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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Jon preußischen Landtag.

In den ersten Sitzungen dieser Woche ist die dritte Berathung des Ge¬
setzes über die Einführung der bürgerlichen Standesregister im Abgeordneten¬
haus beendigt worden. Die Institution der bürgerlichen Standesregister und
der bürgerlichen Eheschließung steht seit dem Jahre 1848, seit sechsundzwanzig
Jahren, aus prinzipiellen Gründen auf der Tagesordnung des Liberalismus
in fast allen deutschen Staaten. In Preußen, wo die Einführung dieser In¬
stitution sogar durch einen Paragraphen der Verfassung verbürgt war, ist sie
endlich zu Stande gekommen, aber keineswegs aus prinzipiellen Gründen,
sondern lediglich unter dem Druck der praktischen Nothwendigkeit. Im Kampfe
mit der römisch-jesuitischen Hierarchie sieht sich der Staat genöthigt, in immer
weiterem Umfange den Amtshandlungen und namentlich auch den Trauungen
renitenter Priester die Anerkennung des rechtlichen Charakters zu versagen.
Da die Einsetzung den Staatsgesetzen gehorsamer Priester nicht vom Staat
abhängt, so konnte die Einsetzung bürgerlicher Organe zur Begründung
bürgerlich rechtlicher Akte der katholischen Staatsbürger nicht den geringsten
Aufschub mehr leiden. Von den Einen als die Erfüllung einer alten Forde¬
rung, von den Andern als die Befolgung einer unausweichlichen Nothwen¬
digkeit hingenommen, bekämpft fast nur von den Vertretern der hierarchischen
Opposition mit Gründen, die das Wesen der Sache nicht trafen, hat bei den
Verhandlungen, welche seiner Annahme im preußischen Abgeordnetenhaus
vorausgingen, die große prinzipiell praktische Bedeutung des Gesetzes so gut
wie keine Beleuchtung erfahren. Außerhalb des Abgeordnetenhauses hat man
diese Beleuchtung allerdings vielfach versucht, aber wohl nirgend in der rich¬
tigen und erschöpfenden Weise. Denn es ist kein Zweifel, daß die Haupt¬
wirkung des Gesetzes mit der Zeit die evangelische Kirche trifft. Mit inniger
Ueberzeugung hegen wir den Glauben, daß die Rückwirkung auf die evan¬
gelische Kirche, wie auf das gesammte Geistesleben des deutschen Volkes, mit
der Zeit eine segensreiche werden wird. Bis jetzt hat es den Anschein, als
ob für den Staat wie für die Kirche der Weg, den Schatz dieses Segens zu
heben, noch ganz im Dunkeln läge. Im Abgeordnetenhaus verrieth von der
Bedeutung der eingeleiteten Entwicklung sich nirgend ein Bewußtsein. Die
mit überflüssigem Eifer behandelte Frage der geistlichen Standesbeamten trifft
in nichts die wirkliche Bedeutung des Gesetzes für die Kirche. Nach der
äußerlichsten Seite wurde diese Bedeutung berührt, als fortschrittliche Redner
sich beschwerten, daß die Kosten der Standesbücher und ihrer Führung den
Gemeinden zur Last fallen sollten, anstatt durch Gebühren erhoben zu wer-


Jon preußischen Landtag.

In den ersten Sitzungen dieser Woche ist die dritte Berathung des Ge¬
setzes über die Einführung der bürgerlichen Standesregister im Abgeordneten¬
haus beendigt worden. Die Institution der bürgerlichen Standesregister und
der bürgerlichen Eheschließung steht seit dem Jahre 1848, seit sechsundzwanzig
Jahren, aus prinzipiellen Gründen auf der Tagesordnung des Liberalismus
in fast allen deutschen Staaten. In Preußen, wo die Einführung dieser In¬
stitution sogar durch einen Paragraphen der Verfassung verbürgt war, ist sie
endlich zu Stande gekommen, aber keineswegs aus prinzipiellen Gründen,
sondern lediglich unter dem Druck der praktischen Nothwendigkeit. Im Kampfe
mit der römisch-jesuitischen Hierarchie sieht sich der Staat genöthigt, in immer
weiterem Umfange den Amtshandlungen und namentlich auch den Trauungen
renitenter Priester die Anerkennung des rechtlichen Charakters zu versagen.
Da die Einsetzung den Staatsgesetzen gehorsamer Priester nicht vom Staat
abhängt, so konnte die Einsetzung bürgerlicher Organe zur Begründung
bürgerlich rechtlicher Akte der katholischen Staatsbürger nicht den geringsten
Aufschub mehr leiden. Von den Einen als die Erfüllung einer alten Forde¬
rung, von den Andern als die Befolgung einer unausweichlichen Nothwen¬
digkeit hingenommen, bekämpft fast nur von den Vertretern der hierarchischen
Opposition mit Gründen, die das Wesen der Sache nicht trafen, hat bei den
Verhandlungen, welche seiner Annahme im preußischen Abgeordnetenhaus
vorausgingen, die große prinzipiell praktische Bedeutung des Gesetzes so gut
wie keine Beleuchtung erfahren. Außerhalb des Abgeordnetenhauses hat man
diese Beleuchtung allerdings vielfach versucht, aber wohl nirgend in der rich¬
tigen und erschöpfenden Weise. Denn es ist kein Zweifel, daß die Haupt¬
wirkung des Gesetzes mit der Zeit die evangelische Kirche trifft. Mit inniger
Ueberzeugung hegen wir den Glauben, daß die Rückwirkung auf die evan¬
gelische Kirche, wie auf das gesammte Geistesleben des deutschen Volkes, mit
der Zeit eine segensreiche werden wird. Bis jetzt hat es den Anschein, als
ob für den Staat wie für die Kirche der Weg, den Schatz dieses Segens zu
heben, noch ganz im Dunkeln läge. Im Abgeordnetenhaus verrieth von der
Bedeutung der eingeleiteten Entwicklung sich nirgend ein Bewußtsein. Die
mit überflüssigem Eifer behandelte Frage der geistlichen Standesbeamten trifft
in nichts die wirkliche Bedeutung des Gesetzes für die Kirche. Nach der
äußerlichsten Seite wurde diese Bedeutung berührt, als fortschrittliche Redner
sich beschwerten, daß die Kosten der Standesbücher und ihrer Führung den
Gemeinden zur Last fallen sollten, anstatt durch Gebühren erhoben zu wer-


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[0201] Jon preußischen Landtag. In den ersten Sitzungen dieser Woche ist die dritte Berathung des Ge¬ setzes über die Einführung der bürgerlichen Standesregister im Abgeordneten¬ haus beendigt worden. Die Institution der bürgerlichen Standesregister und der bürgerlichen Eheschließung steht seit dem Jahre 1848, seit sechsundzwanzig Jahren, aus prinzipiellen Gründen auf der Tagesordnung des Liberalismus in fast allen deutschen Staaten. In Preußen, wo die Einführung dieser In¬ stitution sogar durch einen Paragraphen der Verfassung verbürgt war, ist sie endlich zu Stande gekommen, aber keineswegs aus prinzipiellen Gründen, sondern lediglich unter dem Druck der praktischen Nothwendigkeit. Im Kampfe mit der römisch-jesuitischen Hierarchie sieht sich der Staat genöthigt, in immer weiterem Umfange den Amtshandlungen und namentlich auch den Trauungen renitenter Priester die Anerkennung des rechtlichen Charakters zu versagen. Da die Einsetzung den Staatsgesetzen gehorsamer Priester nicht vom Staat abhängt, so konnte die Einsetzung bürgerlicher Organe zur Begründung bürgerlich rechtlicher Akte der katholischen Staatsbürger nicht den geringsten Aufschub mehr leiden. Von den Einen als die Erfüllung einer alten Forde¬ rung, von den Andern als die Befolgung einer unausweichlichen Nothwen¬ digkeit hingenommen, bekämpft fast nur von den Vertretern der hierarchischen Opposition mit Gründen, die das Wesen der Sache nicht trafen, hat bei den Verhandlungen, welche seiner Annahme im preußischen Abgeordnetenhaus vorausgingen, die große prinzipiell praktische Bedeutung des Gesetzes so gut wie keine Beleuchtung erfahren. Außerhalb des Abgeordnetenhauses hat man diese Beleuchtung allerdings vielfach versucht, aber wohl nirgend in der rich¬ tigen und erschöpfenden Weise. Denn es ist kein Zweifel, daß die Haupt¬ wirkung des Gesetzes mit der Zeit die evangelische Kirche trifft. Mit inniger Ueberzeugung hegen wir den Glauben, daß die Rückwirkung auf die evan¬ gelische Kirche, wie auf das gesammte Geistesleben des deutschen Volkes, mit der Zeit eine segensreiche werden wird. Bis jetzt hat es den Anschein, als ob für den Staat wie für die Kirche der Weg, den Schatz dieses Segens zu heben, noch ganz im Dunkeln läge. Im Abgeordnetenhaus verrieth von der Bedeutung der eingeleiteten Entwicklung sich nirgend ein Bewußtsein. Die mit überflüssigem Eifer behandelte Frage der geistlichen Standesbeamten trifft in nichts die wirkliche Bedeutung des Gesetzes für die Kirche. Nach der äußerlichsten Seite wurde diese Bedeutung berührt, als fortschrittliche Redner sich beschwerten, daß die Kosten der Standesbücher und ihrer Führung den Gemeinden zur Last fallen sollten, anstatt durch Gebühren erhoben zu wer-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/201>, abgerufen am 27.04.2024.