Modificationen frei¬
lich im Einzelnen — bei den germanischen Stämmen finden, war ein durch¬
aus formales, d. h. ein solches, das der richterlichen Ueberzeugung bei
Beurtheilung des einzelnen Falles keinen Raum ließ: sobald die Partei im
Stande war, ihre Behauptungen in bestimmter Weise nach Maßgabe ge¬
wisser äußerer Kriterien zu erhärten, mußte das Gericht diese für wahr an¬
nehmen, wogegen umgekehrt der geringste Mangel in der Erfüllung der Be-
weisfvrmlichkeiten unausbleiblich die Annahme des Gegentheils der aufge¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/99>, abgerufen am 02.05.2024.