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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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des Volksdenkens und Empfindens bei unsrer bevorzugten indogermanischen
Race beziehen. Als Specialist hat er sich nur die Erforschung eines Theiles
der Mythologie angelegen sein lassen. "In dem primitiven Menschen, welcher
die Mythen schuf, zeigt sich dieselbe zweifache Tendenz, die wir an uns selbst
beobachten -- der Instinkt, der uns mit den Thieren verbindet, und der In¬
stinkt, der uns zu der Erfassung des Göttlichen und des Idealen erhebt,"
daher überall Bilder der erhabensten Poesie, neben gemeinen und sinnlichen.
Der Gott, der Thier wird, kann seine Göttlichkeit nicht immer intakt
bewahren.

"Ich hatte", sagt Gubernätis, "die niedrige Seite der Mythologie dar¬
zustellen, d. h. den Gott im Thiere; sofern nun unter den verschiedenen
mythischen Thieren, die ich besprochen habe, mehrere den geistigen Charakter
und die glänzende Seite des Gottes bewahren, werden sie gewöhnlich als die
Gestalt betrachtet, welche die Gottheit annimmt, entweder um heimlich die
verbotene Frucht zu genießen, oder um eine Strafe für ein früheres Vergehen
abzubüßen. In jedem Falle geben uns diese Gestalten nicht ein übermäßig
hohes Bild von der göttlichen Vortrefflichkeit und Herrlichkeit. Statt dem
Gotte alle Attribute der Schönheit, Güte und Stärke zugleich beizulegen, statt
in einem alle Götter, oder alle sympathischen Gewalten und Gestalten der
Natur zu vereinigen, wurde für jedes Attribut eine neue göttliche Gestalt
geschaffen. Und weil der primitive Mensch vielmehr zu Vergleichen als zu
Abstraktionen geneigt war (vergl. den Stier, den Löwen, den Tiger als Sym¬
bole der Stärke; das Lamm, den Hund, die Taube als Symbole der Güte
u. s. w.), weil es aber in seiner Sprache keine Bindewörter gab, durch welche
er hätte die beiden Glieder einer Vergleichung verbinden können, deshalb
wurde ein starker König ein Löwe, ein treuer Freund ein Hund, ein munteres
Mädchen eine Gazelle und so fort."

Für alle jene Kreise, die sich mit Mythologie beschäftigen, ist Gubernätis'
Werk ein unentbehrlicher Schatz; es ist aber auch willkommen zu heißen von
allen Denen, die rieser in das geistige Leben der Völker und deren Beziehungen
zu einander eindringen wollen und deshalb für den Anthropologen wie
". Ethnographen von hohem Werthe.




Mchard Wagner als Textdichter.

In der an Constantin Frantz gerichteten Vorrede zu "Oper und Drama"
beklagt sich Wagner darüber, daß seine Bestrebungen fast nur von Musikern


des Volksdenkens und Empfindens bei unsrer bevorzugten indogermanischen
Race beziehen. Als Specialist hat er sich nur die Erforschung eines Theiles
der Mythologie angelegen sein lassen. „In dem primitiven Menschen, welcher
die Mythen schuf, zeigt sich dieselbe zweifache Tendenz, die wir an uns selbst
beobachten — der Instinkt, der uns mit den Thieren verbindet, und der In¬
stinkt, der uns zu der Erfassung des Göttlichen und des Idealen erhebt,"
daher überall Bilder der erhabensten Poesie, neben gemeinen und sinnlichen.
Der Gott, der Thier wird, kann seine Göttlichkeit nicht immer intakt
bewahren.

„Ich hatte", sagt Gubernätis, „die niedrige Seite der Mythologie dar¬
zustellen, d. h. den Gott im Thiere; sofern nun unter den verschiedenen
mythischen Thieren, die ich besprochen habe, mehrere den geistigen Charakter
und die glänzende Seite des Gottes bewahren, werden sie gewöhnlich als die
Gestalt betrachtet, welche die Gottheit annimmt, entweder um heimlich die
verbotene Frucht zu genießen, oder um eine Strafe für ein früheres Vergehen
abzubüßen. In jedem Falle geben uns diese Gestalten nicht ein übermäßig
hohes Bild von der göttlichen Vortrefflichkeit und Herrlichkeit. Statt dem
Gotte alle Attribute der Schönheit, Güte und Stärke zugleich beizulegen, statt
in einem alle Götter, oder alle sympathischen Gewalten und Gestalten der
Natur zu vereinigen, wurde für jedes Attribut eine neue göttliche Gestalt
geschaffen. Und weil der primitive Mensch vielmehr zu Vergleichen als zu
Abstraktionen geneigt war (vergl. den Stier, den Löwen, den Tiger als Sym¬
bole der Stärke; das Lamm, den Hund, die Taube als Symbole der Güte
u. s. w.), weil es aber in seiner Sprache keine Bindewörter gab, durch welche
er hätte die beiden Glieder einer Vergleichung verbinden können, deshalb
wurde ein starker König ein Löwe, ein treuer Freund ein Hund, ein munteres
Mädchen eine Gazelle und so fort."

Für alle jene Kreise, die sich mit Mythologie beschäftigen, ist Gubernätis'
Werk ein unentbehrlicher Schatz; es ist aber auch willkommen zu heißen von
allen Denen, die rieser in das geistige Leben der Völker und deren Beziehungen
zu einander eindringen wollen und deshalb für den Anthropologen wie
«. Ethnographen von hohem Werthe.




Mchard Wagner als Textdichter.

In der an Constantin Frantz gerichteten Vorrede zu „Oper und Drama"
beklagt sich Wagner darüber, daß seine Bestrebungen fast nur von Musikern


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[0220] des Volksdenkens und Empfindens bei unsrer bevorzugten indogermanischen Race beziehen. Als Specialist hat er sich nur die Erforschung eines Theiles der Mythologie angelegen sein lassen. „In dem primitiven Menschen, welcher die Mythen schuf, zeigt sich dieselbe zweifache Tendenz, die wir an uns selbst beobachten — der Instinkt, der uns mit den Thieren verbindet, und der In¬ stinkt, der uns zu der Erfassung des Göttlichen und des Idealen erhebt," daher überall Bilder der erhabensten Poesie, neben gemeinen und sinnlichen. Der Gott, der Thier wird, kann seine Göttlichkeit nicht immer intakt bewahren. „Ich hatte", sagt Gubernätis, „die niedrige Seite der Mythologie dar¬ zustellen, d. h. den Gott im Thiere; sofern nun unter den verschiedenen mythischen Thieren, die ich besprochen habe, mehrere den geistigen Charakter und die glänzende Seite des Gottes bewahren, werden sie gewöhnlich als die Gestalt betrachtet, welche die Gottheit annimmt, entweder um heimlich die verbotene Frucht zu genießen, oder um eine Strafe für ein früheres Vergehen abzubüßen. In jedem Falle geben uns diese Gestalten nicht ein übermäßig hohes Bild von der göttlichen Vortrefflichkeit und Herrlichkeit. Statt dem Gotte alle Attribute der Schönheit, Güte und Stärke zugleich beizulegen, statt in einem alle Götter, oder alle sympathischen Gewalten und Gestalten der Natur zu vereinigen, wurde für jedes Attribut eine neue göttliche Gestalt geschaffen. Und weil der primitive Mensch vielmehr zu Vergleichen als zu Abstraktionen geneigt war (vergl. den Stier, den Löwen, den Tiger als Sym¬ bole der Stärke; das Lamm, den Hund, die Taube als Symbole der Güte u. s. w.), weil es aber in seiner Sprache keine Bindewörter gab, durch welche er hätte die beiden Glieder einer Vergleichung verbinden können, deshalb wurde ein starker König ein Löwe, ein treuer Freund ein Hund, ein munteres Mädchen eine Gazelle und so fort." Für alle jene Kreise, die sich mit Mythologie beschäftigen, ist Gubernätis' Werk ein unentbehrlicher Schatz; es ist aber auch willkommen zu heißen von allen Denen, die rieser in das geistige Leben der Völker und deren Beziehungen zu einander eindringen wollen und deshalb für den Anthropologen wie «. Ethnographen von hohem Werthe. Mchard Wagner als Textdichter. In der an Constantin Frantz gerichteten Vorrede zu „Oper und Drama" beklagt sich Wagner darüber, daß seine Bestrebungen fast nur von Musikern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/220>, abgerufen am 28.04.2024.