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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Stark's Bericht über seine Hrientreise.

Der C. Winter'sche Verlag in Heidelberg, der vor drei Jahren das
prächtige und gewiß noch heute jedem Leser unvergeßliche "Wanderbuch eines
Ingenieurs" (Max Eyes) herausgab, hat uns vor Kurzem wieder einen in¬
teressanten Beitrag zur Reiseliteratur geschenkt: Nach dem griechischen
Orient. Reisestudien von K. B. Stark, Professor an der Universität
Heidelberg. Ein größerer Abstand freilich als der, welcher zwischen diesen
beiden Büchern besteht, ist kaum denkbar. Dort reiste ein Techniker, um --
wenn wir uns recht erinnern -- Propaganda zu machen für den Dampfpflug
und die Kabelschiffahrt, hier ein Archäolog, der auf Schritt und Tritt den
Resten und Zeugnissen des classischen Alterthums nachspürt; dort war das
Auge des Reisenden unverwandt auf die lebendig pulsirende Gegenwart ge¬
richtet oder schweifte hinaus in die Zukunft, hier geht der Blick mit Vorliebe
zurück auf eine längst verschüttete und vergrabene Vergangenheit; dort er¬
zählte ein allseitig gebildeter Mann mit einer Fülle von Geist und Humor,
und doch in der leichtesten und anspruchslosesten Weise, in gemüthlichen
Briefen an die Seinen, von seinen Erlebnissen, seinem Wirken und Streben,
hier stattet ein kenntnißreicher Fachgelehrter mit würdevollem Ernst seinen
Reisebericht ab, und wiewohl er sichtlich bemüht ist, ihn auch "für weitere
Kreise" einzurichten, so gewinnt er es doch nirgends über sich, auch nur ein
Theilchen von dem wuchtigen Ballast seiner Gelehrsamkeit über Bord zu wer¬
fen. Wem bei dem Eintritte in die Ofener Volksbäder ein Fragment (!) aus
einer verlorengegangenen Sophokleischen Tragödie, den "Lakonerinnen" ein¬
fallen kann und in Parenthese auch gleich noch die Nummer des Fragmentes
dazu, was muß das, fragt da der Mensch aus den "weiteren Kreisen" in
seiner Demuth, was muß das für ein grundgelehrter Herr sein!

Die Reise, die Prof. Stark in seinem Buche schildert, hat er im Sommer
und Herbst des Jahres 1871 --zum Theil in Gemeinschaft mit dem Berliner
Archäologen, Prof. Ernst Curtius -- unternommen. Er brach im August
nach München auf, fuhr von da über Linz nach Wien, wo er sich zehn Tage
aufhielt, dann weiter nach Pesth, wo er gleichfalls einige Tage verweilte,
und nach Constantinopel, dessen Umgebung er acht Tage lang durchstreifte.
Vom Bosporus ging es nach dem Hellespont und der troischen Ebene, und
zwar zunächst nach der ächten und wohl ziemlich allgemein dafür gehaltenen
Stätte des alten Troia am Skamander bei dem heutigen Bunarbaschi und auf
der Höhe des Balidagh, dann erst nach der Stätte des sogenannten novum Ilium,
dem heutigen Hissarlik, wo Schliemann -- aber sicherlich mit Unrecht -- die
Ueberreste des alten Troia gefunden zu haben meint. Ein Tag wurde der
Insel Lesbos gewidmet, dann wurde in Smyrna ein längerer Aufenthalt ge-


Stark's Bericht über seine Hrientreise.

Der C. Winter'sche Verlag in Heidelberg, der vor drei Jahren das
prächtige und gewiß noch heute jedem Leser unvergeßliche „Wanderbuch eines
Ingenieurs" (Max Eyes) herausgab, hat uns vor Kurzem wieder einen in¬
teressanten Beitrag zur Reiseliteratur geschenkt: Nach dem griechischen
Orient. Reisestudien von K. B. Stark, Professor an der Universität
Heidelberg. Ein größerer Abstand freilich als der, welcher zwischen diesen
beiden Büchern besteht, ist kaum denkbar. Dort reiste ein Techniker, um —
wenn wir uns recht erinnern — Propaganda zu machen für den Dampfpflug
und die Kabelschiffahrt, hier ein Archäolog, der auf Schritt und Tritt den
Resten und Zeugnissen des classischen Alterthums nachspürt; dort war das
Auge des Reisenden unverwandt auf die lebendig pulsirende Gegenwart ge¬
richtet oder schweifte hinaus in die Zukunft, hier geht der Blick mit Vorliebe
zurück auf eine längst verschüttete und vergrabene Vergangenheit; dort er¬
zählte ein allseitig gebildeter Mann mit einer Fülle von Geist und Humor,
und doch in der leichtesten und anspruchslosesten Weise, in gemüthlichen
Briefen an die Seinen, von seinen Erlebnissen, seinem Wirken und Streben,
hier stattet ein kenntnißreicher Fachgelehrter mit würdevollem Ernst seinen
Reisebericht ab, und wiewohl er sichtlich bemüht ist, ihn auch „für weitere
Kreise" einzurichten, so gewinnt er es doch nirgends über sich, auch nur ein
Theilchen von dem wuchtigen Ballast seiner Gelehrsamkeit über Bord zu wer¬
fen. Wem bei dem Eintritte in die Ofener Volksbäder ein Fragment (!) aus
einer verlorengegangenen Sophokleischen Tragödie, den „Lakonerinnen" ein¬
fallen kann und in Parenthese auch gleich noch die Nummer des Fragmentes
dazu, was muß das, fragt da der Mensch aus den „weiteren Kreisen" in
seiner Demuth, was muß das für ein grundgelehrter Herr sein!

Die Reise, die Prof. Stark in seinem Buche schildert, hat er im Sommer
und Herbst des Jahres 1871 —zum Theil in Gemeinschaft mit dem Berliner
Archäologen, Prof. Ernst Curtius — unternommen. Er brach im August
nach München auf, fuhr von da über Linz nach Wien, wo er sich zehn Tage
aufhielt, dann weiter nach Pesth, wo er gleichfalls einige Tage verweilte,
und nach Constantinopel, dessen Umgebung er acht Tage lang durchstreifte.
Vom Bosporus ging es nach dem Hellespont und der troischen Ebene, und
zwar zunächst nach der ächten und wohl ziemlich allgemein dafür gehaltenen
Stätte des alten Troia am Skamander bei dem heutigen Bunarbaschi und auf
der Höhe des Balidagh, dann erst nach der Stätte des sogenannten novum Ilium,
dem heutigen Hissarlik, wo Schliemann — aber sicherlich mit Unrecht — die
Ueberreste des alten Troia gefunden zu haben meint. Ein Tag wurde der
Insel Lesbos gewidmet, dann wurde in Smyrna ein längerer Aufenthalt ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/258>, abgerufen am 27.04.2024.