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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Möge der neue Rath in diesem Punkte nicht die bequeme Nachgiebigkeit seines
Vorgängers gegenüber den Collegen aus dem Finanzamte sich zum Vorbilde
nehmen.

Und vor allen Dingen, möge er mit eigenen Augen sich Personen und
Verhältnisse ansehen. Das akademische Cliquenwesen ist und bleibt doch der
gefährlichste Feind der Universitäten. Versteht er es. von allen Einflüsterungen
und Einflüssen dieser Art sich unversehrt zu erhalten. -- wir wüßten kaum
welches Lob dann für ihn stark genug sein könnte! Dem offenen Werben der
Clique erliegt der charaktervolle Mann seltener, aber ihren feingewebten Netzen
und Fallstricken zu entgehen, ist ein fast übermenschliches Werk, eine Leistung
die nichtsdestoweniger vom Inhaber dieses Amtes gefordert werden muß.
Daß das Walten einer unfehlbaren Clique zum Niedergange einzelner Uni¬
versitäten beiträgt, auch davon sieht der Kundige heutzutage mehrfache Be¬
weise vor sich. Möge es in Preußen der "neuen Aera" der Universitätsver¬
waltung gelingen, ihre Hand sich rein zu bewahren von diesen Dingen! Nicht
der Nutzen einzelner Persönlichketten, sondern die Pflege der Hochschulen als
solcher sei ihre Losung!




Briefe aus der Kaiserstadt.

Die Wahlschlacht ist geschlagen, aber im Augenblick, da diese Zeilen ge¬
schrieben werden, fehlt noch die Kunde, wer den Sieg errang. Die Haupt¬
stadt ist natürlich auch diesmal die Domäne der Fortschrittspartei geblieben.
Natürlich -- denn nirgend sonst macht sich der Gegensatz zwischen Regieren¬
den und Regierten fühlbarer, als in den großen Residenzen, und reizt die
Massen leicht zur Opposition. Nirgend sonst ist auch das Gefühl politischer
Unfehlbarkeit weiter verbreitet, als in der anspruchsvollen Halbbildung der
großen Mehrheit einer weltstädtischen Bevölkerung. Und welche Partei ver¬
stände, sich diesen Vorbedingungen besser zu accommodiren, als die Fort¬
schrittspartei? Wie fest sie von der Unfehlbarkeit ihres Standtpunkts über¬
zeugt ist, ja wie sie ihn selbst als den einzig moralischen auffaßt, davon hat
sie gerade in der eben abgeschlossenen Wahlcampagne den deutlichsten Beweis
geliefert. So hatte im ersten Berliner Wahlbezirk der bisherige Vertreter,
ein Fortschrittsmann, aus Gesundheits- und Geschäftsrücksichten die Wieder¬
wahl abgelehnt. Eine aus Nationalliberalen und Anhängern der Fortschritts¬
partei gemischte Versammlung stellte die Candidatur Simson's auf. Aber die
Rechnung war ohne die privilegirten Hüter des Heiligthums der Fortschritts¬
partei gemacht. Als ob der hauptstädtischen Wählerschaft die denkbar größte
Schmach angesonnen würde, so rasten sie gegen den allverehrten Präsidenten


Möge der neue Rath in diesem Punkte nicht die bequeme Nachgiebigkeit seines
Vorgängers gegenüber den Collegen aus dem Finanzamte sich zum Vorbilde
nehmen.

Und vor allen Dingen, möge er mit eigenen Augen sich Personen und
Verhältnisse ansehen. Das akademische Cliquenwesen ist und bleibt doch der
gefährlichste Feind der Universitäten. Versteht er es. von allen Einflüsterungen
und Einflüssen dieser Art sich unversehrt zu erhalten. — wir wüßten kaum
welches Lob dann für ihn stark genug sein könnte! Dem offenen Werben der
Clique erliegt der charaktervolle Mann seltener, aber ihren feingewebten Netzen
und Fallstricken zu entgehen, ist ein fast übermenschliches Werk, eine Leistung
die nichtsdestoweniger vom Inhaber dieses Amtes gefordert werden muß.
Daß das Walten einer unfehlbaren Clique zum Niedergange einzelner Uni¬
versitäten beiträgt, auch davon sieht der Kundige heutzutage mehrfache Be¬
weise vor sich. Möge es in Preußen der „neuen Aera" der Universitätsver¬
waltung gelingen, ihre Hand sich rein zu bewahren von diesen Dingen! Nicht
der Nutzen einzelner Persönlichketten, sondern die Pflege der Hochschulen als
solcher sei ihre Losung!




Briefe aus der Kaiserstadt.

Die Wahlschlacht ist geschlagen, aber im Augenblick, da diese Zeilen ge¬
schrieben werden, fehlt noch die Kunde, wer den Sieg errang. Die Haupt¬
stadt ist natürlich auch diesmal die Domäne der Fortschrittspartei geblieben.
Natürlich — denn nirgend sonst macht sich der Gegensatz zwischen Regieren¬
den und Regierten fühlbarer, als in den großen Residenzen, und reizt die
Massen leicht zur Opposition. Nirgend sonst ist auch das Gefühl politischer
Unfehlbarkeit weiter verbreitet, als in der anspruchsvollen Halbbildung der
großen Mehrheit einer weltstädtischen Bevölkerung. Und welche Partei ver¬
stände, sich diesen Vorbedingungen besser zu accommodiren, als die Fort¬
schrittspartei? Wie fest sie von der Unfehlbarkeit ihres Standtpunkts über¬
zeugt ist, ja wie sie ihn selbst als den einzig moralischen auffaßt, davon hat
sie gerade in der eben abgeschlossenen Wahlcampagne den deutlichsten Beweis
geliefert. So hatte im ersten Berliner Wahlbezirk der bisherige Vertreter,
ein Fortschrittsmann, aus Gesundheits- und Geschäftsrücksichten die Wieder¬
wahl abgelehnt. Eine aus Nationalliberalen und Anhängern der Fortschritts¬
partei gemischte Versammlung stellte die Candidatur Simson's auf. Aber die
Rechnung war ohne die privilegirten Hüter des Heiligthums der Fortschritts¬
partei gemacht. Als ob der hauptstädtischen Wählerschaft die denkbar größte
Schmach angesonnen würde, so rasten sie gegen den allverehrten Präsidenten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/120>, abgerufen am 27.04.2024.