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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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einzige gründlich behandelt werden kann, nur immer wieder den Schluß zu
ziehen, wie abgeschmackt diese ganze Behandlung des Budgets ist, die eine
Menge Zeit raubt, eine Menge Staub aufwirbelt, nichts bessert, nichts auf¬
klärt, nichts zu wege bringt, als den oder jenen kleineren Posten, der in
seinem Zusammenhang unentbehrlich sein mag, zur großen Verlegenheit der
Verwaltung zu streichen, die sich dann hilft, wie sie mag, woraus immer
(!--r. neue Streitigkeiten entstehen.




Die Katholische Ilrau als Werkzeug der Kinde
Deutschlands.

Wir weichen von unserer Gewohnheit, nur Originalartikel zu bringen, ein¬
mal ab, um, im Interesse des Kampfes, den das Deutsche Reich gegen Rom
kämpft, einer vortrefflichen Abhandlung der Spenerschen Zeitung die folgende
Schilderung im Auszuge zu entnehmen.

Mit Unrecht macht man unseren katholischen Frauen einen Vorwurf
daraus, daß sie kein Gefühl für ihr deutsches Vaterland haben und sich zu
Helfershelfern der Kirchenpolitik hergeben. Sie haben ja in der Zeit, in
welcher man die Eindrücke fürs ganze Leben empfängt, beinahe nie ein Wort
von diesem Vaterlande gehört. Seine einstige Größe, seine Kämpfe, die Ur¬
sachen seines Verfalls, kurz seine ganze Geschichte sind ihnen durchaus fremd.
Ich war achtzehn Jahre alt, als ich die Klosterschule verließ und hatte bis
dahin nichts vom deutschen Befreiungskampfe erfahren, nie die Namen Stein,
Blücher, Scharnhorst. Gneisenau, Körner u. s. w. gehört. Wir trieben aber
trotzdem Geschichte. Wir wußten z. B. etwas vom trojanischen Krieg, etwas
von den großen Eroberern Cyrus und Alexander, wir kannten die sagenhafte
Geschichte der Gründung Roms und lernten die Namen aller seiner Kaiser
auswendig bis auf Constantin, "der Rom an den Papst abtrat." Auch das
Reformationszeitalter behandelte unsere Geschichte. Wir wußten, daß der
Protestantismus entstanden, weil Luther die entsprungene Nonne Katharina
Bora heirathen wollte. Um unsern Abscheu gegen die Förderer der Refor¬
mation recht lebhaft zu machen, wurden uns solche mit körperlichen Gebrechen
als "Gezeichnete" geschildert. Ein Katechet nahm mit besonderer Vorliebe die
Königin Elisabeth von England aufs Korn, die er uns als eine bucklige
Person mit einer häßlichen Hackennase beschrieb. -- So wenig wie von deut¬
scher Geschichte, erfuhren wir von den Meisterwerken deutscher Dichtung. Bon


einzige gründlich behandelt werden kann, nur immer wieder den Schluß zu
ziehen, wie abgeschmackt diese ganze Behandlung des Budgets ist, die eine
Menge Zeit raubt, eine Menge Staub aufwirbelt, nichts bessert, nichts auf¬
klärt, nichts zu wege bringt, als den oder jenen kleineren Posten, der in
seinem Zusammenhang unentbehrlich sein mag, zur großen Verlegenheit der
Verwaltung zu streichen, die sich dann hilft, wie sie mag, woraus immer
(!—r. neue Streitigkeiten entstehen.




Die Katholische Ilrau als Werkzeug der Kinde
Deutschlands.

Wir weichen von unserer Gewohnheit, nur Originalartikel zu bringen, ein¬
mal ab, um, im Interesse des Kampfes, den das Deutsche Reich gegen Rom
kämpft, einer vortrefflichen Abhandlung der Spenerschen Zeitung die folgende
Schilderung im Auszuge zu entnehmen.

Mit Unrecht macht man unseren katholischen Frauen einen Vorwurf
daraus, daß sie kein Gefühl für ihr deutsches Vaterland haben und sich zu
Helfershelfern der Kirchenpolitik hergeben. Sie haben ja in der Zeit, in
welcher man die Eindrücke fürs ganze Leben empfängt, beinahe nie ein Wort
von diesem Vaterlande gehört. Seine einstige Größe, seine Kämpfe, die Ur¬
sachen seines Verfalls, kurz seine ganze Geschichte sind ihnen durchaus fremd.
Ich war achtzehn Jahre alt, als ich die Klosterschule verließ und hatte bis
dahin nichts vom deutschen Befreiungskampfe erfahren, nie die Namen Stein,
Blücher, Scharnhorst. Gneisenau, Körner u. s. w. gehört. Wir trieben aber
trotzdem Geschichte. Wir wußten z. B. etwas vom trojanischen Krieg, etwas
von den großen Eroberern Cyrus und Alexander, wir kannten die sagenhafte
Geschichte der Gründung Roms und lernten die Namen aller seiner Kaiser
auswendig bis auf Constantin, „der Rom an den Papst abtrat." Auch das
Reformationszeitalter behandelte unsere Geschichte. Wir wußten, daß der
Protestantismus entstanden, weil Luther die entsprungene Nonne Katharina
Bora heirathen wollte. Um unsern Abscheu gegen die Förderer der Refor¬
mation recht lebhaft zu machen, wurden uns solche mit körperlichen Gebrechen
als „Gezeichnete" geschildert. Ein Katechet nahm mit besonderer Vorliebe die
Königin Elisabeth von England aufs Korn, die er uns als eine bucklige
Person mit einer häßlichen Hackennase beschrieb. — So wenig wie von deut¬
scher Geschichte, erfuhren wir von den Meisterwerken deutscher Dichtung. Bon


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/240>, abgerufen am 27.04.2024.